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Bericht zu antiziganistischen Vorfällen„Nur die Spitze des Eisbergs“

Die Zahl gemeldeter Fälle von Antiziganismus hat sich seit dem Vorjahr verdoppelt. Doch das Dunkelfeld ist weiterhin sehr groß, sagt die Meldestelle.

Mehmet Daimagüler, Beauftragter der Bundesregierung gegen Antiziganismus und für das Leben der Sinti und Roma, am 17.6. in der Bundespressekonferenz Foto: Metodi Popow/imago

Berlin taz | „Wo bleibt der gesellschaftliche Aufschrei?“, fragt Mehmet Daimagüler am Montagmorgen im Haus der Bundespressekonferenz. Der Antiziganismusbeauftragte der Bundesregierung sitzt mit auf dem Podium, als die Melde- und Informationsstelle Mia den Jahresbericht zu antiziganistischen Vorfällen im Jahr 2023 vorstellt. Die Zahlen haben sich im Vergleich zum Vorjahr von 621 auf 1.233 Fälle beinahe verdoppelt. Und das sei nur die Spitze des Eisbergs, betont Silas Kropf, Vorstandsvorsitzender von Mia. „Es gilt, das Dunkelfeld weiter zu erhellen.“

Es geht um 2023, doch Daimagüler blickt erst mal in die Gegenwart und zählt Vorfälle der vergangenen Wochen auf: Gerade erst sei in Flensburg ein Mahnmal zum Gedenken an im Nationalsozialismus deportierte Sinti und Roma beschädigt worden. Ein Denkmal in Neumünster sei wiederholt vermüllt und das Wahlplakat eines Sinto in Koblenz mit rechtsextremen Gewaltfantasien beschmiert worden. In Trier seien Hakenkreuze auf das Haus eines Holocaust-Überlebenden gemalt worden.

Aber die Betroffenen würden alleingelassen. In diesem Jahr werde er mit einer Delegation zum 80. Jahrestag der Räumung des sogenannten Z-Lagers in Auschwitz-Birkenau Kränze niederlegen, so Daimagüler. „Ich empfinde das teils als verlogen. Wir achten die Toten und verachten die Lebenden.“

Die aktuellen Fälle passen zu dem, was die noch junge Meldestelle in ihrem erst zweiten Jahresbericht auflistet. Sie erfasst gegen die Minderheit der Sinti und Roma gerichtete Vorfälle oberhalb wie unterhalb der Strafbarkeitsschwelle. Der Bericht umfasst unter anderem 46 Bedrohungen, 40 Angriffe, 27 Sachbeschädigungen und zehn Fälle extremer Gewalt.

Viele Fälle in Bildungseinrichtungen

Rund die Hälfte der Taten machen mit 600 Vorfällen „verbale Stereotypisierungen“ aus, danach kommen 502 Fälle von Diskriminierung. Die Verdopplung der Gesamtzahl lasse nicht auf eine entsprechende Zunahme von Antiziganismus schließen. Vielmehr werde Mia bekannter und es seien Meldestellen in zwei weiteren Bundesländern hinzugekommen.

Antiziganistische Erlebnisse wirken sich „ausnahmslos in verheerender Weise auf die Betroffenen aus“, heißt es in dem Bericht. Menschen würden von ihren Nachbarn systematisch beleidigt und teils physisch bedroht. Kinder würden von Mitschülern wie auch von Lehrern „in übelster Form beleidigt und gemobbt“.

Antiziganismus trete in nahezu allen Lebensbereichen auf, betont Kropf. Fast ein Fünftel der Fälle erfolgte in Bildungseinrichtungen. So habe etwa eine Lehrerin ihre Schülerin, eine Romni, bei der Anmeldung fürs Abitur gefragt, warum sie sich überhaupt die Mühe mache: „Sie werde ja sowieso nicht lange bleiben und wahrscheinlich in einem Monat heiraten.“

Einen besonderen Schwerpunkt legt der Bericht für das Jahr 2023 auf das Thema Polizei. Für etwa ein Viertel der Diskriminierungsfälle seien Behörden verantwortlich, so Kropf. Zentral seien Ausländerbehörden und Jobcenter. In vielen Fällen seien aber auch Polizeibeamte beteiligt, darunter sogar drei Fälle extremer Gewalt.

Schwerpunkt: Polizei

Bei einem Polizeieinsatz wegen Beschwerden über Lärm in einer Unterkunft für Geflüchtete etwa hätten Polizeibeamte einen Familienvater aus für die Anwesenden nicht ersichtlichen Gründen zu Boden geworfen und fixiert. Dann sei ein Polizeihund auf ihn losgegangen und habe mehrfach zugebissen. Der Betroffene musste im Krankenhaus behandelt werden und trug physische wie psychische Spuren davon.

Kropf berichtet von zahlreichen Fällen, in denen die Polizei unverhältnismäßig gehandelt habe. Viele Sinti und Roma gerieten „sehr häufig in Polizeikontrollen, in denen sofort ihre Habseligkeiten ohne konkreten Verdacht durchsucht oder sie wegen ihres Nachnamens nach ihren Verwandtschaften befragt werden“, sagt er.

Betroffene würden oft in ihrer Opferrolle nicht ernst genommen, stattdessen werde ihnen selbst mit Misstrauen begegnet. Das habe Folgen, betont Daimagüler: Immer wieder berichteten ihm Mitglieder der Minderheit, dass sie antiziganistische Vorfälle gar nicht anzeigten. „Menschen aus der Community haben ein geringes Vertrauen in die Behörden.“

Der Bericht mache dringenden Handlungsbedarf deutlich, so Kropf. So brauche es etwa „tiefgreifende Maßnahmen“, um Antiziganismus bei der Polizei entgegenzutreten. Und die Arbeit von Mia müsse auch nach Ende der ersten Förderperiode, die Ende des Jahres ausläuft, abgesichert werden.

Aufruf zum Handeln

Von einer „besorgniserregenden Entwicklung“ spricht mit Blick auf den Bericht, aber auch den zuletzt bei den Europawahlen deutlich gewordenen Rechtsruck, der Vorsitzende des Zentralrats deutscher Sinti und Roma.

„Wenn Menschen in den Medien immer noch sortiert werden, wenn ihre Abstammung von Behörden erfasst wird, dann ist das ein Zeichen für nicht vorhandenes demokratisches Handeln“, so Romani Rose. „Angesichts der historischen Verantwortung Deutschlands ist die Politik aufgerufen, diesen Bericht nicht nur zur Kenntnis zu nehmen – sondern sie muss alle Bereiche der Handlungsmöglichkeit ausschöpfen, um Antiziganismus zu bekämpfen.“

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2 Kommentare

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  • Der Polizist weiss doch nicht das , ich weiss gar nicht wie man das taz konform formuliert, der Betreffende dieser Bevölkerungsgruppe angehört. Hoffentlich ist das korrekt ausgedrückt. Es ist doch das Verhalten des Einzelnen welches ggf. Reaktionen der Ordnungshüter hervorruft. Die Opferrolle und am Ende noch die Nazikeule im Bericht - im Jahr 2024 zieht das nur noch bei wenigen..

    • @Timelot:

      Sie können einfach den Teil „Antiziganismus in der Polizei“ des Eingangs erwähnten Berichts www.antiziganismus...-2023-Internet.pdf lesen. Dort wird die Problematik unter „Polizeiliche Alltagspraxis“ und „Institutioneller polizeilicher Antiziganismus“ erläutert.

      Im Artikel steht auch der Teil:

      „Viele Sinti und Roma gerieten „sehr häufig in Polizeikontrollen, in denen sofort ihre Habseligkeiten ohne konkreten Verdacht durchsucht oder sie wegen ihres Nachnamens nach ihren Verwandtschaften befragt werden““