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Beratungsstellen in Schleswig-HolsteinGewaltschutz ist kein Hobby

Frauenhäuser und -beratungsstellen werden an vielen Orten nur von Ehrenamtlichen getragen. Die will der Landesverband Frauenberatung nun entlasten.

Wird immer noch ehrenamtlich organisiert: Beratung in einem Frauenhaus, hier in Berlin Foto: Sophia Kembowski/dpa

Kiel taz | „Ein Frauenhaus für den Kreis: Aufruf an ehrenamtlich engagierte Frauen“ – dieser Facebook-Post des Kreises Schleswig-Flensburg aus dem Jahr 2020 war für Katharina Wulf ein Weckruf. „Es geht um Gewaltopfer, und Frauenhäuser haben die höchste Schutzstufe, aber die Verantwortung sollen Ehrenamtliche übernehmen“, sagt die Geschäftsführerin des Landesverbandes Frauenberatung Schleswig-Holstein. „Diese Erwartungshaltung ist nicht mehr zeitgemäß.“

Der Landesverband will nun eine Gesellschaft gründen, die den Vereinen einen Teil der organisatorischen Arbeit und Verantwortung abnimmt. Das soll helfen, neue Freiwillige für das Ehrenamt zu finden. Denn die werden dringend benötigt.

In einigen der 32 Beratungsstellen, die dem Landesverband angeschlossen sind, sind seit Jahrzehnten dieselben Frauen auf den Vorstandsposten. „Viele wären sehr froh, ihre Ämter abgeben zu können, finden aber keine Nachfolgerinnen“, sagt Wulf.

Dass hinter den Frauenhäusern und -beratungsstellen ehrenamtlich getragene Vereine stehen, ist historisch gewachsen: Als Folge der zweiten Frauenbewegung gründeten sich nicht nur in Großstädten, sondern auch in kleineren Orten Frauentreffs und Zentren, in denen sich politisch Interessierte trafen – und an die sich auch Gewaltbetroffene wandten.

Arbeit begann im Wohnzimmer

„Die Arbeit begann sozusagen bei den damaligen Aktivistinnen im Wohnzimmer und ist im Lauf der Zeit immer professioneller geworden“, sagt Wulf. Denn in den Beratungsstellen arbeiten inzwischen Fachfrauen, wie in der Frauenberatung Nordfriesland, die 1985 gegründet wurde.

Heute beraten die Sozialpädagoginnen Frauen und Mädchen bei Fragen zu sexueller Gewalt, begleiten Opfer zu Gerichtsprozessen und sind auch Ansprechpersonen für Angehörige von Betroffenen. Nur die Strukturen dahinter blieben gleich: Träger der Frauenberatung ist ein Verein mit Ehrenamtlichen, die sich in ihrer Freizeit engagieren. „Sie engagieren sich nicht, weil es ihr Hobby ist, sondern weil es ohne sie gar keine Fachberatung gäbe.“

Die Mitglieder des Landesverbandes haben daher eine Gesellschaft gegründet, die als gemeinnützig eingestuft wird, eine gGmbH. Sie soll im Hintergrund die Geschäfte führen, die inhaltliche Arbeit bleibt bei den Teams der Beratungsstellen und Frauenhäuser. „Die Einrichtungen behalten ihr Gesicht, ihren Namen, ihre Identität“, betont Wulf.

Umstellung kostet Geld

Die Vereine entscheiden selbst, ob sie sich anschließen oder autonom weitermachen. Die lokale Vereinsstruktur soll beibehalten werden: „Sie können zu Fördervereinen werden, deren Mitglieder Zeit für inhaltliche Dinge haben – Gespräche mit der Politik, fachliche Debatten.“ Denn niemand engagiere sich für Frauenarbeit, um Haushaltspläne und Anträge zu ­schreiben, meint die Geschäftsführerin des Landesverbandes.

Es gibt nur ein Problem: Die Umstellung wird Geld kosten. Rund 150.000 Euro, hat der Landesverband berechnet, würden für zwei Jahre gebraucht. Nach diesem Zeitraum sollte der Übergang geschafft sein.

In der Folgezeit müssten die Beratungsstellen, die die Dienste der gGmbH in Anspruch nehmen, dafür eine Verwaltungspauschale zahlen. Die müsste aus den laufenden Haushalten erübrigt oder von den Kostenträgern – in Schleswig-Holstein zahlen das Land und die Kommunen für die Beratungsstellen und Frauenhäuser – zusätzlich gezahlt werden, fordert der Landesverband.

Vierzig Jahre ehrenamtliche Arbeit

Erste Gespräche mit dem Sozialministerium und den kommunalen Spitzenverbänden verliefen hoffnungsvoll: „Beide haben grundsätzlich Zustimmung zu der Idee signalisiert.“ Angesichts der schwierigen Haushaltslage des Landes werden die Verhandlungen dennoch nicht einfach. Aber Wulf sieht Argumente auf ihrer Seite: „Seit 40 Jahren haben die Frauen ehrenamtlich gearbeitet. Wenn wir es jetzt in Rechnung stellen, hat die öffentliche Hand trotzdem 40 Jahre lang Geld gespart.“

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