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Bekleidungsindustrie leidet unter CoronaDas Elend der vollen Schränke

In den Produzentenländern hungern Textilarbeiterinnen, hier drohen massenweise Insolvenzen – und Second-Hand-Klamotten in der Müllverbrennung.

Hinter Glas: Die Textilbranche sucht neue Wege Foto: Andrew Medichini/AP/dpa

Berlin taz | Seit Jahren diskutiert die Bekleidungsindustrie ergebnislos über „Fast Fashion“: Gibt es zu viele Kollektionen im Jahr? Ist zu viel billige Kleidung im Markt? Experten gehen von einer Überproduktion von 120 bis 130 Prozent Kleidung im Jahr aus. Und nun könnte ein Virus die Branche binnen Wochen umkrempeln.

Am Ende der Kette wird das Problem hierzulande am sichtbarsten: Die Alttextilbranche steht kurz vor einem Kollaps. Davor warnten in den vergangenen Tagen Branchenverbände wie der Verein „Fairwertung“ aus Essen und die „Gemeinschaft für Textile Zukunft“.

Die Deutschen nutzen die Zeit zu Hause derweil zum Ausmisten und packen ihre alten Klamotten in Tüten. „Macht Platz im Schrank“ steht auf Altkleidercontainern etwa in Potsdam. Doch im Schrank ist derzeit mehr Platz als in den Containern, vor ihnen stapeln sich die Säcke. In vielen Kommunen rufen karitative Vereinigungen wie das Rote Kreuz dazu auf, zurzeit auf Kleiderspenden zu verzichten. Die alten Textilien finden nämlich keine KundInnen mehr.

Die wichtigste, weil lukrativste Absatzquelle, die Second-Hand-Shops, sind geschlossen oder nicht erreichbar. Darum versinken Sammler und Sortierer in Kleidung. „Wir haben noch Lagerkapazitäten für drei Wochen“, sagt Rainer Binger, Geschäftsführer des Sammel-Unternehmens FWS mit Sitz in Bremen.

Grenzen und Häfen geschlossen

FWS gehört als Teil der niederländischen Boer-Gruppe zu einem europaweit tätigen Konzern und sammelt jährlich rund 80.000 Tonnen alte Kleider ein. Die gute, tragbare Ware werde in Second-Hand-Shops in Osteuropa, Chile, Angola, Kongo und Elfenbeinküste verkauft, so Binger, „doch dort sind jetzt entweder die Läden zu oder die Grenzen dicht“.

Minderwertige Textilien, die zerrissen und zu Putzlumpen oder Dämmmaterial verarbeitet werden, gehen in der Regel nach Pakistan oder Indien. Auch dort sind die Grenzen und Häfen für Container aus Europa aber derzeit geschlossen – wenn überhaupt Transportkapaziäten zur Verfügung stehen. „Der gesamte Markt ist außer Balance geraten“, sagt Binger.

Sabine Ferenschild forscht als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bonner Südwind-Institut zu Entwicklungsthemen. Sie sieht in der akuten Krise „die Chance für die Alttextilbranche, regionale Kreisläufe aufzubauen“. Der massenhafte Export gebrauchter Kleider in ärmere Länder sei eine Fehlentwicklung, die verhindere, dass dort eine eigene, regionale Bekleidungsindustrie wachsen könne, sagt Ferenschild.

Alttextilsammler ohnehin in schwieriger Situation

Das allerdings ist Zukunftsmusik. Derzeit ruft die gebeutelte Branche nach Unterstützung durch die Kommunen. Weil die Unmengen Stoff nur begrenzt lagerfähig sind, könnte den Sammlern und Sortierern nichts anderes übrig bleiben, als die Kleidung zu verbrennen. Weil das ein sehr teurer Entsorgungsweg ist, fordern die Firmen dabei Unterstützung von den Kommunen.

Die Coronakrise trifft die Alttextilsammler in einer ohnehin schwierigen Situation. „Wir bekommen immer mehr Ware in immer schlechteren Qualitäten“, sagt Ahlmann. Der Anteil an noch guter, tragbarer Kleidung sinke seit Langem. Daher schauen die Mitglieder des Vereins Fairwertung durchaus mit Interesse auf die riesige Menge an Kleidung, die demnächst auf den Altkleidermarkt drängen dürfte.

