Bauprojekt in Serbien: Wolkenkratzer an der Save
Regierungschef Vucic will in Belgrad ein Mega-Bauprojekt realisieren. Dafür werden Gesetze erlassen, Gebäude abgerissen und Kritiker kaltgestellt.
BELGRAD taz | Sonnenuntergang an der Save. Rötlich glitzern die gläsernen Gebäude. Der rundliche, 220 Meter hohe Wolkenkratzer erhebt sich über dem modernistischen Baukomplex. Er ist das neue Symbol nicht nur der serbischen Hauptstadt, sondern ganz Serbiens: eines modernen europäischen Landes, das Investoren und Touristen aus der ganzen Welt anzieht und in dem glückliche und zufriedene Bürger leben. Sie sind dem Visionär, dem unermüdlichen Kämpfer gegen Korruption und das organisierte Verbrechen und für das Wohlergehen der Menschen in Serbien, dem serbischen Regierungschef Aleksandar Vucic dankbar.
Das „Belgrad am Wasser“ genannte architektonische Meisterwerk der Superlative, das in aller Welt bewundert wird, erstreckt sich auf 177 Hektar mit einer Million Quadratmetern Wohnraum, 750.000 Quadratmetern Geschäftsraum, Schulen, Kindergärten, Theater, Kinos, Shoppingmalls, 242.000 Quadratmetern Parkanlagen sowie Kinder- und Sportplätzen. Im diesem futuristischen Sinnbild leben über 17.000 Menschen, der internationale Jetset zusammen mit den Einheimischen, und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.
Das megalomanische Projekt spaltet die serbische Öffentlichkeit. Während die Regierung von einer „historischen Chance“ spricht, warnen Fachverbände der Architekten und die wenigen kritischen Medien vor einer „urbanistischen Katastrophe“ und dubiosen Machenschaften. Im sozial ruinierten Serbien, in dem jeder Dritte arbeitslos ist, die meisten Menschen kaum über die Runden kommen und die durchschnittliche Rente rund 200 Euro beträgt, stellt die dominante Serbische Fortschrittspartei (SNS) von Aleksandar Vucic das atemberaubende Bild eines „anderen“ Serbiens in den politischen Vordergrund. Und die SNS fordert Glauben in diese Vision, die das Bauwunder am rechten Ufer der Save verkörpern soll.
„Belgrad am Wasser“, so die Regierung, sei kein Luftschloss und kein Märchen, wie es von Regimegegnern bezahlte Kritiker behaupten, sondern ein konkretes, schönes öffentlich-privates Projekt, an dem 13.000 Arbeiter werkeln sollen und das die serbische Bauindustrie ankurbeln soll. An der Umsetzung ist neben Serbien das weltbekannte Bauunternehmen Eagle Hills aus Abu Dhabi beteiligt, das rund 3 Milliarden Euro investieren will.
Platz für die „neue Stadt“
Um Platz für die „neue Stadt“ zu schaffen, muss der alte Bahnhof verlegt und ein neuer gebaut werden. Auch der zentrale Busbahnhof soll verschwinden. Eine Eisenbahnbrücke über die Donau müsste gebaut, die bisher im Stadtteil Savamala stehenden Gebäude müssten abgerissen, ihre Eigentümer entschädigt werden. Für die Infrastruktur soll der Staat sorgen, für die Bauarbeiten ist der Partner aus den Arabischen Emiraten zuständig.
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Die Räumungsarbeiten haben bereits begonnen. Ein umstrittenes Gesetz, das dem Projekt „Belgrad am Wasser“ erst eine legale Grundlage geben soll, wird demnächst im Parlament verabschiedet. Dort hat Vucic’ Regierung eine Zweidrittelmehrheit.
Auf den Alarm, den die renommierte Akademie der Architektur Serbiens (AAS) geschlagen hatte, reagierten die Behörden nicht. Die AAS forderte die Regierung auf, den „größten Raubbau der Welt“ sofort einzustellen. Denn das Projekt ziehe private öffentlichen Interessen vor und stehe im krassen Widerspruch zu gesetzlichen Normen und internationalen Baukonventionen.
Politisches Hirngespinst?
Die AAS verkündete, dass das Belgrader urbanistische Büro „gezwungen“ gewesen sei, in nur zwei Monaten einen professionell „inakzeptablen Plan“ fertigzustellen, den kein einziger Fachmann unterstütze und der alle „ethischen und professionellen Standards missachte“.
Die AAS bezeichnete das Projekt als politisches Hirngespinst, das elementare Fragen ignoriere: Braucht Belgrad so viele neue Quadratmeter und Gebäude mit einer so hohen Anzahl von Stockwerken? Weiß man, wie Probleme mit der Verkehrsführung gelöst werden sollen, denn Ingenieure hätten errechnet, dass nur eine Straße auf zwölf Spuren erweitert werden müsste? Wie soll man die Versorgung mit 25 Millionen Kubikmetern Wasser und 100 Megawatt zusätzlichem Strom sicherstellen? Wo sollen die notwendigen 40.000 Parkplätze gebaut werden? Und: Wer wird Interesse haben, diese Luxuswohnungen zu kaufen?
Kritiker von Vucic’ Lieblingsprojekt werden in die Schranken gewiesen. Als Aktivisten Flyer gegen „Belgrad am Wasser“ verteilten, wurden sie festgenommen. Noch vor Beginn der Bauarbeiten spricht man bereits von Vucic’ „verbotener Stadt“.
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