Berichterstattung zum Anschlag in Hanau: Ein langer Lernprozess
Bei Berichten zu rechter Gewalt haben Journalist:innen schon vieles falsch gemacht. Einige haben dazugelernt, andere bedienen gefährliche Klischees.
Zehn Menschen wurden am Mittwochabend in Hanau getötet. Gegen 22 Uhr fielen die ersten Schüsse, kurz darauf gab es erste Medienberichte. Dass die Gesellschaft schnell informiert werden will und Medien diesem Wunsch folgen, ist verständlich. Doch eine teils widersprüchliche Nachrichtenlage und die Priorisierung von Geschwindigkeit fördern eine fehleranfällige Berichterstattung. Das zeigt sich auch in den ersten Stunden nach Hanau.
Wie man es nicht machen sollte, hat Mittwochnacht beispielsweise die Bild gezeigt. Obwohl sie in ihrer Videoberichterstattung von Bild Live häufig von „unbestätigten Informationen“ sprechen, verbreiten die Reporter vielerlei Spekulationen, die sich später als falsch herausstellen.
Ein Bild-Reporter vor Ort sagt in einem Videointerview: „Ich habe aus relativ gut unterrichteten Quellen hier in Hanau erfahren, aber ich muss dazu sagen, das sind nur Spekulationen, dass es sich bei dem Täterumfeld um Russen handeln könnte.“ Später fügt er hinzu, dass es zu früh sei, um eine Tat aus einem „rechtsradikalen Milieu“ zu vermuten. Ein weiterer Bild-Reporter sagt, dass es gut möglich sei, dass es sich um organisierte Kriminalität handele. Falsche Behauptungen kamen jedoch nicht nur von der Bild. Ein Sprecher der Polizei sagt am frühen Morgen, es könne sich um „eine Beziehungstat oder eine wahllos begangene Tat“ handeln. Katja Leikert (CDU), eine Bundestagsabgeordnete aus dem Wahlkreis Hanau, wurde am Morgen vom Deutschlandfunk auf die Gerüchte bezüglich eines rechtsradikalen Hintergrund angesprochen. Darauf erwiderte sie, man könne auch nicht ausschließen, dass der Vorfall linksradikal motiviert sei.
Organisierte Kriminalität, Beziehungstat, Linksextremismus – die Spekulationen waren vielfältig. Wenig später verbreitet sich dann die Nachricht: Der weiße deutsche Tatverdächtige wird tot aufgefunden, er hat rechtsextremes Bekennerschreiben und -video hinterlassen, die sein rassistisches und verschwörungstheoretisches Weltbild offenbaren. Noch immer sind viele Fragen offen, doch die Motivation des Täters ist klar.
Fakten statt Spekulationen
Vielen in der Medienbranche ist die Problematik der Behauptungen bewusst. So entwickelte Zeit Online vor einigen Jahren ein Format mit dem Titel „Was wir wissen – und was nicht“. Viele Medien haben das Prinzip mittlerweile übernommen und konzentrierten sich dabei auf bestätigte Fakten anstatt auf Spekulationen. Es tut sich also etwas.
Auch in den nächsten Tagen werden viele Fragen zu Hanau noch nicht geklärt sein. Doch gerade bei rechtem Terror und rechtsextremistisch motivierten Taten ist es wichtig, präzise Begriffe zu verwenden und die Dinge beim Namen zu nennen. Also Rassismus und Terrorist statt „Fremdenfeindlichkeit“ und „verwirrter Einzeltäter“ – Letztere sind Bezeichnungen, die die Wirklichkeit verzerren.
Das Negativbeispiel der vergangenen Jahre schlechthin, für das sich fast alle deutsche Medien als Beleg anführen lassen können, ist der Begriff „Döner-Morde“. Jahrelang wurde das Morden des NSU so bezeichnet. Erstmals 2005 von der Nürnberger Zeitung benutzt, wurde die Bezeichnung später von fast allen übernommen. Der Begriff ist ein Beispiel für die Verharmlosung rechtsextremer Gewalt in Deutschland und der rassistischen Vorurteile in der Berichterstattung. 2011, in dem Jahr, in dem sich das rechtsextreme Netzwerk selbst enttarnte, wurde „Döner-Morde“ zum Unwort des Jahres gewählt.
Deutschland hat ein Problem
Neun Jahre sind seitdem vergangen. Ein Teil der Berichterstatter:innen ist heute sensibler für rechte Gewalt. Trotzdem ist noch viel zu tun. Denn Deutschland hat nicht nur ein Problem mit Rechtsextremismus, sondern auch mit der Berichterstattung über diese. So schrieb Focus.de am Morgen nach dem Anschlag „Hanau unter Schock: Erste Bilder nach den Shisha-Morden“. Mittlerweile haben sie es durch „Bluttat“ ersetzt.
Tagesschau.de titelte zeitgleich „11 Tote in Hanau – Fremdenfeindliches Motiv vermutet“, ebenso der Deutschlandfunk, die Süddeutsche oder der Merkur. Sie beziehen sich dabei auf die Bundesanwaltschaft, die „Anhaltspunkte für eine fremdenfeindliche Motivation“ sieht. Das ZDF schreibt bei Twitter über einen Videobericht eines Reporters vor Ort: „Eine Shishabar und ein Kiosk mit einem hohen Anteil ausländischer Besucher“, der Reporter nutzt darin selbst den Begriff „ausländerfeindlich“.
Doch die Morde in Hanau waren nicht fremden- oder ausländerfeindlich, sondern rassistisch motiviert. Sie nutzen also einen Begriff, der die Perspektive des Täters wiedergibt und dadurch Rassismus fördert. Denn alle Opfer aus Hanau, abgesehen von der Mutter des Täters, haben laut jetzigem Kenntnisstand eine Migrationsgeschichte, das macht sie jedoch nicht zu Fremden in Deutschland.
Fehler können im Journalismus passieren, kein:e Journalist:in ist davor geschützt. Und das ist okay. Doch auch bei schnellem Arbeiten und schwieriger Nachrichtenlage müssen sie im Hinterkopf haben, welche Konsequenzen ihre Berichterstattung haben kann. Wünschenswert ist eine Berichterstattung, die Betroffene vor den Täter stellt, Recherche vor Geschwindigkeit und Fakten vor Stereotype.
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