Belgiens Monarch Philippe im Kongo: König äußert „tiefstes Bedauern“
Erstmals seit Kongos Unabhängigkeit spricht dort ein belgischer König. Eine Entschuldigung für Kolonialverbrechen äußert er aber nicht.
Die Rede des belgischen Königs auf der Esplanade des Volkspalasts in Kinshasa an Kongos versammelte Parlamentarier am Mittwochnachmittag war zweifellos der Höhepunkt seiner Kongo-Reise, die am Dienstag in Kinshasa begann und am Sonntag zu Ende geht. Die letzte belgische Königsrede in Kinshasa gab es 1960 zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit des Landes, als die Stadt noch Leopoldville hieß.
Damals hatte König Baudouin in seiner Ansprache zum Ende der belgischen Herrschaft seinen Stolz über die Kolonialzeit geäußert. Auf ihn folgte Kongos neuer Premierminister Patrice Lumumba, der in einer historischen Rede die Ausbeutung, Gewalt und rassistische Unterdrückung der Kongolesen geißelte – Lumumba wurde kurz darauf gestürzt, gefangengenommen, entführt und im Januar 1961 unter belgischer Beteiligung getötet.
Es hatte fünfzig Jahre gedauert, bis wieder ein König der Belgier kongolesischen Boden betrat. Im Jahr 2010 hatte Albert II. bei seinem Besuch in Kinshasa die Anweisung, keine politische Erklärung abzugeben. Erst sein Sohn Philippe hat jetzt also das Schweigen gebrochen, nach 62 Jahren.
Viel wurde im Vorfeld spekuliert, ob der König jetzt weiter gehen würde als in seiner Erklärung zum 60. Jahrestag der kongolesischen Unabhängigkeit am 30. Juni 2020. Damals hatte König Philippe in einem Brief an Kongos Präsident Félix Tshisekedi seine „tiefes Bedauern“ über die „Wunden“ der Kolonialzeit geäußert. Eine Entschuldigung blieb aus.
Entschuldigt hat sich König Philippe auch jetzt nicht, weder für die Greueltaten unter der Herrschaft seines Vorfahren Léopold II., der Kongo zu seinem Privateigentum erklärt hatte, noch für die koloniale Ausbeutung nach Überführung des Gebiets in belgisches Staatseigentum, noch für die Ermordung Lumumbas 1961, obwohl Belgiens Parlament bereits 2001 dafür die Verantwortung Belgiens anerkannt hatte.
„Obwohl viele Belgier sich ehrlich eingebracht haben, in tiefer Liebe zum Kongo und seinen Bewohnern, gründete die Kolonialherrschaft an sich auf Ausbeutung und Domination“, sagte der König in seiner Rede, die er auf Französisch hielt, aber mit kurzen Einschüben in den vier kongolesischen Amtssprachen Lingala, Swahili, Tshiluba und Kikongo.
Er sprach von einer „ungleichen Beziehung“, die „nicht zu rechtfertigen“ sei und „von Paternalismus, Diskriminierung und Rassismus gekennzeichnet“ war. Es habe in der Kolonialherrschaft „Übergriffe und Erniedrigungen“ gegeben, gestand er ein.
Zum Abschluss fasste der König zusammen: „Ich möchte gegenüber dem kongolesischen Volk und denen, die bis heute daran leiden, mein tiefstes Bedauern für diese Wunden der Vergangenheit bekräftigen.“
Und er äußerte seinen Wunsch, dass Kongo und Belgien miteinander ein „neues Kapitel“ aufschlagen mögen, „ohne die Vergangenheit zu vergessen, aber in Anerkennung davon, um der neuen Generation eine reflektierte und befriedete Erinnerung an unsere gemeinsame Geschichte zu übertragen“.
Denkmalstürmer gegen Rechtsextreme
Gemäß der belgischen Verfassung kann der König sich nur des von der Regierung gesetzten Rahmens öffentlich äußern, und so ist diese Rede als von Belgiens Regierung inspiriert zu werten. Es war keine einfache Aufgabe. Schon 2020 führten Black-Lives-Matter-Proteste in Belgien infolge der Ermordung des Schwarzen George Floyd in den USA zum Sturz mehrerer Denkmäler des belgischen Königs Leopold II. in belgischen Städten.
Brüssels wichtigster Straßentunnel, der ebenfalls den Namen des Koloniengründers trug, ist seit Mai nach der Music-Hall-Sängerine Annie Cordy benannt. Prinzessin Esmeralda, Tante von König Philippe, verlangte sogar selbst den Abbau von Leopold-Statuen. Und Belgiens Parlament hat eine Untersuchungskommission eingesetzt, um „Klarheit über die Vergangenheit“ zu schaffen. All dies geschah gegen heftigen Protest seitens der extremen Rechten in Belgien.
„In einer idealen Welt würde sich der König persönlich entschuldigen, aber die Verfassung lässt das nicht zu“, analysiert der belgische Abgeordnete Tomas Roggeman von der rechten Oppositionspartei NVA (Nieuw Vlaamse Alliantie). Eine persönliche Entschuldigung des Königs könnte Belgien zu Reparationen an Kongo verpflichten, meint er.
„Eine neue Seite aufschlagen“
In Kinshasa waren die Reaktionen auf die Königsrede eher positiv. „Alles was wir von König Philippe erhofften, haben wir bekommen“, kommentierte das Staatsfernsehen RTNC. Parlamentspräsident Christophe Mboso sagte, der König habe zwei wichtige Botschaften ausgedrückt: „Eine düstere Seite der gemeinsamen Geschichte begraben, und eine neue Seite der dynamischen und privilegierten Kooperation aufschlagen“. Präsident Tshisekedi erklärte: „Heute müssen unsere Völker sich annähern und sich nicht feindselig anstarren.“
Einige Gesten des guten Willens haben den Besuch begleitet. Der König übergab dem Museum von Kinshasa eine heilige Initiationsmaske des Suku-Volkes, genannt Kakuungu, zu Zeiten der Kolonialherrschaft von Belgiern geraubt.
Der 100 Jahre alte kongolesische Weltkriegsveteran Albert Kunyuku, der 1940 eingezogen wurde und 1945 im Medizinkorps im damaligen Birma eingesetzt wurde, erhielt einen Orden und kommentierte lakonisch: „Der König hat mir was versprochen. Sehr gut. Jetzt muss das umgesetzt werden.“
Der belgische König soll noch aus Kinshasa nach Lubumbashi weiterreisen, die „Kupferhauptstadt“ Katangas im Süden des Kongo, und vor Studenten eine Rede halten.
Zum Abschluss soll er im ostkongolesischen Bukavu den für seinen Einsatz für Opfer sexualisierter Kriegsverbrechen geehrten Friedensnobelpreisträger Denis Mukwege besuchen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Pistorius wird nicht SPD-Kanzlerkandidat
Boris Pistorius wählt Olaf Scholz