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Podium zur „Ästhetik des Widerstands“Kuratierte Subversion

Gegen die Rechten wächst in Südeuropa eine neue Linke. In Berlin diskutieren Intellektuelle aus Ex-Jugoslawien. Das Publikum macht daraus ein Happening.

Europas Bilder des Schreckens heute: Ein untergegangenes Kreuzfahrtschiff im Mittelmeer Bild: ap

„Die Ästhetik des Widerstands“: ein 1.000-Seiten-Roman, fast 40 Jahre alt, behandelt den Horror des historischen Faschismus und die Utopien und Fehler der Linken und stellt die Frage, wie durch die Betrachtung von Kunst der Widerstand zu organisieren ist – wen sollte das heute noch interessieren?

Dass sich ein paar Deutschlehrer, Ex-Hausbesetzer, Gewerkschaftslinke oder Restautonome zu einer Veranstaltung über Peter Weiss und sein Werk einfinden, hätte man erwarten können. Aber dann drängen sich die Besucher am Samstagabend vor dem Berliner Hebbeltheater, vor allem junge Menschen zwischen Anfang 20 und Anfang 30, die so aussehen, als würden sie irgendwas mit Kultur machen und die serbo-kroatisch, griechisch, englisch und deutsch miteinander sprechen. Wegen großer Nachfrage in einen größeren Saal verlegt, ist die Diskussionsveranstaltung restlos ausverkauft.

Auf dem Podium: vier Intellektuelle aus dem ehemaligen Jugoslawien. Allein für das außergewöhnliche Setting, ausschließlich Jugos über einen deutschen Roman und dessen Aktualität in der Gegenwart diskutieren zu lassen, verdient der Veranstalter großes Lob. Werden Jugos doch ansonsten eher zu ihrer Heimat, Krieg und dem EU-Beitritt gefragt. Es ist aber kein Zufall, dass es ausgerechnet Jugos sind.

Avantgarde-Kunst und Subversion spielten in der jugoslawischen Linken, sowohl für die regierenden Kommunisten als auch für linke Dissidenten immer eine große Rolle. Moderator Boris Buden, kroatischer Philosoph, Marxist und Freud-Übersetzer, verweist darauf, dass selbst Gruppen wie die aus Slowenien kommenden Laibach, die den kommunistischen Staat in den 80er Jahren offen attackierten, in offiziellen Medien interviewt wurden. Und auch, dass heute Europas größte marxistisches Theorie-Konferenz, das „Subversiv-Festival“, in Kroatien stattfindet und dort ein Ereignis ist, das für die politische Elite des Landes schon fast zum Pflichttermin gehört, steht in dieser Tradition.

Der Mittelfinger

Das könnte der Grund sein, warum so viele junge Leute gekommen sind. Widerstand ist ein Begriff, der hierzlande gar nicht mehr im Gebrauch ist. An den Rändern Europas, darauf verweist Buden mehrfach, ist Widerstand angesichts von konkreter rechter Bedrohung, notwendig. Inspiration und Erkenntnis darüber, wie man die Verhältnisse ändern kann, erhoffen sich die jungen Leute also offenbar vor allem aus diesem Teil Europas.

Neben Buden diskutieren im HAU der bosnisch-kroatische Theaterregisseur Oliver Frjlic, für seine Inszenierungen und öffentlichen Interventionen als scharfer Provokateur gegen den kroatischen Nationalismus bekannt, die Belgrader Dramaturgin Borka Pavicevic, Institution, Legende und unkorrumbierbares Zentrum der Linken in Serbien und der kroatische Pilosoph Srecko Horvath, Autor zahlreicher Essays unter anderem mit Slavoj Žižek und Gründer des „Subversiv-Festivals“, auf dem das Video mit dem Mittelfinger des griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis entstand.

Buden stellt am Anfang die schöne Frage, ob die Anwesenden als Linke unterschiedlicher Generation längst zum Inventar eines Museums gehören wie die Gemälde und Kunstwerke, die Weiss in seinem Roman beschreibt. Das sieht natürlich keiner der Teilnehmer so. Einig sind sich die Diskutanten, dass Europa es mit einem Faschismus zu tun hat, der Linke wie sie notwendig mache. Buden und Pavicevic, die beiden ältesten in der Runde, streiten als Verteidiger des Jugo-Kommunismus und des traditionellen Antifaschismus vor allem dafür, in der Realität der Gegenwart schon immer am Werk seiende Kräfte zu benennen.

Die wacheren Beobachtungen kommen von den Jungen. Sie diskutieren über die Frage des Romans, wie Kunst, Literatur und Philosophie den Widerstand außerhalb des Museums kuratieren kann. Ob Gewalt oder Diskurs der richtige Weg des Widerstands ist, über Sprache als Kampfmittel und ob die Linke kultureller Hegemonie im Sinne Gramscis braucht.

Die Herrschaft der Zeichen

Horvath versucht, die Bilder von Weiss in die Gegenwart zu übersetzen. Die Bedeutung, die bei Weiss das Gemälde Géricaults „Das Floß der Medusa“ hat, symbolisiere heute das Bild der untergegangen Costa Concordia, deren Decks und Bars nach europäischen Ländern und Städten benannt gewesen waren. Europas Bilder des Schreckens würden heute nicht mit Kriegs- sondern in einem untergegangenen Kreuzfahrtschiff im Mittelmeer symbolisiert.

Horvath spricht von „Semio-Kapitalismus“, der Herrschaft der Zeichen und beschreibt, dass Zeichen wie der Mittelfinger von Varoufakis subversiver sein können als Gewalt. Frljic hingegen fordert eine neue Sprache, um das Prolatariat wie in Weiss' Roman für die Subversion zu gewinnen. Im Publikum wie hier in Berlin säße doch immer nur die Mittelklasse, für die bräuchte man das gar nicht zu diskutieren. Das Publikum applaudiert tosend, als Srecko Horvath widerspricht. „Das Proletariat gibt es nicht mehr. Hier im Publikum sitzt das neue Proletariat: das Prekariat.“

Entstanden ist Weiss' Roman in drei Bänden zwischen 1975 und 1981. Wurden sie seinerzeit in den Feuilletons als kommunistisch ideologisch und als handwerkliche Scharlatanerie verrissen, gelten sie heute als Jahrhundertwerk. 1000-seitige Jahrhundertwerke werden selten gelesen, in diesem Fall aber auch, weil es sich gar nicht lesen lässt, jedenfalls nicht alleine. An der „Ästhetik des Widerstands muss man arbeiten. Das haben seinerzeit zuerst jene begriffen, um die es in dem Buch geht: die Linken. Ihre Rezeption war eine kollektive, in und außerhalb der Universitäten entstanden zahlreiche legendäre Lesekreise zu dem Roman.

Theaterprojekt geplant

Aus dem im Hebbeltheater in großen Bögen mäandernden Gespräch wird am Ende dank des Publikums tatsächlich so etwas wie ein Weiss-Lesezirkel. Leute, die sich zu Wort melden, kennen den Roman kaum, sind vor allem daran interessiert, Begriffe wie Faschismus oder Arbeit zu diskutieren. Es ist ein bisschen wie bei den im gleichen Theater in den vergangenen Jahren stattgefundenen Auftritten der französischen Philosophen Jacques Rancière und Alain Badiou. Das Interesse an linker Theorie ist riesig. Aber ein Interesse, das offenbar mehr im kollektiven Zuhören und Kommentieren besteht, das ohne Ehrfurcht vor den großen Begriffen und Ideen geschieht.

Die Veranstaltung war Auftakt für ein Theaterprojekt. Das Gespräch soll als Grundlage dienen, um im nächsten Jahr, zum 100. Geburtstag von Peter Weiss, die Aktualität seiner Widerstandsästhetik auf die Bühne zu bringen. Niemand weiß, ob Syriza dann noch in Griechenland regiert und in Spanien und Kroatien linke, in Frankreich und Italien rechte Parteien an der Macht sind. Ob also eine Ästhetik des Widerstands die Bühnen zurückerobert und Politik geworden ist.

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