piwik no script img

Bedeutungsschwere SatzzeichenAnschreizeichen sind keine Diagnose

Immer geht es nur um Sternchen. Dabei gäbe es doch auch zu Ausrufezeichen und Semikola einiges zu sagen.

Das ist kein Anschreizeichen Foto: Kate Elizabeth/dpa

N eulich bin ich bei einer alten Seinfeld-Folge eingeschlafen – Sie wissen schon diese Serie, die man in den 90ern unfassbar lustig und cool fand. In der Folge ging es unter anderem darum, dass die Figur namens Elaine einen Typen abserviert, weil er es versäumt hat, in einer Telefonnotiz ein Ausrufezeichen zu setzen, wo ihrer Meinung nach unbedingt eines hingehörte.

Das gehört natürlich zum speziellen Humor der Serie und klingt jetzt erst einmal sehr seltsam (zumal er vorher die Wohnung geputzt und gekocht hatte – wofür die meisten Frauen, die ich kenne, ihm noch ganz andere Dinge durchgehen lassen würden als Zeichensetzungsfehler, aber egal).

Ich musste jedenfalls daran denken, dass *Sternchen ja möglicherweise nicht die einzigen Zeichen sind, die gerade einem dramatischen Bedeutungswandel unterliegen. Ich mag Ausrufezeichen schon seit einem Weilchen nicht mehr. Ich weiß gar nicht genau, wann das angefangen hat, bin mir aber ziemlich sicher, dass es irgendwie mit Facebook zusammenhängt.

Meine Schwester nennt sie auch nur noch „Anschreizeichen“. Aber die arbeitet auch in der öffentlichen Verwaltung, da wird der assoziative Zusammenhang noch deutlicher. Ausrufezeichen sind das Lieblingssatzzeichen von Wut- und Reichsbürgern, AfD-Wählern, Trollen, Online-Kommentatoren und Leserbriefschreibern. Das ist wirklich schade für das arme Ausrufezeichen, ich glaube, es war tatsächlich mal nützlich, aber jetzt stinkt es.

Das Semikolon heißt auch nicht mehr, was es mal war

An einem anderen Abend – mit Theke statt Fernseher – traf ich eine junge Frau, die sich ein Semikolon auf das Handgelenk tätowieren hatte lassen. Das bedeutet mittlerweile ganz offensichtlich auch etwas anderes als mein Deutschlehrer damals noch dachte, lernte ich bei dieser Gelegenheit. Wenn ich das richtig verstanden habe, steht es für Menschen, die unter Depressionen leiden, suizidgefährdet sind oder sich schon einmal selbst verletzt haben.

Eine junge Amerikanerin soll das „Project Semicolon“ gegründet haben, nachdem sich ihr Vater das Leben genommen hatte. Berühmt gemacht hat es wohl die Netflix-Serie „Tote Mädchen lügen nicht“.

Die Wahl dieses speziellen und eigentlich selbst schon fast vom Aussterben bedrohten Satzzeichens wird mit einem Satz begründet, der gut für Instagram-Kacheln taugt: „Ein Semikolon wird verwendet, wenn ein Autor einen Satz hätte beenden können, sich aber dazu entschieden hat, es nicht zu tun. Du bist der Autor und dieser Satz ist dein Leben.“

Theoretisch gut, praktisch instabil

Ich weiß erst einmal nicht so genau, was ich davon halten soll. Theoretisch verstehe ich natürlich den Ansatz, psychische Krankheiten von ihrem Stigma zu befreien, die gesellschaftliche Aufmerksamkeit zu erhöhen, Betroffene zu ermächtigen und so weiter und sofort.

Aber irgendwie scheint mir das alles auch ein bisschen viel für dieses schmale Handgelenk auf dem dunklen Thekenholz. Sie wolle, erklärt mir die junge Frau, das Tattoo auch eigentlich wieder loswerden, es sei mit einer Phase ihres Lebens verbunden, die ihr jetzt weit weg erscheine.

Siehste, brabbelt einer der Betrunkenen am Nebentisch. Alles Quatsch, man würde sich doch andere Diagnosen auch nicht auf die Haut stempeln lassen, die ändern sich ja doch auch wieder. Und überhaupt, wo käme man dahin, wenn man Menschen da mit einem Blick in so Schubladen einsortieren würde, das ist doch eigentlich Nazi-Scheiß.

Er würde sich – wenn überhaupt – nur seinen Intelligenzquotienten irgendwohin tätowieren lassen. „Na jaa“, sagt seine Freundin mit schwerer Zunge, nachdem sie darüber ein Weilchen nachgedacht hat. „Aber wenn du so weitersäufst, bleibt der ja auch nicht stabil.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Nadine Conti
Niedersachsen-Korrespondentin der taz in Hannover seit 2020
Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Also ich trage seit 17 Jahren ein kleines Ausrufezeichen auf dem rechten Mittelfinger und bereue es nicht.



    Als kleiner Punk mit Migrationshintergrund und linksradikalen Thesen erlebt maus ne Menge Stigmatisierung und es hilft mir bis heute, mich abzugrenzen.



    Außerdem haben zwei wichtige Menschen in meinem Leben mit ein paar Jahren Abstand zu mir aber im selben Jahr, trotzdem unabhängig von einander, sich auch Ausrufezeichen auf die Mittelfinger stechen lassen.



    Das Ausrufezeichen ist mir also sehr sympathisch und auch das Semikolon-Ding klingt für mich eigentlich ziemlich plausibel, auch wenn ich grade zum ersten Mal davon erfahren habe.

    • @KnorkeM:

      Wierum ist es denn, das Ausrufezeichen?