piwik no script img

Belagerte Stadt in der UkraineDer Diktator übernimmt

Tschetscheniens Präsident Ramsan Kadyrow ist angeblich seit Montag in Mariupol. Doch ein Foto zeigt ihn in Russland.

Ein junges Mädchen läuft vor einem zerstörten Wohnhaus in Mariupol am 28. März Foto: Alexander Ermochenko/reuters

Berlin taz | Die schwarz gebrannten Häuser von Mariupol, Frauen, die mit zwei Kanistern durch Trümmer laufen, um Wasser zu holen, weinende Männer vor einem Berg von Steinen, die einmal die eigene Wohnung waren – all diese Bilder aus der ukrainischen Hafenstadt Mariupol erinnern sehr an die Eroberung der Hauptstadt Tschetscheniens, Grosnij, durch russische Truppen 1994 und 1995.

Auch damals hatten die russischen Truppen eine Stadt dem Erdboden gleichgemacht und mit anschließenden „Säuberungsaktionen“ die Bevölkerung terrorisiert. Der einzige Unterschied zu damals ist, dass Russland Separatisten bekämpft hatte, während es dieses Mal auf der Seite der Separatisten steht. Und damit auch dem Letzten der Zusammenhang zwischen Grosnij und Mariupol deutlich wird, leitet den russischen Kampf zur Eroberung von Mariupol der Diktator Tschetscheniens, Ramsan Kadyrow.

Der soll, so berichtet die russische Nachrichtenagentur interfax.ru unter Berufung auf das tschetschenische Fernsehen grozny.tv, am Montag in Mariupol eingetroffen sein. „Ramsan Kadyrow hält sich in Mariupol auf und leitet persönlich die Sonderoperation zur Befreiung von Mariupol“, so interfax.ru. Der Chef der Tschetschenischen Republik, heißt es weiter, habe sich auch mit dem Kommandeur der russischen 8. Gardearmee, General Mordwitschew, getroffen.

Mit diesem habe man die in zwei Tagen geplante Blockade der Fabrik Asowstal und die anschließenden „Säuberungsaktionen“ in den nächsten drei bis vier Tagen besprochen. Am Montagabend veröffentlichte Denis Pushilin, Chef der „Volksrepublik“ Donezk, auf seinem Telegram-Kanal ein Foto, das ihn vor einer russischen Fahne und Fenstern mit heruntergelassenen Rollladen mit Ramsan Kadyrow zeigt.

Angeblich am 28. März in Mariupol: Ramzan Kadyrov und der russische General Andrei Mordvichev Foto: Itar-Tass/imago

Vielleicht deuten die Rollladen darauf hin, dass man nicht wollte, dass der Betrachter des Fotos Rückschlüsse auf deren Aufenthaltsort ziehen könnte. Interessant ist ein weiteres am 29. März im russischen Netz VKontakte veröffentlichtes Photo von Ramsan Kadyrow, das diesen betend, geschützt von einem bewaffneten Kämpfer, der neben einem Mercedes steht, auf einer Tankstelle zeigt. Merkwürdig an diesem Foto sei, kommentiert der ukrainische Telegram-Kanal Hueviy Charkow, dass Kadyrow vor einer Tankstelle des russischen Unternehmens Rosneft bete. Und derartige Tankstellen gebe es gar nicht in der Ukraine.

Humanitäre Katastrophe

Unterdessen fordert der Bürgermeister von Mariupol, Wadim Bojtschenko, die vollständige Evakuierung der Stadt. Derzeit halten sich nach Angaben der städtischen Behörden noch 160.000 Menschen in Mariupol auf, berichtet die Ukrajinska Prawda. Die Stadt, die seit dem 1. März weitgehend von der Außenwelt abgeschnitten sei, so Bojtschenko, befinde sich am Rande einer humanitären Katastrophe. Am Montag hätten zwar 26 Busse für eine Evakuierung bereitgestanden, so der Bürgermeister, aber die Russen, die die Stadt eingekesselt haben, hätten eine Evakuierung nicht erlaubt.

Nach Ansicht des Bürgermeisters verhalten sich die Besatzer wie Terroristen. „Sie wollten uns als Nation zerstören. Was in Mariupol und Tschernihiw geschieht, ist ein Genozid“, sagte Bojtschenko. In der vergangenen Woche konnten 26.477 Menschen von Mariupol nach Saporischschja evakuiert werden. Auch für Dienstag war eine Evakuierung mit Pkws geplant.

Unterdessen berichtet die ukrainische Nachrichtenagentur Unian von gespenstischen Bildern aus einem überfüllten Leichenschauhaus in Mariupol. Viele Tote passten nicht mehr in das Haus und würden am Eingang gestapelt aufbewahrt. Im vergangenen Monat sind bei der Belagerung der Stadt, so die Ukrajinska Prawda, fast 5.000 Menschen, darunter etwa 210 Kinder ums Leben gekommen. 30.000 Bewohner seien gegen ihren Willen nach Russland deportiert worden.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare