Baumbesetzungen in Hannover: Polizei zieht Zaun um Tümpeltown
Die Demo gegen Rodungen für den Ausbau des Südschnellwegs in Hannover blieb am Samstag friedlich. Es waren mehr Polizisten als Aktivisten vor Ort.
Die Ereignisse an diesem Wochenende: In der Nacht zum Samstag gab es einen Übergriff auf das Zelt der Mahnwache, die hier seit Monaten aufgestellt ist. Am Samstag selbst eine Demo, um gegen den Beginn der Rodungsarbeiten zu protestieren, zu der mehr Polizisten als Aktivisten anrückten.
Am Sonntag dann erfolgte die Sperrung des Südschnellweges, um die Rodungen vorzubereiten – und die kurzfristige Besetzung weiterer Bäume, trotz der massiven Polizeipräsenz. Nach Verhandlungen mit der Polizei kletterten die Aktivisten allerdings zurück in ihr Basislager.
Die Vorgeschichte ist lang und ziemlich verwickelt. Vor mehr als einem Jahr begannen die Proteste gegen den Ausbau des Südschnellweges. Der gehört zu dem Schnellstraßensystem um Hannovers Stadtzentrum, ist ein wichtiger (und notorisch verstopfter) Zubringer.
Etliche Abschnitte und vor allem seine Brücken sind arg sanierungsbedürftig. Schon vor Jahren hat die Politik die Planung der dringend nötigen Sanierungsarbeiten allerdings mit einem massiven Ausbau verknüpft.
Symbol einer asphalt- und autozentrierten Verkehrspolitik
In der Nähe des Stadtteils Döhren soll dem das beliebte Naherholungsgebiet Leinemasch zum Opfer fallen. Dagegen formierte sich eine Bürgerinitiative, die aus Anwohnern, Umwelt- und Klimaschützern besteht. Sie halten die Verbreiterung der Stadtautobahn für überdimensioniert und nicht mehr zeitgemäß.
Rund zehn Meter sollen in der Breite dazukommen – hauptsächlich für Standstreifen. Ein Fernradweg, wie ihn sich Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) wünschte, ist aber nicht vorgesehen. Weil es sich ja immerhin um eine autobahnähnliche Bundesstraße handelt.
Für viele wurde der Südschnellweg damit zum Symbol einer überholten, asphalt- und autozentrierten Verkehrspolitik, von der man in Zeiten des Klimawandels endlich Abstand nehmen solle.
Und der Protest fand tatsächlich Gehör: Mehrere grüne und sozialdemokratische Spitzenpolitiker in der Region – darunter Hannovers Oberbürgermeister Onay (Grüne), der Regionspräsident Steffen Krach (SPD) und die stellvertretende niedersächsische Ministerpräsidentin Julia Hamburg (Grüne) – sprachen sich dafür aus, die Planungen zu überarbeiten. Zumal die Kosten absehbar davongaloppieren.
Der Haken ist nur: Die Baumaßnahmen waren zu einem Gesamtpaket verschnürt worden, für das das Genehmigungsverfahren schon relativ weit fortgeschritten ist. Mitten im Planfeststellungsverfahren, wenn einige Maßnahmen schon ausgeschrieben oder vergeben sind, einen Schritt zurück zu machen, ist rechtlich nicht ganz einfach. Vor allem wenn die im Bundesverkehrswegeplan festgeschrieben sind, weil es sich um eine Bundesstraße handelt.
Verkehrsminister sorgt für einen vorläufigen Kompromiss
Niedersachsens Verkehrsminister Olaf Lies (SPD) hat trotzdem angekündigt, genau das versuchen zu wollen. Er hat in den vergangenen Wochen alle Beteiligten zu einem Runden Tisch eingeladen und einen Kompromiss ausgehandelt.
Die anstehenden Rodungsarbeiten werden auf das Allernötigste beschränkt. Nötig sind sie allerdings für den Bau einer Behelfsbrücke, weil die Brücke an der Hildesheimer Straße nur noch bis Ende 2023 befahrbar ist. An ihrer Stelle soll ein Tunnel gebaut werden, für den Übergang benötigt man aber jene Behelfsbrücke.
Von weiteren Rodungsarbeiten, wie sie zur Verbreiterung des Schnellweges nötig wären, will man aber erst einmal absehen. Auch das Protestcamp soll vorläufig nicht geräumt werden. Noch vor Weihnachten will Lies mit einer Delegation aus Hannover beim Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) vorstellig werden, um eine Überprüfung der Pläne zu erwirken.
Ob dieser Kompromiss trägt und wie weit man ihm trauen kann, ist nun das große Thema bei den Protestierenden. Die Bürgerinitiative „Leinemasch bleibt!“ hatte für Samstag erst einmal zum „Feiern und Trauern“ eingeladen.
Man freue sich über das Erreichte und wolle sich einer Tunnellösung nicht entgegenstellen, heißt es aus den Reihen der Bürgerinitiative. Trotzdem trauere man natürlich um jeden Baum und werde die Rodungsarbeiten mit Argusaugen überwachen.
Aus den Reihen der Aktivisten von „Ende Gelände Hannover“, die das Protestcamp betreiben, klang es zeitweise kämpferischer. „Jeder Baum, der fällt, ist einer zu viel.“
Ein massives Polizeiaufgebot und ein bizarrer Übergriff
Das war wohl auch der Grund, warum die Polizei zu der Protestdemo am Samstagvormittag mit einem massiven Aufgebot aus mehreren Hundertschaften aus ganz Niedersachsen vor Ort war. Man befürchtete weitere, spontane Baumbesetzungen.
Doch bei den Spaziergängen durchs rodungsgefährdete Gebiet blieb zunächst alles friedlich. Laut der Polizei fanden sich 70, nach Veranstalterangaben 150 Menschen bei dem nasskalten Wetter an der Mahnwache ein.
Auf das Zelt dieser Mahnwache hatte es in der Nacht zuvor einen bizarren Übergriff gegeben. Ein Mann soll die Rückwand aufgeschlitzt, alles mit Tomatensuppe bekleckert und außerdem versucht haben, Protestplakate von den Bäumen zu holen.
Als er von einem Aktivisten überrascht wurde, soll er diesen mit seinem Messer bedroht haben und verschwunden sein. Die Aktivisten erstatteten Anzeige wie die Polizei bestätigt.
Nach der Demo vom Samstag blieb die Polizei vor Ort, um den Aufbau der Bauzäune abzusichern. Noch am Sonntag wurde der Schnellweg für die vorbereitenden Arbeiten gesperrt, am Montag sollen die Rodungsarbeiten beginnen.
Trotz des Aufgebots gelang es am Sonntagmorgen zwei Aktivisten, sich an Traversen vom Baumdorf in die Sperrzone zu hangeln. Nach Verhandlungen mit der Polizei, die gleich mit Hubbühne, klettererfahrenen Polizisten und zeitweise sogar dem hannoverschen Polizeipräsidenten auffuhr, kletterten sie jedoch zurück.
Das Ergebnis der Verhandlungen wirkt allerdings eher wie eine gesichtswahrende Maßnahme: Der Bauzaun wird in der Nähe von Tümpeltown noch einmal versetzt. Das Protestcamp ist nun um einen Baum größer.
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