Baustellen für Fußball-WM in Katar: Demos, Petitionen und Moralappelle
NGOs kritisieren seit Langem die Arbeitsbedingungen auf den Baustellen für die Fußball-WM 2022. Doch in Katar ändert sich nur wenig.
Wie es auf den Baustellen in Katar, wo derzeit Stadien, Hotels und andere Projekte für die Fußball-WM 2022 hochgezogen werden, zugeht, dokumentieren unter anderem der Weltgewerkschaftsbund (IGB), Amnesty International und die NGO „Human Rights Watch“. „Unsere Researcher sind vor Ort“, sagt Regina Spöttel von Amnesty International. Doch von nennenswerten Verbesserungen kann sie nicht berichten.
Neben dem Regime in Katar selbst beanstanden die NGOs auch die Länder, aus denen die Arbeitsmigranten auf den Baustellen kommen: vor allem Nepal und Indien. Regina Spöttel sagt, dass dort „oft zwielichtige Agenturen die Menschen anwerben“.
Daneben stehen die Sportverbände im Fokus der Kritik. Das ist nicht nur der Weltfußballverband Fifa. Im Januar 2015 fand die Handball-WM in dem Emirat statt, 2019 ist es die Leichtathletik-WM, und dass man sich vergeblich um die Olympischen Spiele 2016 und 2020 bemüht hat, bedeutet wenig: Solange das Geld da ist, wird sich der Wüstenstaat wohl bewerben.
Arbeitsbedingungen schlechter als überall sonst
Wie die Arbeitsbedingungen aussehen, bescheibt Mohan Logu Naicker. Er ist Zimmermann und Mitglied der in Südindien tätigen Bauarbeitergewerkschaft TKTMS. „Ich war in Russland, auf den Malediven und auch in Dubai beschäftigt. In Katar sind die Bedingungen schlechter als in allen anderen Ländern“, berichtete er auf einer Demonstration des IGB.
„An diesem Zustand hat sich nichts verbessert. Ich musste 14 Stunden täglich arbeiten. Allerdings reichte mein Lohn immer noch nicht dafür aus, den bei meinem Rekrutierungsagenten aufgenommenen Kredit zurückzuzahlen. Uns allen war klar, dass uns eine Gefängnisstrafe drohte, wenn wir kündigen oder uns über die schlechten Bedingungen beklagen würden.”
Was können die meist europäischen und amerikanischen Firmen im Arbeitsrecht bewirken, die mit Millionenaufträgen Projekte hochziehen und unmittelbar an der Ausbeutung der Arbeitsmigranten verdienen? Nach Schätzungen des IGB werden die Kosten, die die Fußball-WM in Katar mit sich bringt, dramatisch sein: Werden es für die WM 2018 in Russland etwa 11,8 Milliarden Dollar sein und waren es für die WM 2014 in Brasilien noch 15 Milliarden, so wird für Katar mit bis zu 222 Milliarden Dollar gerechnet. Das ergibt sich daraus, dass jede Infrastruktur für ein derartiges Weltereignis fehlt. Die Gewinnerwartung internationaler Firmen soll sich laut IGB um die 15 Milliarden Dollar bewegen.
Der deutsche Konzern Hochtief gehört zu den Unternehmen, die in Katar verdienen. Nach grober Schätzung des IGB kann er „mit gesteigerten Umsatzerlösen in Höhe von Hunderten Millionen Dollar“ rechnen. Auf taz-Anfrage teilt Hochtief zu einem von ihm gebauten Tunnel plus Ausbau des Abwassersystems der Hauptstadt Doha mit – der Auftragswert liegt bei 265 Millionen Euro –, Misshandlungen, wie sie von manchen Baustellen gemeldet werden, seien „für uns schon rein menschlich nicht akzeptabel“.
Darüber hinaus verweist Hochtief darauf, dass das Unternehmen börsennotiert ist: „Jegliche Verletzungen sozialer Standards würden sofort auf uns zurückfallen.“ Als Beispiel für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen heißt es: „So rief zum Beispiel ein für die Projektdauer festangestellter Muezzin die muslimischen Kollegen drei- bis fünfmal am Tag zum Gebet.“
Problem ist die Kontrolle der Subunternehmer
An dem skandalösen Arbeitsrecht, das in Katar herrscht, dem Kafala-System, ändert das aber zunächst nichts. Das bewirkt, dass Wanderarbeitskräften – von ihnen sind zwischen 1,5 und 1,7 Millionen im Land – das Recht verweigert wird, Katar zu verlassen oder für ein anderes Unternehmen zu arbeiten. Es erlaubt Arbeitgebern auch, die Pässe der Arbeitsmigranten an sich zu nehmen, ihnen das Recht zu verweigern, auf einer Bank Geld zu leihen oder etwa den Führerschein zu machen.
Experten wie Regina Spöttel verweisen jedoch darauf, dass es oft nicht um das Gebaren großer internationaler Konzern geht. „Vor allem bei Unternehmen mit vielen Subunternehmern ist die Lage problematisch. Denn es ist fast unmöglich, bei jedem Subunternehmer unsere Forderungen nach besseren Lebens- und Arbeitsbedingungen für Arbeitsmigranten im Auge zu behalten“, sagt sie. „Gerade hier sind die großen Unternehmen selbst gefragt, genauer hinzuschauen.“
Federführend bei gewerkschaftlichen Kampagnen zu Katar ist bislang die Bau- und Holzarbeiter-Internationale (BHI), der Weltverband der Bauarbeiter. BHI-Generalsekretär Ambet Yuson erklärt: „Wir haben bereits auf unterschiedliche Art und Weise versucht, die Fifa dazu zu bewegen, sich dafür einzusetzen, dass die Gewerkschaften mit ins Boot genommen werden und sich für die Arbeitnehmerrechte in Katar einsetzen können.“
Wen kritisieren? Die Fifa ist eh zu schwach
Das Problem: Solange die Fifa stark und ihr Präsident Sepp Blatter unangreifbar schien, ließ sie die Forderungen an sich abprallen – sie war in keiner Legitimationskrise. Seit die Fifa aber durch die Korruptionsskandale geschwächt ist, hat sie auch kaum noch Macht, um gegenüber dem katarischen Regime fordernd aufzutreten.
Wo der Hebel anzusetzen ist, mit dem die Kritik erfolgreich werden kann, ist das zentrale Problem von IGB, Amnesty International und Human Rights Watch. Es gibt Online-Petitionen, dazu Appelle an die WM- und Fifa-Sponsoren, Druck zu machen oder ihre Zusammenarbeit aufzukündigen, und Demonstrationen. Und es gibt den Versuch, westliche Entscheider moralisch zu erreichen. „Kein Vorstandsvorsitzender würde auf ein Geschäftsmodell setzen, das seine eigenen Söhne und Töchter versklavt“, heißt es beim IGB.
Als bislang schärfstes Schwert fungieren die gut recherchierten Berichte. Dies, die über gute und überprüfbare Recherchen hergestellte Öffentlichkeit, ist der bislang einzige halbwegs erfolgversprechende Ansatz, Verbesserungen in Katar zu erreichen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen