Bausünden in Steglitz: Parkplätze, Pisse, Privatisierung
Die Architektur in Steglitz steht für Größenwahn und Scheitern. Bei einem Kiezspaziergang stößt man auf Investorenprojekte, Autobahnen und eine Rollerdisko.
An einem lauen Spätsommerabend führt Dennis Egginger-Gonzalez eine kleine Personengruppe durch den Kiez. „Auf der kurzen Strecke zwischen „Boulevard Berlin“ und Steglitzer Kreisel wird überdeutlich, dass die Investoren und Immobilienfirmen mittlerweile tun und lassen können, was sie wollen“, sagt der Bezirksverordnete der Linkspartei dabei. Egginger-Gonzalez ist auch Mitglied im Stadtplanungsausschuss von Steglitz-Zehlendorf. Die Politik habe selbst verschuldet die Kontrolle über den Bezirk weitgehend verloren, kritisiert er. Die Planungen für eine autogerechte Stadt hätten große Räume in Berlin blockiert, die heute für eine soziale Stadtplanung fehlten.
Den Kiezspaziergang hat der Bildungsverein Helle Panke der Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin organisiert. Die etwa 20 Menschen, die teilnehmen, kommen fast alle aus dem Bezirk. Als der Rundgang beginnt, ist es noch hell – und trotzdem schauen die besuchten Orte sehr düster aus.
Da ist etwa das 2012 eröffnete „Boulevard Berlin“. Mit 64.000 Quadratmetern Verkaufsfläche ist es die drittgrößte Shoppingmall Berlins, direkt an der Schloßstraße gelegen. Doch wenn man das Einkaufszentrum betritt, ist es auffallend leer. Kein Wunder: Geschäfte gibt nur noch im Erdgeschoss, das erste und das zweite Stockwerk sind verwaist. Im Parkhaus sind nur 200 von 850 Stellplätzen belegt.
Eine Straße, vier Shoppingsmalls
Das Einkaufszentrum sei bereits vor der Coronapandemie ins Wanken geraten, sagt Egginger-Gonzalez. Das mag auch daran liegen, dass das „Boulevard“ nicht einmal die einzige Mall auf der Schloßstraße ist: Mit dem „Schloss“ am Rathaus Steglitz, dem „Forum Steglitz“ und „Schloss-Straßen-Center“ ist die Konkurrenz enorm. Die Straße sei „überreizt“, sagt Egginger-Gonzalez. Der Hedgefonds, der die Shoppingmall 2022 günstig erworben hat, versuche nun, „zu retten, was zu retten ist“, etwa mit einer gemischten Nutzung durch Büros und Gastronomie. Doch Egginger-Gonzalez ist sich sicher: „Hier ist der nächste Leerstand vorprogrammiert.“
Er weist auch auf die „aufgeblasene Parkplatzinfrastruktur“ hin. Die Einkaufszentren im Bezirk kämen zusammen auf rund 3.000 Parkplätze, diese seien nach seinen Schätzungen aber nur zu 20 Prozent ausgelastet. Dazu kommen weitere Parkflächen, teils öffentlich, teils privat. Der Bedarf für soziale und kulturelle Infrastruktur sei hingegen enorm, die öffentliche Hand brauche daher wieder Zugriff auf diese Flächen.
Gleich gegenüber der Shoppingmall liegt der Bierpinsel. Das merkwürdige Steglitzer Wahrzeichen wurde 1976 errichtet, in den damaligen Modefarben Grün und Orange angepinselt und galt früher als „Pommesbude der Herzen“. Doch seit mehr als 20 Jahren steht der 47 Meter hohe Klotz fast durchgehend leer: Rohrbruch, Asbestfund, Brandschutzbestimmungen. Nun riecht es heftig nach Urin. Seit 2021 gehört der Pinsel der Immoma GmbH von Götz Fluck (Motto: „Wertschöpfung durch Wandel“), die dort wieder Gastro einrichten will und auch andere Luftschlösser plant, verbunden mit dem Hinweis, man suche noch nach Finanziers.
Aus der ursprünglich für dieses Jahr verkündeten Wiedereröffnung wurde nichts. Egginger-Gonzalez spricht von „spekulativem Leerstand“, da Fluck die Grundfläche, die durch einen Erbbauvertrag dem Land Berlin gehört, eigentlich kaufen will. „In dem Moment, in dem die öffentliche Hand auch noch Erbbauflächen weggibt, verliert sie die Kontrolle“, warnt er. Das Bezirksamt sei machtlos, da es gegen Gewerbeleerstand nicht vorgehen kann. Der Bezirk hat in dieser Situation lediglich die Möglichkeit, Zwischennutzungen zu genehmigen. So gab es in der Vergangenheit Kunstevents oder Technopartys.
