Berichterstattung zur AfD: Alltag einer Wanderdüne
Seit gut 100 Tagen ist die AfD die stärkste Oppositionspartei im Bundestag. Journalist*innen suchen noch nach dem richtigen Umgang mit ihr.
Es war in der ewig wuchernden Zeit der Regierungsbildung, als unter Journalist*innen die Frage umging: Was, wenn die AfD stärkste Oppositionsfraktion wird? Denn dieser steht meist die erste Gegenrede als Antwort auf die Regierung zu und damit Platz in der Presse. Heute, nach neun Monaten AfD im Bundestag, kann man sagen: Das war wirklich die kleinste Sorge.
Es galt, herauszufinden, wie Redaktionen mit der AfD umgehen. Gespräche mit zwei Handvoll Ressortchef*innen, Reporter*innen, Chefredakteur*innen, Blattmacher*innen aus Print, Hörfunk, Online, Fernsehen ergaben Tendenzen, Muster. Einige der Kolleg*innen kommen hier zu Wort.
Dass nach all den Monaten Erfahrung vor und nach der Wahl so viel darüber diskutiert wird, was richtig ist und was falsch, zeigt: Es gibt ein Dilemma. Selbst der Medienforscher Bernd Gäbler, der erst 2017 eine Studie zu dem Thema veröffentlicht hat, arbeitet an einer neuen Fassung. Der Lernprozess läuft noch.
Eine wie alle anderen?
Hinter der Überlegung vor der Regierungsbildung steckte die Grundsatzfrage: Behandeln wir die AfD wie jede andere Partei – oder nicht?
Die meisten Redaktionen haben sich darauf geeinigt: Ja. Oder zumindest: Joah. „heute-journal“-Redaktionsleiter Wulf Schmiese erklärt etwa: „Unser Prinzip ist das der Elefantenrunde: Wer im Parlament vertreten ist, gehört dazu.“ Seine Redaktion habe durchgezählt, wie oft welche Partei zwischen Januar und April in der Sendung aufgetaucht sei: „Das Ergebnis entspricht im Ranking in etwa dem Tortendiagramm mit der Sitzverteilung im Bundestag.“
Dazu kommt das professionelle Interesse: Die AfD ist nun einmal eine neue Partei im Bundestag. „Ich sehe meinen Job nicht in politischer Hygiene“, sagt Zeit-Redakteurin Mariam Lau. „Ich bin neugierig auf sie, will wissen, wer sie sind.“
Der Reiz des Neuen also. Doch eines ist anders als damals bei den Grünen 1983 und der PDS 1990. Denn das wirklich Neue ist, dass „die Medien“ zugleich Zielscheibe des Objekts ihrer Berichterstattung sind. Sie als Feinde anzugreifen ist Teil der politischen Agenda der Partei.
Das konnte man zum Beispiel am vergangenen Wochenende beobachten: Beim „Kyffhäusertreffen“ in Sachsen-Anhalt, einer Veranstaltung des rechtsnationalen Flügels der AfD rund um die Politiker Björn Höcke und André Poggenburg, griffen Teilnehmer*innen die anwesenden Journalist*innen an: beschimpften sie als „Bazille“ und „dreckige Fotze“, griffen sie körperlich an, bedrohten sie verbal und schlugen eine Kamera kaputt.
Laut einer Studie des Meinungsforschungsinstituts Civey von Mai 2018 ist das Vertrauen in die Medien bei 90,3 Prozent der AfD-Anhänger*innen „relativ schwach“ bis „gar nicht“ existent. Das Perfide somit: Die Gleichbehandlung, auf die die Kolleg*innen pochen, ist nur die eine Seite. Sie baut auf der erlernten Erwartung auf, die Reaktion der Gegenseite sei vorhersehbar, also ebenfalls „gleich“. Ist sie jedoch nicht: Die AfD ist eine Wanderdüne. Sie verändert die reguläre Küstenlinie. Sie verändert das Land.
Veränderte Atmosphäre
Etwas Amorphes wie eine Wanderdüne wäre nach postmoderner Logik zu feiern, weil es sich Kategorien entzieht. Doch da diese Wanderdüne die Definition von Menschenrechten unter sich begräbt, ist das postmodern Wandelbare nur Mimikry für den Frontalangriff eines feindlichen Organismus.
Wie sehr mit der AfD das Unerwartbare wie Sand in die Ritzen des Gewohnten eindringt, spiegelt sich in den Anekdoten der Kolleg*innen. Zeit-Redakteurin Mariam Lau erzählt, wie in den Bundestagsgebäuden neuerdings viele schweigend Aufzug fahren. Aus Besorgnis, es könnten AfD-Abgeordnete oder -Mitarbeiter*innen an Bord sein. Keiner plaudere mehr. „Früher undenkbar“, sagt Lau. Die veränderte Atmosphäre zeige sich auch in den Parlamentsdebatten: „Die Verrohung ist spürbar, man erschreckt sich oft, der Tonfall ist härter geworden.“
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Julia Rathcke von der Rheinischen Post, die auf Landesebene in NRW schon länger mit der AfD im Parlament zu tun hat, erzählt von Strafanzeigen gegen sich, und davon, wie Funktionär*innen sie auch mal coram publico namentlich angehen.
