Bedingungsloses Grundeinkommen: Bürokratieabbau und Niedriglöhne
Die Stadt Helsinki will mit einem Pilotversuch das bedingungslose Grundeinkommen testen. Es gibt Kritik von links.
![Menschen sitzen in einer Sauna Menschen sitzen in einer Sauna](https://taz.de/picture/1169384/14/15773624.jpeg)
Die finnische Sozialversicherungsbehörde Kela hat im Auftrag der regierenden Koalition aus dem rechtsliberalen Zentrum, den Konservativen und den Wahren Finnen verschiedene Modelle ausgearbeitet und unter dem Titel „Von der Idee zum Experiment?“ vorgestellt. Spätestens im Herbst muss die Regierung entscheiden, dann könnte der Versuch 2017 starten. Angesichts der angestrengten finnischen Staatsfinanzen ist klar, dass derzeit nur das Modell Chancen auf Realisierung haben dürfte, das als „kostenneutral“ eingeschätzt wird.
Dabei handelt es sich um ein „partielles Grundeinkommen“ von 550 bis 750 Euro, das zugleich alle bisherigen Sozialleistungen ersetzt. Zunächst sollen es 1.500 bis 10.000 Personen erhalten, wobei die Auswahlkriterien noch offen sind.
Die Idee eines Grundeinkommens sei zwar, dass alle es bekommen, auch die, die arbeiten, betont Kela-Forscher Pertti Honkanen: Doch am liebsten würde man den ersten Praxistest auf 25- bis 63-jährige Sozialleistungsbeziehende beschränken. Da könne man Effekte eines Grundeinkommens beim Bürokratieabbau und „den Anreizen, eine Arbeit anzunehmen“, am ehesten testen.
„Neoliberale Mogelpackung“?
Diese Ausrichtung hat umgehend kritische Stimmen vor allem der Linken und der Grünen auf den Plan gerufen. Sie sehen darin eine „neoliberale Mogelpackung“ einer rechtsliberal-konservativen Regierung mit einer ausgeprägt unternehmerfreundlichen Schlagseite und Austeritätspolitik als primärem Ziel. Zumal diese Koalition gerade zusätzliche Verschlechterungen bei Arbeitszeit, Urlaubs- und Krankengeld sowie die Absicht, die „Gewerkschaften an die Kandare nehmen“ zu wollen, verkündet hat.
Tatsächlich würde ein Höchstniveau von 750 Euro – die unterschiedlichen Lebenshaltungskosten berücksichtigt, wären das in Deutschland rund 630 Euro – beim gleichzeitigen Wegfall aller individuellen Sozialleistungen einen weiteren verkappten Sozialabbau bedeuten. Zum Vergleich: Die allen Renten Beziehenden garantierte Minimalpension liegt in Finnland derzeit bei 747 Euro. Auf die müssen keine Krankenversicherungsbeiträge gezahlt werden, zusätzliche Leistungen wie etwa Wohngeld sind möglich.
Pertti Honkanen, KELA
Das angepeilte Niveau sei zu niedrig, meint deshalb auch Jan von Gerich, Chefanalytiker der Nordea-Bank. Realistischerweise müsse ein Grundeinkommen bei mindestens 1.000 Euro liegen. Das sei aber ohne Steuererhöhungen nicht finanzierbar: Schon 550 Euro würden zusätzliche Staatsausgaben von 11 Milliarden Euro bedeuten.
Der Gewerkschaftsdachverband SAK hält das Experiment für „zu verwässert“, als dass sinnvolle Resultate zu erwarten seien. Linke und Teile der Sozialdemokraten warnen darüber hinaus, dass ein „Mini-Grundeinkommen“ den Unternehmen nur ermöglichen werde, den jetzt schon großen Niedriglohnsektor weiter auszuweiten. Der möglicherweise einzige Gewinn dieses Modells wäre ein Bürokratieabbau. Den könnte man allerdings auch einfacher erreichen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Macrons Krisengipfel
Und Trump lacht sich eins
Krisentreffen nach Sicherheitskonferenz
Macron sortiert seine Truppen
Maßnahmenkatalog vor der Bundestagswahl
Grünen-Spitze will „Bildungswende“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
USA und Russland besetzen ihre Botschaften wieder regulär
Gentrifizierung in Großstädten
Meckern auf hohem Niveau
Die Neuen in der Linkspartei
Jung, links und entschlossen