Beginn der Sondierungsgespräche: Ein irgendwie alternativloses Bündnis
Union und SPD testen, ob es wieder zum Regieren reicht. Angela Merkel und Martin Schulz klingen fast schon wie Kanzlerin und Vizekanzler.
Auch Angela Merkel versucht sich in gebremstem Optimismus. „Die Gespräche sind gut vorbereitet“, erklärt sie. Merkel rattert die üblichen Themen herunter – von der Weltpolitik über die Steuerung der Migration bis zum digitalen Wandel. Auffällig ist, dass sie zudem fordert, „den Zusammenhalt der Gesellschaft zu festigen“ und für eine „gerechte Verteilung“ zu sorgen. Das sind zwei Formeln, die SPD-Standardrhetorik sind.
Der SPD-Chef sendet nette Kompromisssignale, Merkel übernimmt schon mal SPD-Wording. Als würden schon Kanzlerin und Vizekanzler reden. Auch Horst Seehofer von der CSU spielt seinen Part in der großen Optimismus-Inszenierung. „Ich weiß, dass wir uns verständigen müssen“, sagt er gleich zwei Mal. Wir haben uns das ungeliebte Bündnis also als irgendwie alternativlos vorzustellen. Seehofer versucht den Eindruck zu zerstreuen, dass die CSU nach dem Gepolter auf ihrer Klausur in Seeon der unberechenbare Part in diesem Spiel ist.
Jede Menge Zweckoptimismus und viel Betonung von Professionalität: Es soll anders laufen als bei Jamaika – ohne nervigen Wortklaubereien, dafür zügig und zielorientiert. Es sind zwar insgesamt 39 Verhandler am Werk – doch die Fäden hat das sechsköpfige Lenkungszentrum aus Partei- und Fraktionschefs von SPD, CDU und CSU straff in der Hand. So der Plan. Merkel, Schulz, Seehofer & Co checken jeden Abend die Zwischenergebnisse und sollen eingreifen, wenn es in einer Arbeitsgruppe hakt. Am Sonntag standen die Finanzen im Mittelpunkt. 45 Milliarden Euro gibt es in vier Jahren zu verteilen. Manuela Schwesig, SPD-Ministerpräsidentin in Schwerin, versichert, dass es keine neuen Schulden geben wird – ganz auf Schäuble-Linie. Reiner Haseloff, CDU-Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, glaubt, dass Kompromisse möglich sind – „weil die finanziellen Spielräume größer sind als 2013“.
Der SPD fehlen Symbolthemen
Alle drei Parteien wollen den Soli abschaffen, was de facto eine Steuersenkung für Reiche ist. Dafür wollen alle kleinere und mittlere Einkommen besser stellen. Stress gibt es bei der SPD-Forderung, den Spitzensteuersatz zu erhöhen. Haseloff kündigte schon mal offenherzig an, man müsse der SPD etwas geben, damit die von dem Parteitag das Ja zu Koalitionsverhandlungen bekomme. Ohne zu verraten, was.
Die SPD hat das Problem, dass ihr schon im Wahlkampf ein Symbolthema wie der Mindestlohn fehlte. Wahrscheinlich wird sie sich mit vielen kleinteiligen Verbesserungen bei Kernthemen wie Rente und Pflege zufriedengeben – und hoffen, dass das reicht, um den Widerwillen in der Partei zu überwinden.
In einer Stilfrage wollen sich die Sondierer offenbar von Jamaika unterscheiden: Gestern Nachmittag hieß es, dass die Parteispitzen für diese Woche ein Interviewverbot für alle Verhandlungsteilnehmer verordnet hätten. Das Durchreichen von Zwischenständen an Journalisten sollen so offenbar vermieden werden.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart