Belgien nach den Anschlägen: Nun wackelt die Regierung
Nach schweren Vorwürfen wegen der Attentate von Brüssel reichen zwei Minister den Rücktritt ein. Derweil sucht die Polizei zwei weitere Verdächtige.
Mit seinem Rücktrittsgesuch reagieren die Minister offenbar auf Berichte, wonach die belgischen Behörden im Kampf gegen den Terror versagt haben. In den letzten Tagen sollen der israelische und der amerikanische Geheimdienst vor unmittelbar bevorstehenden Terrorakten gewarnt haben; die Israels wollen sogar Details über mögliche Anschlagsorte mitgeteilt haben.
Für großen Wirbel sorgte der türkische Staatschef Recep Erdogan mit seiner Behauptung, die belgischen Behörden hätten Hinweise der Türkei auf einen der mutmasslichen Täter ignoriert. Justizminister Geens hatte den Vorwurf noch am Mittwoch zurückgewiesen. Der Verdächtige sei nicht nach Belgien, sondern in die Niederlande ausgeliefert worden.
Auch EU-Kommissar Günther Oettinger goss Öl ins Feuer: „Wir müssen aber auch klar die Mängel bei den belgischen Sicherheitsbehörden ansprechen“, sagte er der „Bild“-Zeitung. Es gebe allein in Brüssel mehrere verschiedene Polizeibehörden, die nicht ausreichend kooperieren. „Das kann nicht so bleiben“, so Oettinger.
Überraschend schnelle Ermittlungen
Allerdings werden die Vorwürfe nur teilweise durch die Fakten gedeckt. So war den belgischen Ermittlern am Freitag letzter Woche ein großer Schlag gelungen: Mit Salah Abdeslam setzten sie einen der wichtigsten Drahtzieher der Attentate von Paris fest. Abdeslam sei „Gold wert“ und wolle reden, heißt es in Brüssel.
Offenbar als Reaktion auf die Festnahme kam es dann zu den Attentaten, die 31 Todesopfer und mehr als 300 Verletzte forderten. Dass mit Terrorakten zu rechnen sei, hatte Belgiens Außenminister Didier Reynders schon am Samstag gesagt; die Behörden waren also nicht auf Hinweise ausländischer Geheimdienste angewiesen. Doch möglicherweise haben sie zu spät reagiert.
Überraschend schnell kommen nun aber die Ermittlungen voran. So sind bereits zwei Attentäter identifiziert: Es handelt sich um die Brüder Ibrahim und Khalid El Bakraoui, beide gebürtige Belgier. Sie haben sich im Flughafen und in der Metro in die Luft gesprengt.
Klar ist auch, dass zwischen den Attentaten von Paris und Brüssel ein Zusammenhang besteht. Darauf weist der Sprengstoff hin, der in einer Wohnung im Brüsseler Stadtteil Schaerbeek gefunden wurde. Derselbe Sprengstoff war bei den Attentaten am 13.11. in Paris verwendet worden.
Europaviertel nicht sicher
Allerdings sind immer noch mindestens zwei mutmassliche Terroristen auf der Flucht. Dabei handelt es sich um einen Mann mit Hut, den die Überwachungskameras unmittelbar vor dem Attentat am Flughafen gefilmt hatten – und um einen Verdächtigen mit schwerer Tasche, der mit dem Selbstmordattentäter in der Metro gesehen wurde.
Die Polizei hat eine Großfahndung ausgelöst. Sie legte stundenlang auch den zentralen Brüsseler Stadtteil Ixelles lahm, der auch bei Touristen sehr beliebt ist. Bisher war Ixelles noch nicht ins Visier der Polizei geraten – doch nach den Attentaten ist wohl kein Ort in Brüssel mehr wirklich sicher.
Dies gilt auch für das Europaviertel, wo sich am heutigen Nachmittag die EU-Innenminister zu einer Krisensitzung treffen wollen. Das Treffen war von Belgien beantragt worden. Doch nun ist nicht einmal mehr klar, ob daran auch der belgische Innenminister teilnimmt – oder ob sich Jan Jambon vertreten lässt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Twitter-Ersatz Bluesky
Toxic Positivity