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Geplanter Kiezblock in NeuköllnPoller im Getriebe

Die Idee ist genial einfach: Mit ein paar Pollern wird ein Kiez vom Durchgangsverkehr befreit. Doch die Mühlen der Mobilitätswende mahlen langsam.

Berlin taz | Tag für Tag rumpeln Tausende Pkws und Lastwagen durch die verkehrsberuhigten Straßen rund um den Neuköllner Richardplatz, und manchmal rasen sie auch, trotz Tempo 20. In der Woche vom 17. bis zum 23. Oktober waren es 16.000 motorisierte Fahrzeuge allein in der Hertzbergstraße – mindestens, denn das Verkehrszählgerät, das Mitglieder der Initiative Kiezblock Rixdorf dort hinter einem Wohnungsfenster installiert haben, funktioniert nur bei Tageslicht. Das Bild ist aber eindeutig: Ein ruhiger, lebenswerter Kiez sieht anders aus.

Kein Wunder, dass die Geduld vieler AnwohnerInnen langsam aufgebraucht ist: Vor fast genau einem Jahr, im November 2021, zogen Dutzende von ihnen in einer Demonstration unter dem Motto „Schluss mit dem Blablabla – Kiezblocks jetzt umsetzen!“ rund um den Richardplatz. „Freiräume statt Blechwüste“ oder „Mehr Platz für Menschen“ stand auf ihren Schildern. Im Aufruf zur Kundgebung prangerte die Kiezblock-Initiative, die zum Netzwerk des Vereins Changing Cities gehört, die Untätigkeit des Bezirksamts an: Schließlich hatte die BVV schon ein halbes Jahr zuvor die Einrichtung mindestens dreier Kiezblocks – in Rixdorf, im Schillerkiez und rund um die Reuterstraße – beschlossen. Die Umsetzung ließ jedoch auf sich warten.

Dabei bedurfte es aus Sicht der AktivistInnen wenig mehr als etwas guten Willens, um das von ihnen entwickelte Verkehrsberuhigungskonzept umzusetzen – und das die Bezirksverordneten in ihrem Beschluss auch gutgeheißen hatten. Ihr Vorschlag: Der Kiez rund um Neuköllns historischen Ortskern wird mit wenigen, strategisch platzierten Pollern in vier Segmente unterteilt. AnliegerInnen können in jeden davon mit dem Auto hineinfahren, müssen ihn aber in der Richtung, aus der sie gekommen sind, auch wieder verlassen. Mit dem ständigen Durchgangsverkehr von FahrerInnen, die den kürzesten Weg zwischen Sonnenallee und Karl-Marx-Straße suchen, wäre es vorbei.

Heute sind seit dem BVV-Beschluss schon anderthalb Jahre vergangen, passiert ist immer noch (fast) nichts. Nur die sogenannte Schnalle – die Verbindung zwischen Richard- und Karl-Marx-Platz – wurde im Sommer 2021 mit einem amtlichen Poller versperrt, der anfangs mehrmals der Zerstörungswut von Kfz-FahrerInnen zum Opfer fiel. Bald hatten diese sich aber damit arrangiert und waren auf parallele Schleichwege ausgewichen.

Entsprechend frustriert sind die AktivistInnen: „Das ist alles ziemlich zäh“, sagt Lisa Hillebrand von Kiezblock Rixdorf, „der Bezirk verweist gerne auf fehlende Ressourcen, aber das Problem ist auch ein Mangel an Entscheidungswille und Ziel­orientiertheit.“ Die Zivilgesellschaft müsse den Druck hoch halten, in der Initiative denke man schon über neue öffentliche Aktionen nach.

Als positiv verbucht Hillebrand andererseits, dass ihre Initiative bereits mehrere Gesprächsrunden mit dem grünen Verkehrsstadtrat Jochen Biedermann drehen konnte – und dass das „ob“ einer Reduzierung des Durchgangsverkehrs im Bezirksamt nicht mehr diskutiert wird: „Der Bedarf eines Konzepts ist mittlerweile unstrittig, das ist gut.“

Biedermann, selbst Radfahrer und bewegungsnah, steht als Verantwortlicher und Grüner unter besonderer Beobachtung der Kiezblock-Fans. Als die letzte Demo durch den Kiez zog, hatte er gerade die Zuständigkeit für die Umsetzung der Mobilitätswende im Bezirk übernommen. Der neue Verkehrsstadtrat müsse jetzt „ein 100-Tage-Programm vorlegen und Kiezblocks mit vorläufigen Maßnahmen umsetzen“, forderten die Aktiven damals.

Keine Schnellschüsse

Aber von Schnellschüssen hält Biedermann nicht viel. Er will, dass alles verlässlich durchgeplant ist, bevor Sperren errichtet werden: „Solche Verkehrs­anordnungen sind wahnsinnig komplex“, sagt Biedermann der taz. Es herrsche die Überzeugung, dass es nicht so schwierig sein könne, ein paar Poller aufzustellen. „Aber wehe, man beachtet irgendeine Auswirkung nicht. Dann heißt es: Totale Fehlplanung, warum habt ihr daran nicht gedacht?“ Etwas auf die Straße zu bringen, was nicht funktioniert, fände er „mehr als unbefriedigend“.

Biedermann gibt einen Einblick in die Untiefen der Verkehrsplanung – Abstimmungsprozesse mit etlichen Beteiligten wie der Polizei und der Feuerwehr, die viel Zeit in Anspruch nehmen. Aber auch Detailfragen, an denen ein scheinbar genial einfaches Konzept monatelang hängenbleiben kann: „Die konkrete Ausgestaltung, was den denkmalgeschützten Bereich am Richardplatz angeht, ist nicht ganz trivial“, sagt er.

Das heißeste Eisen ist die nötige Diagonalsperre auf Höhe der Richardstraße: Hier ist der Denkmalschutz auf die Barrikaden gegangen. Ein halbes Dutzend oder mehr rot-weiße Poller quer durch das historische Ensemble mit der Schmiede aus dem 18. Jahrhundert und der Trinkhalle von 1910? Geht gar nicht! Rot und weiß müssen die Pfosten laut Jochen Biedermann aber wohl sein: „Es handelt sich um ein Hindernis auf der Fahrbahn, da gibt es höhere Anforderungen an die Sichtbarkeit als bei einem Gehweg.“ Eine feste, bauliche Sperre komme auch nicht in Frage, das sei mit Straßenfesten wie dem stadtweit beliebten Alt-Rixdorfer Weihnachtsmarkt nicht vereinbar.

Umsetzung im Frühjahr?

Wie die Lösung aussieht, ist noch unklar, aber sie wird kommen. „Ich gehe davon aus, dass wir das im Frühjahr 2023 umgesetzt kriegen“, verspricht der Stadtrat. Der Rixdorfer Kiezblock habe zusammen mit dem im Reuterkiez „höchste Priorität“.

Wenn es so kommt, können viele Menschen aufatmen, für einige wird es aber noch ein wenig unangenehmer als jetzt schon. Insbesondere für alle, die an der Saalestraße wohnen, der südlichen Verbindungsstraße von Sonnenallee und Karl-Marx-Straße, die parallel zur Ringbahntrasse verläuft. Hier ist das Verkehrsaufkommen schon heute enorm hoch, und nicht selten steht der BVG-Bus mitten im Stau – zusammen mit dem umgelenkten Durchgangsverkehr künftig wohl noch länger.

Wäre schon praktisch, hier die Poller zu erkennen: Richardplatz im Abendlicht Foto: IMAGO / Jochen Eckel

Die Kiezblock-Initiative ist sich dessen bewusst und fordert Tempo 30 sowie eine Vorrangregelung für den ÖPNV. Auch Jochen Biedermann findet, man könne „nicht drumherumreden“, dass hier eine zusätzliche Belastung für die AnwohnerInnen entstehe. Wie die AktivistInnen auch setzt er seine Hoffnung auf die mittelfristigen Effekte der Verkehrswende: „Mit der wollen wir ja erreichen, dass der Autoverkehr insgesamt abnimmt, weil es attraktive Alternativen gibt.“

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3 Kommentare

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  • "Hier ist der Denkmalschutz auf die Barrikaden gegangen. Ein halbes Dutzend oder mehr rot-weiße Poller quer durch das historische Ensemble mit der Schmiede aus dem 18. Jahrhundert und der Trinkhalle von 1910? Geht gar nicht!"

    Finde immer spannend, dass sechs Poller ein Problem sein sollen, aber 600 bunte Verkehrszeichen und noch mehr Autos sind gar kein Thema.

  • Zitat: "Wie die AktivistInnen auch setzt er seine Hoffnung auf die mittelfristigen Effekte der Verkehrswende: „Mit der wollen wir ja erreichen, dass der Autoverkehr insgesamt abnimmt, weil es attraktive Alternativen gibt.“



    Schön, wo sind denn die attraktiven Alternativen? Die sollten möglichst vorher da sein. Ich mag den Vergleich Berlin/Wien eigentlich nicht, dort werden aber erst Angebote im ÖPNV hergestellt.

    • @Tze Lu-:

      Ich denke nicht, dass in einer Großstadt mit guter ÖPNV-Infrastruktur erst großartig attraktive Angebote geschaffen werden müssen, bevor man beginnt, die Autofahrenden weniger zu hofieren und ihnen das Fahren etwas unattraktiver zu machen (als es doch eigentlich sowieso schon ist...). Wenn es ungemütlicher wird, werden Menschen schon zu dem Schluss kommen, dass Öffentliche kein Teufelswerk sind.



      Es ist davon abgesehen nötig, schnell zu handeln, denn ein selbständiges Umdenken und Weitsicht in Bezug auf Zukunft (Klimakollaps) und Einfluss des eigenen Handelns ist in der Masse eher nicht zu erwarten, so ist das leider.