Benalla-Affäre in Frankreich: Der Präsident und sein Bodyguard
Die Geschichte von Alexandre Benalla, dem prügelnden Leibwächter Emmanuel Macrons, bewegt Frankreich. Der Präsident verhält sich wie ein Monarch.
Polizeibrutalität? Nein, bei den beiden vermeintlichen Ordnungshütern handelt es sich um Alexandre Benalla, den Leibwächter Emmanuel Macrons, und seinen Freund Vincent Crase, einen Angestellten der Partei des Präsidenten, La République en Marche. Doch Benalla war auf der Demo nur als Beobachter angemeldet, „embedded“ heißt das offiziell, er begleitete die Polizei.
Das alles war spätestens am Tag danach dem Kabinett Emmanuel Macrons bekannt. Dort beschloss man, Benalla zu maßregeln und für 14 Tage freizustellen. Damit sollte die Sache erledigt sein. Schon Mitte Mai war Benalla wieder an der Seite Macrons im Einsatz. Der Präsident wollte offenbar nicht auf die Dienste seines Vertrauten verzichten und so zugeben, dass er sich in seiner Wahl geirrt hätte.
Erst Wochen später, am 18. Juli, identifizierte die Tageszeitung Le Monde nach intensiven Recherchen den Schläger vom 1. Mai als Alexandre Benalla, Chefleibwächter des Präsidenten. Zudem kam heraus, dass er sich von befreundeten Polizeioffizieren auf illegale Weise Aufnahmen der Überwachungskameras der Place de la Contrescarpe beschafft hatte. Seitdem arbeitet Benalla nicht mehr als Leibwächter des Präsidenten. Sein Entlassungsverfahren läuft noch.
7.000 Euro Gehalt, Limousine mit Blaulicht
Frankreich entdeckt nun mit Erstaunen, welche ungewöhnlichen Privilegien dieser erst 26-jährige Leibwächter genoss: ein Monatsgehalt von mehr als 7.000 Euro, eine Limousine mit Polizeisirene und Blaulicht, eine luxuriöse Dienstwohnung und einen Ausweis, der ihm einen Zugang zum Sitzungssaal der Nationalversammlung erlaubte. Den brauchte er für seine Arbeit nicht. Im präsidentiellen System Frankreichs ist dem Präsidenten der Zutritt zur Nationalversammlung verboten. Benalla besaß sogar die Schlüssel des privaten Wochenendhauses des Ehepaars Macron in Le Touquet in der Normandie.
Alexandre Benalla wuchs in Évreux auf, einer Kleinstadt in der Normandie, in einfachen Verhältnissen. Seine Mutter war alleinerziehend und Anhängerin der Sozialisten. Darüber kam er, sehr jung und Jurastudent, zum Ordnungsdienst der Parti socialiste (PS), ehrenamtlich. Für kurze Zeit arbeitete er im Ordnungsdienst von François Hollande, dem damaligen Präsidentschaftskandidaten, und als Chauffeur von Arnaud Montebourg, damals Wirtschaftsminister. Als zahlreiche Politiker und Anhänger der PS zu Macrons République en Marche wechselten, wurde Benalla Ende 2016 mit dem persönlichen Schutz des Spitzenkandidaten beauftragt. Macron äußerte sich kürzlich in einem Interview mit dem Sender France Bleu, er sei „stolz“ darauf, mit Benalla einen Mitarbeiter zu haben, der nicht aus der Pariser Elite stamme. Macron ist der erste französische Präsident mit einem Leibwächter, der kein Spitzenpolizeibeamter ist.
Mit seiner Omnipräsenz und seinem oft autoritären Auftreten eckte Benalla an. Zum Beispiel bei den Polizeieinheiten, die zu offiziellen Anlässen für die Sicherheit des Präsidenten zuständig sind. „Er war mehr ein Störfaktor als etwas anderes. Es gab ständig Reibereien zwischen ihm und bestimmten Polizeibehörden, aber als Entsandter des Präsidenten der Republik wurde er gefürchtet“, sagt Rocco Contento von der Polizeigewerkschaft Unité SGP Police FO. Benalla war weder der Polizei noch Gendarmerie unterstellt, beanspruchte aber die Kompetenz, in allen Sicherheitsfragen parallel zu den zuständigen Einheiten zu intervenieren oder diese sogar zu kommandieren. Noch auf dem Fest nach dem Sieg der „Bleus“ bei der Fußball-WM kam es zuletzt zu einem handfesten Konflikt zwischen Benalla und einem Mitglied der Gendarmerie.
Die Verfassung garantiert Anonymität
Die Entgleisung des Bodyguards hat sich nun zu einer politischen Krise ausgeweitet. Für Ausflüchte ist es längst zu spät. Die Oppositionsparteien von links bis rechts verlangen geschlossen und mit unverhohlener Schadenfreude Rechenschaft vor den Untersuchungsausschüssen des Senats und der Nationalversammlung. Parallel zu einer bereits laufenden gerichtlichen Untersuchung befragen sie ranghohe Beteiligten, die unter Eid aussagen müssen. Natürlich würden sie auch den Staatschef persönlich zu seiner Version anhören, doch der kann die Einladung zum Verhör ausschlagen, gestützt auf seine von der Verfassung garantierte Immunität.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.
Am Ende werden viele Fragen unbeantwortet bleiben. Vorab die, wie es Benalla schaffte, in den engsten Kreis der Staatsmacht zu gelangen, und warum Macron seine Sicherheit nicht den dafür zuständigen Polizisten anvertraute.
Vorfälle aus Benallas Vergangenheit hätten alarmieren müssen: Ex-Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg musste ihn bereits nach einer Woche als Chauffeur entlassen, weil er angeblich einen Unfall verursacht hatte und Fahrerflucht begehen wollte. Gleich zu Beginn der Wahlkampagne schockierte Macrons junger Bodyguard mit seinem unangemessenen Betragen. Französische Medien berichten, er habe einen Kommunisten, der Macron auf einer öffentlichen Veranstaltung eine kritische Frage stellen wollte, aus dem Saal geworfen. Wochen danach habe er einen akkreditierten Journalisten des Staatssenders Public Sénat unsanft herausgeworfen. Mit Macrons Wahlsieg war alles vergeben und vergessen.
Macron selber leugnet nicht, als Staatsoberhaupt verantwortlich zu sein. Dem Parlament ist er laut Verfassung keine Rechenschaft schuldig. Nachdem er eisern geschwiegen hatte, erklärte er sich vor ein paar Tagen vor Parlamentariern und Ministern seiner Partei. Ein geheimer Videomitschnitt davon tauchte auf. Darin ist zu sehen, wie er nicht wirklich auf die Fragen antwortet, die sich heute viele seiner Landsleute stellen, er dementiert bloß, unter Gelächter der Anwesenden, die absurdesten Gerüchte: „Nein, Benalla besaß nicht den Geheimcode der Atomwaffen“, und: „Benalla war nicht mein Geliebter.“ Macron attackiert à la Trump die Journalisten: „Ich erkenne dahinter eine Medienmacht, die zur Justizmacht werden will.“
Monarch Macron
Ende dieser Woche äußerte sich Macron das erste Mal öffentlich. Er sagte der Nachrichtenagentur AFP, die Affäre Benalla sei ein „Sturm im Wasserglas“. Auch Benalla äußerte sich. Er habe einen „Fehler“ gemacht, erklärte er Le Monde. Es sei ein „politischer Fehler“ gewesen: „Man hat sich meiner Affäre bedient, um abzurechnen.“ Inhaltlich hält er sein Vorgehen immer noch für richtig.
Gegen Benalla, Vincent Crase und drei hohe Polizeioffiziere sind Strafverfahren eingeleitet worden. Innenminister Collomb und mehrere Mitarbeiter im Élysée, die sich von den parlamentarischen Untersuchungsausschüssen in die Mangel nehmen lassen mussten, bleiben als designierte Sündenböcke weiter im Schussfeld. Macron will sie (vorerst) nicht opfern: „Ich trage als Einziger die Verantwortung“, proklamierte er vor seinen Parteifreunden.
Für andere klingt das wie der absolute Machtanspruch eines Monarchen, denn Macron fügte hinzu: „Wenn sie einen Verantwortlichen wollen, sollen sie mich doch holen kommen …“ Er weiß, dass in Frankreich eine weitgehende Immunität den Präsidenten vor jeder Belästigung durch die Justiz schützt. Nicht aber vor dem Volkszorn, erinnert ihn Alexis Corbière, ein linker Abgeordneter der Partei La France insoumise, der in Anspielung auf die Revolution von 1789 warnt: „Es wäre nicht das erste Mal, dass das Volk einen arroganten Monarchen holt.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen