Behindertenwerkstatt wird verdrängt: Ungewisse Zukunft für Mosaik
Dem ältesten Mosaik-Standort Berlins droht nach 36 Jahren die Verdrängung. Die Hilfe aus der Politik kommt für die Behindertenwerkstatt zu spät.
„Little Amazon“ funktioniert wie sein Namensgeber, nur eine Nummer kleiner, mit mehr Pausen und einem Betreuungsschlüssel von eins zu zwölf. Die Versandhalle ist Teil der Spandauer Mosaik-Werkstatt, in der 270 Menschen mit körperlicher oder geistiger Behinderung in 16 Arbeits- und Förderbereichen lernen und arbeiten: In der Hauswirtschaft oder der Tischlerei, als Paketpackerinnen oder Künstler, unterstützt von Betreuer*innen und lehrenden Handwerker*innen. 1986 hat der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker die Werkstatt am Askanierring 155/56 eingeweiht. Heute, knapp 36 Jahre später, soll das Gebäude verkauft werden.
Die Spandauer Behindertenwerkstatt ist nicht der erste Sozialraum Berlins, dem die Verdrängung droht. Einem ähnlichen Schicksal konnte zum Beispiel die Kreuzberger Lause nur knapp entgehen. Für den Askanierring 155/56 scheint eine sozialverträgliche Lösung zumindest auf den ersten Blick jedoch gar nicht so utopisch: Schließlich will das Gelände kein profitgeleiteter Investor verkaufen, sondern der Bund. Kann es da wirklich so schwierig sein, sich zu einigen?
Auch eine Kita und eine Tanzschule sind bedroht
Das Gelände am Askanierring 155/56 mit seinen drei Arealen A, B und C gehört der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA). Die veräußert Eigentum, das der Bund nicht mehr braucht. „Im Herbst habe ich zum ersten Mal davon gehört, dass die BImA damit schwanger geht zu verkaufen“, sagt Frank Jeromin. Er ist Geschäftsführer von Mosaik, in der Immobilie auf dem Geländeteil A ist die Werkstatt der größte Mieter. Außerdem befinden sich dort eine Kita mit 195 Plätzen und eine Tanzschule mit sechs Sälen. Bei den Grundstücken B und C handelt es sich um Brachland und eine Kleingartenanlage.
Die Geländeteile B und C will das Land Berlin kaufen, das Areal A mit dem alten Kasernengebäude jedoch nicht. Dabei hatte die Sozialverwaltung noch vor zwei Jahren die Absicht, die Behindertenwerkstatt durch einen Kauf der Immobilie dauerhaft zu sichern. Das hätte ein Verwaltungsbeamter ihm mitgeteilt, will sich Jeromin erinnern.
Laut dem Sprecher der Finanzverwaltung, die in solchen Fällen berät, habe die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales den Kauf von Areal A tatsächlich geprüft, sich dann jedoch wegen wirtschaftlicher Bedenken dagegen entschieden. Der Preis, den die BImA forderte, sei angesichts des Investitionsrückstaus der Immobilie zu hoch gewesen, heißt es.
Mosaik hat mitgeboten – vergeblich
Also ging das Angebot auf den offenen Immobilienmarkt. Auch Mosaik hat mitgeboten, als die BImA das Areal A ausgeschrieben hat: 9,6 Millionen Euro – der Preis, den die BImA verlangt hatte. Wenig später kam die Absage, „aufgrund einer großen Anzahl deutlich höherer Angebote“, so die Begründung der zuständigen Sachbearbeiterin. Was „deutlich höher“ heißen soll, bleibt unklar. Die BImA will sich wegen des laufenden Verfahrens nicht dazu äußern, wer welche Summen geboten hat.
Ein paar Jahre darf die Spandauer Werkstatt noch bleiben, erst im vergangenen Jahr hat Mosaik eine Mietverlängerung bis 2031 verhandelt. Dass der Standort darüber hinaus eine Zukunft haben könnte, bezweifelt Jeromin jedoch: „Wenn jetzt jemand 20 bis 30 Millionen zahlt, dann muss er damit Rendite erwirtschaften, die Mieten erforderlich machen, die kein sozialer Träger mehr zahlen kann.“ Quadratmeterpreise von 30 bis 40 Euro würde der Kostenträger nicht erstatten: „Der würde dann sagen: Jetzt ist Schluss, sucht euch was Neues.“
Im Fall von Mosaik geht es jedoch um mehr als um die Schwierigkeit, einen neuen, finanzierbaren Standort dieser Größe zu finden. Über die Jahre ist hier ein Ökosystem gewachsen, in keiner anderen Mosaik-Betriebsstätte gibt es so viele Förder- und Arbeitsbereiche unter einem Dach. „Hier würde wahnsinnig viel verlorengehen“, sagt Agnes Lichtenberg. Sie hat den Spandauer Mosaik-Standort mit aufgebaut, heute leitet sie die Lebensmittelkonfektion. Auf jedem der Arbeitsplätze hinter ihr steht eine Waage, daneben ein Korb mit silbernen Schaufeln. Zuletzt wurde hier Popcorn für einen bekannten Berliner Hersteller abgewogen und verpackt.
Kann ein Erbpachtvertrag die Lösung sein?
„Das Tolle an so einem großen Haus ist, dass es für jeden den geeigneten Arbeitsplatz gibt“, erklärt Lichtenberg. Überleitungen zwischen den einzelnen Förder- und Arbeitsbereichen bedeuten häufig nur einen Etagenwechsel, so könne man auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Mitarbeitenden eingehen, ohne sie aus ihrer gewohnten Umgebung zu reißen. „Viele der Beschäftigten arbeiten 20 bis 30 Jahre hier, die meisten wohnen in der Nähe“, erzählt Lichtenberg, „das hier ist ihr zweites Zuhause, hier sind ihre Bezugspersonen.“ Nicht wenige Mitarbeiter*innen seien wegen ihrer Behinderungen auf kurze Arbeitswege angewiesen. Auch deswegen könne man die Werkstatt nicht einfach schließen und woanders wieder eröffnen.
Auf bezirkspolitischer Ebene scheint das Thema Fahrt aufzunehmen, wenn auch etwas zu spät: Am 11. März stellte die CDU in der Spandauer Bezirksverordnetenversammlung (BVV) einen Dringlichkeitsantrag mit dem Titel „Mosaik erhalten – Askanierring 154/155 kaufen“. Die Mehrheit der Verordneten stimmte dem Antrag zu. Auch Carola Brückner (SPD), die Bezirksbürgermeisterin von Spandau, will verhindern, dass die Behindertenwerkstatt verdrängt wird. Sie fordert, dass das Land Berlin auch das Areal A kauft und der Mosaik GmbH als Erbpacht überlässt: „Das wäre das richtige politische Signal, um diesen sozialpolitisch wichtigen Standort für die Mosaik-Werkstatt zu halten. Wir können auf eine Verbesserung des inklusiven Arbeitsmarktes nicht verzichten“, sagt Brückner.
Ein Erbpachtvertrag zwischen dem Land und Mosaik ist keine neue Idee, Frank Jeromin hat der Sozialverwaltung nach eigenen Angaben vor Monaten schon ein solches Modell vorgeschlagen. Mosaik hätte sich dann selbst um Verwaltung und Sanierung des Gebäudes kümmern müssen, ein Investitionsrückstau wäre für das Land kein Grund mehr gewesen, nicht zu kaufen.
Die Hilfe aus der Politik kommt zu spät
Der Zug sei abgefahren, heißt es bei der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben. „Wir hatten wirklich viel Geduld und haben das Areal dem Land mehrfach auf dem Tablett serviert“, sagt Stephan Regeler, Hauptstellenleiter der BImA für den Verkauf in Berlin und Brandenburg. 2015 habe die BImA den Askanierring 155/56 zum ersten Mal zum Gutachtenwert angeboten. Berlin hatte Erstzugriffsrecht, das gelte normalerweise nur für zwei Jahre. Das Land habe dann ganze fünf Jahre lang geprüft, ob es das Grundstück kaufen will, ohne jedoch ein Nutzungskonzept vorzulegen. Auch der Bezirk Spandau habe den Kauf in Erwägung gezogen.
„2020 hieß es dann: Wir bedauern, dass wir vom Kauf absehen müssen“, erinnert sich Regeler. Erst, als das Inserat schon öffentlich war, habe das Land sich entschieden, doch noch die Freifläche auf den Arealen B und C zu erwerben. Dass auch das Teilgrundstück A und die zugehörige Immobilie in öffentlicher Hand bleiben, hält Regeler für unwahrscheinlich. Der Verkehrswert der Liegenschaft sei durch das fortgeschrittene Bieterverfahren jetzt deutlich höher, es sei schlicht nicht mehr möglich, das Inserat zurückzuziehen und dem Land Berlin die Immobilie doch zum Gutachtenpreis zu verkaufen.
Die Zukunft für Mosaik bleibt ungewiss
In der Hauswirtschaft im Erdgeschoss der Spandauer Behindertenwerkstatt riecht es nach Vanille und Butter. Im Ofen liegt der Hefezopf, den die Auszubildenden gerade gebacken haben. Der Ausbildungsbereich soll für die Arbeit in den Werkstätten vorbereiten, „aber auch fürs Leben, für den Alltag“, erklärt eine Betreuerin. Wo sie danach arbeiten, wissen die Auszubildenden noch nicht. Für die nächsten neun Jahre ist die Spandauer Werkstatt noch gesichert, was dann kommt, bleibt ungewiss.
Die BImA will nach dem Bieterverfahren mit dem Käufer über die Zukunft von Mosaik sprechen. Man hoffe auf eine Zusicherung, dass man nach Mietvertragsende bleiben kann: „Das machen wir zum Verhandlungsgegenstand“, sagt Regeler.
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