Beerdigung nach Milieu-Mord: Viele Männer im Sonnenallee-Style
„Möge Allah euch alle reichlich belohnen“: Mehr als 1.000 Menschen kommen zur Beerdigung des am Sonntag in Neukölln erschossenen Intensivtäters Nidal R.
Ganz langsam schiebt sich am Donnerstagvormittag das Auto mit dem Sarg von Nidal R. durch die Menge vor dem Friedhof Schöneberg. Seit etwa 20 Minuten haben Polizisten versucht, den Weg freizuhalten, die Trauergäste immer wieder aufgefordert, auf den Bürgersteigen zusammenzurücken. Nun aber ist das Mobil umringt von Hunderten Männern, fast ebenso viele Handys werden zum Fotografieren in die Luft gehalten. Immer wieder wird lautstark gefordert, Platz zu machen. Als das Gefährt die Einfahrt zum Friedhof passiert hat, wollen Polizisten das Tor wieder schließen, doch die Masse schiebt sie einfach beiseite.
Nidal R. war am vergangenen Sonntag am helllichten Tag an einem Eingang zum Tempelhofer Feld erschossen worden, im Beisein seiner Frau und Kinder. Eine Tat wie aus dem Drehbuch der Serie „4 Blocks“, selbst für die oft gewaltsamen Auseinandersetzungen arabischer Clans von besonderer Brutalität und Skrupellosigkeit. Der 36-jährige R. galt als bekanntester Intensivtäter der Stadt: 80 Straftaten hatte er schon gesammelt, bis er auch nur strafmündig wurde. Einer, der viel Aufmerksamkeit in der Szene generierte, aber sich auch viele Feinde gemacht hatte.
Von denen ist an diesem Tag nichts zu sehen, stattdessen waren geschätzt mehr als 1.000 Menschen erschienen, um Abschied zu nehmen, der überwiegende Teil Männer. Nicht in schwarzen Anzügen, sondern im Sonnenallee-Style: sportliche Kleidung, viele Jogginghosen, keine religiösen Gewänder. Küsschen links, Küsschen rechts, Handshakes, wenig Plaudereien. Die Mehrheit schweigt und guckt grimmig. Etwas abseits steht eine Traube von etwa 50 Frauen, einige mit Tränen in den Augen. Im Eingangsbereich des Friedhofs wird der Sarg aus dem Auto geholt, eingehüllt in eine palästinensische Flagge.
Nidal R. war in Berlin geboren, seine Familie palästinensischer Abstammung. Paktiert hatte R. mit einem bekannten Clan libanesischer Kurden. Etwas abseits seiner Grabstätte auf dem muslimischen Teil des Friedhofs wird sein Sarg aufgebahrt. Aus einer mobilen Anlage wird eine Ansage abgespielt, ein Mix aus Deutsch und Arabisch. Die Aufforderung an die „lieben Brüder“ lautet, bitte ruhig zu sein; „Möge Allah euch alle reichlich belohnen.“
Nach der Einführung zweier Geistlicher stellt sich die Menge gen Mekka zu einem Totengebet auf. Zehn Minuten später wird der Tote, nur in Tücher gehüllt, in die Erde gelassen. Die Gewalt auf Berlins Straßen dürfte damit nicht begraben sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen