: „Beim Essen sind alle gleich“
Mit Mitte 70 noch mal neu angefangen: Monika Fuchs hat Hunger kennengelernt und eine Catering-Karriere hinter sich. Heute veröffentlicht sie Kochvideos im Internet – für Menschen, die eigentlich gar nicht kochen. Und jeden Freitag bewirtet sie in ihrer Hamburger Wohnung fremde Menschen
Interview Frieda AhrensFoto Miguel Ferraz
taz: Frau Fuchs, Sie laden regelmäßig eine groß Zahl fremder Leuten in Ihre Wohnung ein – zum Essen. Warum?
Monika Fuchs: Ich lade die nicht ein, die laden sich selbst ein.
Wie das?
Um sich anzumelden, muss man mich anmailen. Telefon funktioniert nicht, ich habe eine Großfamilie – da klingelt ohnehin alle halbe Stunde das Telefon.
Und weiter?
Nach der Mail bekommt man einen offiziellen Termin mit Bestätigung und den Bedingungen, Preis und Uhrzeit. Ich bin ungefähr fünf Monate im Voraus ausgebucht.
Aber wie kommt man auf die Idee, einmal in der Woche sein Wohnzimmer zum Restaurant umzufunktionieren?
Mit 76 Jahren habe ich aufgehört zu arbeiten. Ich hatte eine Catering-Firma, die ausschließlich fürs Fernsehen gearbeitet hat, also für Fernsehstudios, unter anderem für „Markus Lanz“, dreieinhalb Jahre. Danach wollte ich aber weiterarbeiten, zum Nachtbus oder zur Tafel.
Dem „Mitternachtsbus“ der Diakonie oder der Hamburger Tafel: Institutionen, die Bedürftige mit Essen versorgen.
Aber just in dem Moment wurde mein Mann todkrank, sodass ich das Haus nicht mehr verlassen konnte. Da bin ich auf die Idee gekommen: Er kann sich ja eh nicht mehr bewegen, Kinder sind alle aus dem Haus, Wohnzimmer brauche ich nicht mehr – wenn ich mit meinem Mann zusammensitze, dann an seiner Bettkante. Also warum nicht das, was ich am liebsten mache, hier veranstalten? Ich habe testweise mit zehn Leuten angefangen. Und das wurde dann ziemlich schnell sehr viel.
Wie regelmäßig findet das statt?
Jeden Freitag. Im Sommer mache ich fünf Wochen Ferien – ansonsten jeden Freitag.
Wie organisiert sich das?
Kochen tue ich alleine.
Fünf Gänge?
Ja. Na ja, ein Gang ist Käse, da muss ich nicht kochen. Zur Vorbereitung für die anderen vier Gänge brauche ich drei Tage. An dem Freitagabend bekomme ich dann Unterstützung von drei Leuten: eine alte Kollegin von mir, mit der ich schon seit 20 Jahren zusammenarbeite, und zwei Enkelkinder.
Die wechseln sich ab?
Die hüten das sehr, dass es Familie bleibt. Wenn ich von außerhalb Hilfe angeboten bekomme, sind die eifersüchtig. Es gibt nur ganz wenige, die mitmachen dürfen.
Wie viele Enkelkinder sind’s insgesamt?
Ich habe neun, aber zwei sind noch zu klein. Einer meiner Söhne geht mit mir einkaufen. Das ist auch der Sohn, der den Kameramann macht für das Youtube-Ding. Ich darf wegen meiner Hüfte nicht viel tragen und da halte ich mich dran. Ich habe keinen Bock mehr auf weitere Operationen.
Stimmt ja: Sie haben nebenbei auch noch einen Youtube-Kanal.
Das war die Idee meines Sohnes Martin. Der hat gesagt, irgendwann müsste ich doch mal meine Rezepte rausgeben. Aber ich habe nie nach Rezepten gekocht, sondern eher aus der hohlen Hand. Für Youtube muss ich mir hinterher das Rezept ausdenken – und das muss stimmen.
Also bekommt man durch Ihre Videos nicht genaue Maßeinheiten, sondern eher Tipps?
Ja. Ich will zeigen, wie es geht, und es vor allem ganz einfach zeigen – für Leute, die im Büro sitzen und eigentlich keine Lust auf Kochen haben. Ich versuche es sehr schlicht zu halten, sodass man im Grunde fast kein Rezept braucht.
Setzten Sie sich auch mit den Kommentaren auseinander, die sie online bekommen?
Nee. Muss ich das? Stehen da böse Sachen? Martin sagt immer, ich müsse das lesen. Aber das interessiert mich nicht genug. Ich gucke lieber selber andere Videos. Ich habe auch Facebook, aber benutze das kaum.
Bringt der Youtube-Kanal Gewinn?
Wir haben gerade erreicht, was man als Vorbedingung einhalten muss, um damit Geld zu verdienen. Das wäre jetzt ganz schön. Wir brauchen bessere Beleuchtung. Bisher improvisieren wir viel: Der Tisch wird auf Lexika gestellt, damit er eine gewisse Höhe erreicht. Wir arbeiten immer mit der gleichen Szene in der Küche, damit wir diesen Wiedererkennungswert haben, aber stellen momentan sehr abenteuerlich viele Klemmlampen auf.
Soll es denn professioneller werden?
Wir wollen es so homemade lassen, wie es ist. Mach’ es nicht perfekt, dann wird es langweilig, sagt ein befreundeter Kameramann immer. Das ist wie in meinem Wohnzimmer. Ich hatte ja eine sehr große Catering-Firma. Da hätte ich auch meine Oberkellner Andreas und Bernd fragen können, ob die mitmachen wollen. Aber ich wollte das mit Laien machen. Das macht mir mehr Spaß. Meine Enkelkinder hinterlassen bei den Gästen auch mehr Spuren.
Wer kommt denn so zum Essen? Ich habe neulich eine These aufgestellt: Durch Mundpropaganda erreicht das immer ähnliche Kreise. Dann kommt ein Arzt mit seiner Frau und erzählt das weiter. Der kennt nicht unbedingt den Kassierer von Aldi. Insgesamt muss man schon sagen, dass es eher die obere Schicht der Gesellschaft ist, obwohl sich das so elitär anhört. Es waren hier aber auch schon einmal die Kassierer*innen von Ikea aus mehreren Städten, als Gruppe, das war sehr bereichernd. Man darf sich in diesen Zimmern sowieso nur mit Vornamen bewegen, man muss alle Titel weglassen. Und beim Essen sind die sowieso alle gleich.
Vereint das Essen die Menschen?
Gutes Essen macht friedlich und stimmt kommunikativ. Wir servieren hier Family-Style, also nicht tellerweise, sondern wir packen große Schüsseln auf den Tisch und jeder bedient sich. So muss man sich auch gegenseitig helfen – das bringt näher. Die kommen um 18 Uhr und gehen um 23 Uhr und die vorher fremden Menschen sind dann Freunde. Es fließen oft Tränen beim Abschied.
Lernen Sie alle Ihre Gäste kennen?
Ich begrüße die alle mit Umarmung. Das ist zwar unhanseatisch, aber die mögen das! Aber dann stehe ich eigentlich bis nach dem Hauptgang in der Küche. Danach mache ich meine Gesprächsrunde. Ich kläre dann erst mal auf, warum ich das alles mache. Für Spenden nämlich: für das Waldpiratencamp, eine Auszeit für krebskranke Kinder. Eine der ersten Elterninitiativen Deutschlands, die auch die Geschwisterkinder mitnehmen, teilweise sogar die Eltern. Und wo es keine Rolle spielt, ob genug Geld vorhanden ist. Es ist eine dreifache Win-Situation: Die Initiative freut sich, meine Gäste freuen sich, hoffe ich. Und ich habe jeden Freitag hier die Bude voll – und komm’ gar nicht auf die Idee, älter zu werden.
Liegen Sie auch mal daneben, was Gäste angeht oder ein Gericht?
Nee. Es ist schon mal vorgekommen, aber das war dann mein Fehler, dass ich jemanden oder eine Gruppe am Anfang falsch eingeschätzt habe und dann dachte: Die passen hier nicht rein oder nicht zum Rest der Besucher des Abends.
81, lebt in Hamburg und lädt jeden Freitagabend zum Essen in ihr Wohnzimmer ein. Vorher hat sie lange ihre eigene Catering-Firma geleitet.
Seit mehr als einem Jahr veröffentlicht sie ihre Rezepte auf ihrem Youtube-Kanal „Monika Fuchs kocht“, den knapp 3.000 Menschen abonniert haben. Außerdem betreibt sie die Seite monika-fuchs-kocht.de.
Anmeldung fürs Wohnzimmer-Essen unter studiocatering@gmx.de.
Bestimmen die Gäste, was auf den Tisch kommt?
Nein, das ist kein Restaurant hier. Man darf sich nur äußeren, ob man Vegetarier ist. Bei Veganer hört es bei mir schon auf: Das ist schon ein Thema, aber ich hab mich damit nicht genug beschäftigt. Mir reicht schon Laktose-Intoleranz. Oft koche ich extra was für Vegetarier – aber die essen am Ende dann doch mein Fleischgericht. Das passiert mir hier immer wieder.
Wie halten Sie selbst es damit?
Ich merke, dass mein Körper kein Fleisch mehr braucht, das hat gar nichts mit ideologischen Gründen zu tun. Einige in meiner Familie sind auch Vegetarier, hatten schon mal diese Phase. Ich finde auch Gefallen daran, die Sache infrage zu stellen – und dann auf irgendwas zu verzichten.
Nerven diese Extrawürste bei den Gästen nicht?
Wenn sie hier am Tisch sitzen, ich extra eine vegetarische Alternative gekocht habe, und sie dann sagen: „Heute mache ich mal eine Ausnahme“, dann bin ich innerlich am Rotieren.
Was passiert mit den Resten?
Ich lade Samstag oder Sonntagabend die Familie ein. Außerdem hab’ ich ganz viele Enkelkinder, die studieren. Was bedeutet: wenig Geld und viel Hunger.
Haben Sie ein Lieblingsgericht?
Nö. Ich empfinde uns als Allesfresser. So was zu sagen wie: „Ich esse keinen Pfeffer“, ist immer etwas dekadent. Ich könnte Wutanfälle bekommen, wenn ich sehe, was alles an Lebensmittel weggeschmissen wird. Bei Youtube zeige ich deshalb auch gerne, was man mit Resten macht.
Haben Sie Hunger erlebt?
Ich bin im Krieg geboren. Mit Hunger sind wir aufgewachsen, das war für mich ein normales Gefühl. Alle hatten Hunger und alle haben komische Dinge gegessen. Wir sind in den Stadtpark gegangen und haben Bucheckern aufgesammelt und gegessen.
Wie kommen Sie auf die Rezepte?
Mir fallen die Sachen meistens beim Schwimmen ein. Das ist sonst so langweilig. Meinen Stil würde ich als Sonntagsessen bezeichnen. Ich versuche alle Einflüsse aufzunehmen und kann auch alles kochen, von türkisch, asiatisch, indisch bis arabisch. Ich bin in den ganzen Ländern gewesen und versuche das nicht zu verdeutschen. Bei mir wird auch immer durchprobiert, aber einmal in der Woche gibt es was Besonderes – deswegen Sonntagsessen.
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