Ehemalige Stadtautobahn ohne Stau
Von der Unterführung am Fuß des Pinsels führt eine schmucklose Betontreppe nach oben – und plötzlich steht man an einer Autobahn. Von der ehemaligen A104 sollte man einmal direkt in die Shoppingmall fahren können, nun endet sie wenige Hundert Meter vom Bierpinsel entfernt in der Schildhornstraße.
Im Gegensatz zum gerade eröffneten Teilstück der A100 in Neukölln und Treptow staut sich hier aber nichts – die vierspurige Trasse ist wie leer gefegt. Vielleicht sollten die werktätigen Massen mit ihrem Auto lieber nach Steglitz fahren, denkt man. Hier sind die Autobahnen noch frei und Parkplätze gibt es auch.
Doch so einfach ist es nicht. Die Schildhornstraße ist eine der am stärksten mit Feinstaub belasteten Straßen Berlins, wie man auch an den grauen Fassaden ablesen kann. Egginger-Gonzalez wünscht sich eine Fahrradspur, dann käme man wesentlich schneller in den östlichen Teil des Viertels, der durch die A103 – eine weitere Stadtautobahn – abgeschnitten ist, sagt er. Doch das ist verboten, denn die ehemalige A104 gilt noch immer als Kraftfahrstraße. Beide Trassen seien „völlig überdimensionierte Straßen, die diesen Kiez zerstückeln“, sagt der Politiker. Eine vor zwei Jahren beantragte Umwidmung werde von der zuständigen Senatsverwaltung blockiert.
Die A103 führt auch am seit 23 Jahren leer stehenden Stadtbad Steglitz und an einem weiteren Parkhaus vorbei, bis sie als „absurder Stummel“ am Steglitzer Kreisel endet, wie Egginger-Gonzalez sagt. Unter dem Stummel: wieder Parkplätze, unter denen wiederum der historische Kern von Steglitz begraben liegt. Die Linke fordert, die A103 zurückzubauen und die frei werdenden Flächen, die bereits versiegelt sind, für Radverkehr, sozialen Wohnungsbau und „Sorgezentren“ zu nutzen.
Bauruine und Spekulationsobjekt
Letzte Station des Rundgangs ist der Steglitzer Kreisel mit seiner weithin sichtbaren, eingerüsteten Hochhausruine. Wieder Unterkellerung, Leerstand sowie ein unterirdischer Busbahnhof. Und natürlich: noch mehr Parkplätze mit noch mehr Uringestank. In der Ladenpassage war früher ein Outdoor-Geschäft, jetzt steht alles leer. In einem Gang findet allerdings eine Rollerdisko statt – eine Zwischennutzung, fast der einzige belebte Ort an diesem Abend.
Der Bau des Hochhauses begann 1968, fertiggestellt wurde es erst 1980. Nach mehreren Besitzerwechseln gehört es inzwischen der Immobiliengesellschaft Adler Group, aber auch die will es nach Ansicht von Egginger-Gonzalez wieder loswerden. Das Gebäude sei ein Spekulationsobjekt. Das Unternehmen musste nach seinen Angaben seit 2018 allein 700.000 Euro Gebühren für Genehmigungen bezahlen und hat das Baugerüst inzwischen sogar gekauft. Um diese Kosten abzufedern, wurden Projekte wie die Rollerdisko reingeholt, bald wahrscheinlich auch die Kältehilfe, was angesichts der vielen Obdachlosen im Kiez sinnvoll wäre.
Egginger-Gonzalez, der nun wie ein Buch redet, ist überzeugt: Die Adler Group wolle die unrentable Bauruine gar nicht umbauen, simuliere aber Baufortschritte, weil sie die Baugenehmigung benötigt, um verkaufen zu können. Er habe die Baustelle besichtigt, Akteineinsicht beantragt und versucht, Adler die Baugenehmigung zu entziehen: „Die öffentliche Hand muss wieder die Kontrolle bekommen“, wiederholt er sein Mantra. „Es gibt keinen anderen Weg, diesen Wahnsinn wieder in eine gute Bahn laufen zu lassen.“
Der Steglitzer Kreisel sei ein großes, zentral angebundenes Stück Land, auf dem die Bezirksverwaltung, eine Gemeinschaftsschule und günstige Wohnungen untergebracht werden könnten. Das kann allerdings dauern. Entmutigt von diesen geringen Erfolgsaussichten wirkt er nicht: „Auch die völlige Privatisierung der City-Zentren ist umkehrbar. Der Weg aus der Sackgasse ist jedoch mindestens so lang wie der Weg hinein.“
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