Zwar beteuert beispielsweise der Handelskonzern H&M, „die Ware, die sich in unseren derzeitig geschlossenen Geschäften befindet, bleibt dort und wird bei einer Wiedereröffnung zum Verkauf erhältlich sein“. Nur – als die Läden geschlossen wurden, war es Anfang März. Wenn sie wieder öffnen, wird es wahrscheinlich sommerlich warm sein.

Was mit der dann unverkäuflichen Übergangskleidung passiert, weiß niemand. Die Modebranche debattiert darüber intensiv. Kurzfristig geht es darum, wer die Kosten für bestellte, aber nun unverkäufliche Ware übernimmt. Sabine Ferenschild bezeichnet das als eine „harte Probe der unternehmerischen Sorgfaltspflicht“ der Unternehmen. Sie haben Kleidung geordert, die sie jetzt nicht verkaufen können.

„Jetzt zeigt sich, ob Primark, H&M und Co wirklich Verantwortung übernehmen, zu den Aufträgen stehen und sie auch bezahlen“, sagt Ferendschild. Die Lage der ArbeiterInnen der stillstehenden Fabriken in Bangladesch und Indien ist so prekär, dass die Entwicklungsorganisation Femnet einen Nothilfefonds eingerichtet hat.

Der nächste Trend: weniger

Langfristig könnte es um einen Weg zu mehr „Weniger“ gehen. So zitiert die Fachzeitschrift Textilwirtschaft aus einem Brief des italienischen Designers Georgio Armani, der bislang nicht für sein Interesse an Nachhaltigkeitsthemen bekannt ist. Das ganze System stehe „vor einer grundlegenden Entschleunigung“, schreibt Armani. Seine eigene Frühjahrskollektion will er bis September in den Läden lassen.

Entwicklungsexpertin Sabine Ferenschild bezweifelt allerdings, dass die Modeindustrie sich durch Corona nachhaltig wandelt. „Es ist eine radikale Marktbereinigung absehbar“, sagt sie. Beobachten lasse sich das jetzt schon: Fast täglich melden größere und kleine Unternehmen Insolvenz an, die Unternehmensberatung McKinsey prophezeit in der Textilwirtschaft eine „Konsolidierungswelle“. Nur die wettbewerbsfähigsten Unternehmen würden bleiben, sagt Ferenschild. Und die könnten dann weitermachen wie zuvor.

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3 Kommentare

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  • "....Überproduktion von 120 bis 130 Prozent Kleidung". Können die sich auch nur erlauben weil in den Produktionsländern Hungerlöhne gezahlt werden, die Rohstoffpreise gedrückt und die Produktionsstätten keine Sicherheitsvorschriften haben. Krankes System!

    • @Andreas J:

      Nur ist ein Großteil der KundInnen, die immer schnell schnell das modischste haben wollen und das für geringen Preis ein konstituirender Teil dieses "kranken" Systems.



      Würden wir mehr auf das achten und nur das kaufen, das wirklich benötigt wird und wohlmöglich nicht BILLIG-BILLIG sondern auch in Qualität, die länger hält als die halbe Saison, wäre die Frage der Überproduktion schon mal gelöst. Wie sich dann Fragen nach Arbeitsplatzerhalt in den Herstellerländern lösen ließen, bleibt zu klären. Aber letztlich werden wir diesen Zielkonflikt Nachhaltigkeit(=weniger Verbrauch und mehr Herstellung hier) gegen Arbeitsplatzverluste in den bisherigen Herstellungsländern nicht nur bei Mode lösen müssen.

      • @Wundersam:

        Natürlich sind auch die Kunden, die sich Ständig in neuen Outfits präsentieren wollen auch daran beteiligt. Aber würden die genannten Misstände bei der Produktion beseitigt werden, währe es für die meisten Kunden zu teuer, jede Saison den Kleiderschrank neu aufzufüllen. Die Preissteigerung müsste halt bei den Arbeitern ankommen wodurch auch die Arbeitszeit auf ein humanes Level reduziert werden kann. 12 bis 14 Stunden am Tag, 6 tage die Woche im Akkord sind normal. Der Kunde bezahlt auch die Überproduktion, sonst würde das System zusammenbrechen und trotzdem ist der Preis so niedrig. Das funktioniert nur mit übelster Ausbeutung. Und der Handel mit gebrauchter Kleidung in Afrika verdrängt dort Arbeitsplätze. Die globale Arbeitsteilung ist völlig ok, solange jeder seinen gerechten Anteil bekommt.