Bedrückende Doku über Jesidenmord: Zeugnis des Mordens
Mit „Háwar – Meine Reise in den Genozid“ hat die Hannoveranerin Düzen Tekkal eine Dokumentation über die Verfolgung der Jesiden gedreht.
HANNOVER taz | Die ersten Aufnahmen sind idyllisch: Düzen Tekkal sitzt inmitten ihrer großen Familie am Essenstisch in Hannover und erzählt davon, dass sie gemeinsam mit dem Vater in dessen Geburtsort im Nordirak reisen will, um dort ihre eigenen Wurzeln zu finden. Gefilmt wurde diese Sequenz im Jahr 2012, und möglich war das nur durch die Hilfe von Kollegen und mit deren Ausrüstung. Weder Geld stand in Aussicht noch ein genauer Drehplan, aber Tekkal wollte unbedingt die Geschichte der Jesiden erzählen, einer der ältesten Religionsgemeinschaften der Welt.
2014 besetzten dann die Truppen des sogenannten „Islamischen Staates“ den Teil des Iraks, in dem die Jesiden leben und ihre Heiligtümer haben. Hunderte von ihnen wurden massakriert, die Frauen entführt und versklavt. Tausende waren gezwungen zu fliehen. Im Gebirge von Sindschar verdursteten viele, und in den Familien gab es oft mehr Getötete als Überlebende.
Dem Filmprojekt von Düzen Tekkal verliehen diese Geschehnisse ein ganz anderes Gewicht: Wie einst ins Auge gefasst, fuhr sie mit ihrem Vater in das Krisengebiet – nun allerdings, um den Völkermord zu dokumentieren. Den trägt der Film, der dabei herauskam, auch im Titel: „Háwar – Meine Reise in den Genozid“. Tochter und Vater wurden zu Kriegsberichterstattern, fuhren mit Schutzwesten durch umkämpfte Gebiete: um sich selbst ein Bild zu machen und um es den Überlebenden zu ermöglichen, ihre Geschichten zu erzählen.
Diese Zeugnisse sind erschütternd. Kinder schreien und weinen, erzählen in die Kamera, wie ihre Eltern vor ihren Augen umgebracht wurden. Frauen berichten, dass sie ihre toten Kinder während der Flucht unbeerdigt liegen lassen mussten. Ein Vater, dessen Tochter von IS-Terroristen gefangen wurde, sagt, ihm „wäre es lieber, sie wäre tot, als in den Händen dieser Bestien“.
Es ist durchaus umstritten, ob man solche tief traumatisierten Menschen vor der Kamera befragen und diese Aussagen dann auch noch veröffentlichen darf. Allerdings ist Tekkal ja gerade keine professionelle Kriegsreporterin. Als Jesidin ist sie selbst Beteiligte. Im Film geht sie auf diesen Umstand auch früh ein: Nach ihrer Ankunft im Irak erzählt sie, nun „nicht mehr objektiv berichten“ zu können. Später sagt sie wiederholt in die Kamera, dass sie ihre Situation als letztlich hilflose Beobachterin „nicht mehr aushalte“. Hier war es die einzig richtige Entscheidung, sich selbst als Protagonistin in ihrem Film zu inszenieren, denn so zeigt sie auch immer, warum und unter welchen Bedingungen sie gearbeitet hat.
So löst ihr Besuch in einem jesidischen Flüchtlingslager in der Türkei eine spontane Demonstration aus, für die schnell Plakate mit Slogans in Englisch gebastelt und die Forderungen der Campbewohner laut in die Kamera skandiert wurden. Tekkal dokumentiert also, was passiert, wenn ein ausländisches Kamerateam das Lager besucht. Auch das ist aufschlussreich. Und es ist nicht weniger erschütternd – Tekkal scheint die einzige gewesen zu sein, die mit der Kamera das Camp besuchte, in dem 40.000 Menschen leben.
Sie gibt mit ihrem Film den Jesiden eine Stimme, was auch deshalb so wichtig ist, weil die IS-Terroristen mit ihrer Propaganda so präsent ist in den Medien, seien es die etablierten oder die jüngeren, so genannten sozialen. Tekkal zitiert die IS-Hetze in wenigen kurzen Passagen – und sagt rückblickend, heute würde sie auch darauf noch verzichten. Andererseits setzt die Journalistin diese Bilder des Gegners sehr effektiv ein, wenn sie etwa Selfies von IS-Kämpfern zeigt, die die jesidische Soldaten auf den Handys toter Gegner gefunden haben.
Denn es gibt auch jesidischen Widerstand – angeführt von einem Gärtner aus dem nordrhein-westfälischen Bad Oeynhausen: Kasim Schescho ließ seine bürgerliche Existenz in Deutschland hinter sich und wurde im Nordirak ein Brigadeführer, der „Löwe von Sindschar“. Im Film sprechen Tekkal und er Deutsch. Später trifft sie Scheschos 23-jährigen Sohn, der ebenfalls eine Zeitlang im Irak gegen den IS gekämpft hat – in Hannover, wo er inzwischen wieder auf die Berufsschule geht. Er erzählt davon, wie der Krieg und das Leid seiner Opfer ihn für immer verändert haben und wie fremd er sich nun fühlt, zurück in seiner Heimat.
Tekkal hat auch das religiöse Oberhaupt der Jesiden, „Baba Sheikh“, in deren spirituellem Zentrum Lalish besucht und eine jesidische Abgeordnete befragt, deren leidenschaftliche Rede im irakischen Parlament dafür sorgte, dass US-Präsident Barack Obama vom drohenden Genozid der Jesiden erfuhr und Hilfsmaßnahmen initiierte. Doch in der letzten Sequenz ihres Films gelingt es ihr, den Bogen zu schließen: Sie erzählt von der ganz persönlichen Reise, die sie mit ihrem Vater unternahm, in dessen Geburtsort im Südosten der Türkei, von dem nur noch ein paar Steine übrig sind.
„Háwar“ lief 2015 auf den Hofer Filmtagen und danach in einer Vorführung im Deutschen Bundestag. Dann kaufte ihn das ZDF, zeigte ihn bislang aber bisher nur im Spartenkanal ZDF Info. Düzen Tekkal selbst dagegen ist inzwischen eine Medienpersönlichkeit geworden. Sie wird gerne in Talkshows eingeladen, hat ein kontrovers diskutiertes Sachbuch geschrieben („Deutschland ist bedroht. Warum wir unsere Werte jetzt verteidigen müssen “, Berlin Verlag 2016) und den Verein „Háwar“ zur Unterstützung der Jesiden gegründet.
Und doch findet sie Zeit, mit ihrem Film durch das Land zu tingeln und ihn persönlich vorzustellen, oftmals als Gast von politischen Gruppen oder auch Schulen. Jetzt ist es der Deutsche Gewerkschaftsbund, der eine Vorführung in Salzgitter organisiert. Später im Jahr wird „Háwar“ auch noch in Heide und Husum zu sehen sein.
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