Befristung von Postdocs: Karlsruhe kippt Garantien für Wissenschaftler
Das Bundesverfassungsgericht erklärt das Berliner Hochschulgesetz für verfassungswidrig. Das Land Berlin habe keine Gesetzgebungskompetenz.

Die Änderung des Berliner Hochschulgesetzes kam 2021 überraschend. Sie wurde von den Abgeordneten erst im Gesetzgebungsverfahren eingefügt. Die Neuregelung in Paragraf 110 sah vor, dass die Hochschulen allen befristet angestellten Postdocs, also promovierten Wissenschaftler:innen, eine unbefristete Stelle anbieten müssen, wenn sie bestimmte Qualifizierungsziele erreichen. So sollte jungen Wissenschaftler:innen eine sichere Lebensplanung ermöglicht werden. Laut Linkspartei erhalten nur sieben Prozent derjenigen, die nach der Promotion einen Job in der Wissenschaft annehmen, einen unbefristeten Vertrag.
Gegen die Neuregelung gab es sofort heftige Proteste. Die Hochschulen warnten, dass sie bald keine neuen Nachwuchs-Wissenschaftler:innen mehr einstellen könnten, wenn alle Stellen unbefristet besetzt sind. Die HU-Präsidentin Sabine Kunst trat sogar zurück, sie stehe für solchen „Murks“ nicht zur Verfügung, sagte sie. CDU und FDP wandten sich mit einem Normenkontrollantrag an das Landesverfassungsgericht, das jedoch noch nicht geurteilt hat. Und die HU erhob Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe.
Dort erklärten die Richter:innen die Neuregelung nun für verfassungswidrig und nichtig. Die Übernahmepflicht greife in die Wissenschaftsfreiheit der Hochschule ein, heißt es. Denn sie nehme ihr die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, welche Wissenschaftler:innen sie dauerhaft einstellen will. Dieser Eingriff sei auch nicht durch Paragraf 110 gerechtfertigt, das das Land Berlin hierfür keine Gesetzgebungskompetenz habe. Im „Arbeitsrecht“ habe der Bund eine „konkurrierende“ Gesetzgebungskompetenz. Und wenn der Bund eine abschließende gesetzliche Regelung getroffen hat, sind den Ländern die Hände gebunden.
Neuregelung war nicht in Kraft
Auf Bundesebene gilt bereits seit 2007 das Wissenschafts-Zeitvertragsgesetz. Es erlaubt, dass Nachwuchswissenschaftler:innen bis zur Promotion maximal sechs Jahre befristet angestellt werden können und nach der Promotion weitere sechs Jahre. Pro Kind verlängert sich die Zeit um zwei Jahre.
Die Verfassungsrichter:innen halten diese Regelung für abschließend. Sie sperre landesgesetzliche Regelungen, die einen Anspruch auf unbefristete Weiterbeschäftigung geben. Als Beleg dafür, dass der Bundestag derartiges sogar ausdrücklich ausschließen wollte, führten die Karlsruher Richter:innen einen entsprechenden Antrag der Linken aus dem Jahr 2015 an, der von der Mehrheit des Bundestags abgelehnt wurde.
Das Bundesverfassungsgericht stützte die Verfassungswidrigkeit ausschließlich auf die fehlende Gesetzgebungszuständigkeit des Landes Berlin. Es ließ damit offen, ob stattdessen der Bundestag den Hochschulen Übernahmepflichten für Postdocs auferlegen könnte.
Konkrete Auswirkungen hat der Karlsruher Beschluss indes kaum. Denn wegen der Proteste und der verfassungsrechtlichen Zweifel ist die Neuregelung noch gar nicht in Kraft getreten. Mehrfach war eine Übergangsregelung verlängert worden, zuletzt bis zum 1. Januar 2026. Es gibt also keine Betroffenen, deren Übernahme-Zusage nun infrage steht. Außerdem plante der schwarz-rote Senat ohnehin eine Änderung des Hochschulgesetzes, bei der die Übernahmegarantie für erfolgreiche Postdocs wieder abgeschafft werden sollte.
Nun ist der Bundestag gefragt
Darauf verwies auch Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) in einer ersten Stellungnahme. Man wolle dem akademischen Mittelbau nun „mehr Sicherheit und Planbarkeit“ geben, indem „innovative neue Dauerstellenkategorien“ (Researcher und Lecturer) eingeführt werden, so Czyborra am Donnerstag. Die Gewerkschaft GEW sieht darin aber nur Symbolik: „Die Einführung dieser neuen Stellenkategorien im Gesetz verpflichtet keine Hochschule dazu, diese Stellen an ihrer Hochschule auch tatsächlich zu schaffen.“
Der Blick der Betroffenen dürfte sich nun auf den Bund richten. Schon die Ampel-Koalition wollte das Wissenschafts-Zeitvertragsgesetz reformieren. Vorgesehen war unter anderem, dass der erste Arbeitsvertrag nach einer Promotion in der Regel eine Mindestlaufzeit von zwei Jahren haben muss. Allerdings sollte die Postdoc-Phase auf vier Jahre (statt bisher sechs Jahre) begrenzt werden. Der Gesetzentwurf fiel jedoch dem Ampel-Aus zum Opfer.
Die schwarz-rote Koalition im Bund will nun einen neuen Anlauf unternehmen und das Gesetz bis Mitte 2026 novellieren. Im Koalitionsvertrag heißt es, dass „Mindestvertragslaufzeiten vor und nach der Promotion“ eingeführt werden sollen. Von Übernahmegarantien und Dauerstellen ist jedoch nicht die Rede.
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