Da ist die Geschichte von Bild-Reporter Michael Sauerbier, dem auf einer Pressekonferenz der Brandenburger AfD das Fragerecht entzogen wurde.
Wenn Redaktionen sich intern darauf geeinigt haben, die Partei zu behandeln wie alle anderen auch, dann gehört dazu auch die Maxime, die AfD in Sachfragen jenseits ihrer Dauerbrennerthemen genauer zu analysieren – und nüchtern aufzudröseln, was sie zu Renten-, Bildungs-, Umweltpolitik beizutragen hätte.
Doch Rheinische-Post-Reporterin Julia Rathcke hat in NRW die Erfahrung gemacht, dass „in acht von zehn Fällen keine Reaktion kommt“, wenn sie die AfD um Stellungnahme zu verschiedenen Themen bitte. Und wenn sie dann reagieren, weichen sie vom Thema ab. Auch diese Einschätzung teilen die meisten – die Partei sei inhaltlich ein One-Trick-Pony: „Die AfD dreht jedes Sachthema auf Flüchtlinge, egal ob es um den Haushalt, die Rente oder Finanzen geht“, sagt „heute“-Redaktionsleiter Thomas Heinrich. Allerdings: O-Töne, in denen die Partei nichts zum Thema beitrage, sagten unter Umständen ja auch etwas aus.
Auch wenn die BBC es mit Beatrix von Storch und der WDR es mit Alice Weidel gerade wieder versucht hat: Klassische Entlarvungsinterviews funktionierten nicht mehr, befindet DLF-Mann Stephan Detjen. Nach einem Gespräch mit Frauke Petry 2016, als sie noch AfD-Vorsitzende war, habe ihn die Hälfte der Hörer gelobt für seine klare Haltung, die andere habe ihm vorgeworfen, die Politikerin dauernd unterbrochen zu haben. Nun gilt: „Wir beharren darauf, auf einen sachlichen Kern zu kommen, und betonen die Spielregeln des Diskurses.“
Handwerk als Antwort
Dass so viele Journalist*innen das journalistische Handwerkszeug herausstellen, ist ein Symptom des Lernprozesses: Nur bloß keine Flanke offen lassen. Es klingt nüchtern, nicht paranoid. Dazu all die Halbsätze darüber, wie penibel die Kolleg*innen auf jedes Wort achten, sei es im E-Mail-Verkehr mit der AfD, in ihren Texten, im direkten Kontakt. Denn – siehe den Aufzug-Smalltalk: Es könnte ja gegen sie verwendet werden.
Das Wanderdünenartige, es zeigt sich abstrakt in der Atmosphäre zwischen Medien und AfD, konkret im Recherche- und Interviewalltag – und in der gängigen PR-Strategie der Partei. Denn da ist ja noch die Sache mit den „Stöckchen“. Und die wiederholte Frage: Ist das, was uns hingehalten wird, nun ein Stöckchen oder ein Ast?
Das Rhetorikmuster, mit dem auch die Rechtspopulist*innen in Österreich, Frankreich und Co. arbeiten, setzt auf die Erregungsökonomie im digitalen Zeitalter: Es geht um Gefühle, um Schnelligkeit, um Klicks, und damit auch um den Wettbewerb der Medienhäuser untereinander. Die Fälle sind längst unter Schlagworten medial archiviert: „Denkmal der Schande“, Schusswaffen gegen Flüchtlinge, „Muslimische, gruppenvergewaltigende Männerhorden“, „Kopftuchmädchen und andere Taugenichtse“, „Vogelschiss“. Provokation – Reaktion. Die Nachrichten vermelden, ordnen ein, kommentieren, zitieren Kritik.
Das Dilemma: Jeder dieser Berichte verbreitet die Inhalte weiter. Ignoriert man die Provokationen, ruft die AfD „Zensur!“ – und stärkt damit die eigene Klientel und all jene, die politisch schwanken, aber dem Journalismus misstrauen. Nach der Haushaltsdebatte im Bundestag Mitte Mai, in der Alice Weidel verbal eine Küstenlinie nach der anderen übersandete, schrieb die taz daher etwa: „Was genau die AfD-Fraktionsvorsitzende an Hass und Vorurteilen von sich gegeben hat, entnehmen Sie bitte anderen Medien.“
Auf das Dementi warten
Mariam Lau von der Zeit hält von diesem Ansatz wenig; das sei, als müsse man jemanden vor jugendgefährdenden Schriften schützen. Und obendrein schreibe und sende man schließlich auch für jene, die nicht auf der AfD-Seite stünden.
Dass „die Medien“ AfD-Inhalte mit eingebauter Distanzgeste verbreiten, gehört zur Erregungsstrategie der Partei: „Das Muster ist: Es gibt eine Provokation, dann lassen sie sie 24 Stunden laufen, dann distanzieren sie sich“, stellt „ARD aktuell“-Chefredakteur Markus Bornheim fest – ergo müsste man auch das berichten, noch mehr Medienzeit. „heute“-Leiter Thomas Heinrich erklärt: „Wir sagen uns meist: Lasst uns mal abwarten, bis das Dementi kommt.“
Als AfD-Co-Chef Alexander Gauland unlängst schwadronierte, die Nazizeit sei nur ein „Vogelschiss“ der deutschen Geschichte, waren sich alle einig: ein dicker Ast, kein Stöckchen. Grenze: überschritten. Ach ja?
Sehen wir das noch so genau, wenn die Düne längst ein paar Meter weitergewandert ist? Es ist, als ob man sich an den Anblick des bröckelnden Uferverlaufs schon gewöhnt hat wie an die neue Steilküste auf Rügen nach dem Megaabrutsch im Januar.
Weil mittlerweile so viele von „Grenzöffnung“ reden, auch wenn das de facto Quatsch ist im Schengen-Raum, weil FDP-Chef Christian Lindner rassistische Bäcker-Sprüche von sich gibt, weil CSU-Mann Alexander Dobrindt das Wort „Anti-Abschiebe-Industrie“ in den Mund nimmt, und der bayerische Ministerpräsident Markus Söder von „Asyltourismus“ reden kann, ohne dass Caren Miosga in den „Tagesthemen“ einhakt. Es reicht eben nicht mehr, zu wissen, dass „Flüchtlingswelle“ nach Naturkatastrophe klingt. Die Grenze des Sagbaren, sie verweht im Sand. Auch in „den Medien“ selbst.
Ein twitterndes Watchblog
Das fällt Journalist*innen selbst auf: Es ist, als seien sie zu Seismografen in eigener Sache geworden. Da thematisiert der Leiter der Zeit im Osten, Martin Machowecz, bei Twitter die Beobachtung, dass viele Kolleg*innen offenbar auf der Anti-AfD-Demo Ende Mai in Berlin waren: „Ich finde das problematisch.“
Daraufhin folgt eine Branchendebatte darüber: Dürfen wir? Dürfen wir nicht? Da wird Ende Mai kritisiert, wie Kolleg*innen über die AfD-Demonstration in Berlin berichten: RTL teasert „AfD demonstriert für Demokratie und Freiheit“, die Tagesschau.de titelte „Systemkritik vs. bunter Protest“. AfD-Vokabular ohne Einordnung.
Auch das alles ein Symptom: Statt ein paar Medienwatchblogs gibt es nun ein ganzes Watch-Netzwerk aus twitternden Kolleg*innen. Es ist, als merkten sie, dass es um viel geht. Wenn nicht um alles.
Diese selbstkritische Haltung kommt langsam auch in Redaktionen an. Beim Deutschlandfunk gibt es im Herbst einen Workshop unter anderem zum Umgang mit der AfD. Bei „ARD-aktuell“ ist ein Redaktionsgespräch geplant, Thema: Framing. Wegen des Berichts mit der AfD-Vokabel „Systemkritik“ nach der Demo Ende Mai. „Das hat uns klargemacht, wie überfällig es ist, eine solche Runde anzusetzen“, sagt Chefredakteur Bornheim.
Die taz hat sich einen Leitfaden verpasst zum Umgang mit der AfD. Und Zeit-Journalistin Mariam Lau hat eine Gruppe gegründet, Name: „Blaukraut“. Ein paarmal im Monat treffen sich acht, neun Kolleg*innen, darunter auch von der taz, mit AfD-Politiker*innen. Für Hintergrundgespräche, um besser zu verstehen, wie die Politiker*innen ticken.
„Dem Journalismus tut es gut“, sagt Stephan Detjen vom DLF über die Sensibilisierung, aber der Hintergrund sei „ein Drama“ für die Gesellschaft: „Meine Sorge ist, dass die Lernfähigkeit nicht groß genug ist, um die Erosion demokratischer Diskurse zu verhindern.“
Im Falle der Wanderdüne bleibt nur eins: am besten Bagger und Schaufeln bereitstellen, um den Sand immer wieder zurückschippen zu können. Notfalls Korn für Korn. Damit Begriffe wie „Asyltourismus“ nicht in unseren Alltag rübersanden. Hoffentlich ist das Medienwatchnetzwerk stabil genug, wenn der Strand verrutscht.
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