Baudenkmal in Berlin: Funkstille an der Regattastrecke
Ein Spekulant lässt das denkmalgeschützte Funkhaus Grünau verfallen. Aktivist*innen wollen es übernehmen und den Eigentümer dafür gern enteignen.
Angedacht ist ein Trainingscenter der Seenotrettungsorganisation Sea-Watch, um Crews ihrer und anderer Schiffe auf Einsätze an den europäischen Außengrenzen vorzubereiten. Auch soll hier die Segelschule des FLINT*-Segelvereins Krakenkollektiv ihren Sitz finden mit Liegeplätzen für Schulungsboote. Zum Konzept gehören darüber hinaus öffentlich nutzbare Werkstätten und ein Hackerspace, in dem Open-Source-Lösungen etwa für humanitäre Einsätze von Drohnen für die Seennotrettung oder Elemente für mobile Kliniken entwickelt werden.
Eine zehnköpfige Gruppe aus Aktivist*innen bekannter humanitärer Organisationen hat die Ideen entwickelt und möchte dafür das Gebäude „dem privaten Immobilien- und Spekulationsmarkt entziehen“. Möglich machen soll das eine nicht-kommerziell organisierte Beteiligungsgesellschaft zum gemeinschaftlichen Erwerb des Hauses mithilfe einer gemeinnützigen Stiftung.
Unterstützung für die Idee kommt von dem Linken-Bundestagsabgeordneten Gregor Gysi und dem SPD-Abgeordnetenhausmitglied Robert Schaddach sowie von zwei Ortsvereinen. Schaddach möchte das Funkhaus daher enteignen lassen. Denn der Umsetzung des Plans stehen aus Sicht der Aktivist*innen und ihrer Unterstützer*innen zwei verantwortliche Akteure im Weg: der wenig aktive Bezirk Treptow-Köpenick samt seiner Denkmalschutzbehörde und der derzeitige auf Profitmaximierung getrimmte Eigentümer.
Eigentümer macht nichts
Das Ende der 1920er Jahre errichtete Funkhaus im Stil der Moderne diente ursprünglich als Boothaus und ist auch heute noch zwingend für eine wassersportliche Nutzung vorgesehen. Zu DDR-Zeiten waren hier erst eine Rundfunkschule und der Berliner Rundfunk untergebracht, später die Unterhaltungsredaktion des Deutschen Fernsehfunks und das Fernsehballet. Der vierstöckige Backsteinbau mit seiner Klinkerfassade war bis 2008 in einem „guten Zustand“, sagt Nils Schulze, der sich in den Anwohnerinitiativen Ortsverein Grünau und Zukunft in Grünau engagiert.
Dann allerdings ersteigerte die Erste Hanseatische Projektmanagement GmbH (EHP) das Gebäude für 650.000 Euro. Die EHP gehört zum Firmengeflecht des Hamburger Geschäftsmanns und Professors Thomas Matzen. Heute soll die ebenfalls mit Matzen verbundene Laho Landart GmbH Eigentümerin sein. Seitdem ist bis auf eine kurzzeitige künstlerische Zwischennutzung nichts passiert.
„Jetzt ist fast alles kaputt“, sagt Schulze: Im Gasheizungskeller soll Wasser stehen, aus dem Dach wachsen Bäume, es gibt Vandalismusschäden. Das bestätigt auch Schaddach, der für den Bezirk im Abgeordnetenhaus sitzt. Der Bezirk aber vermeldete im November: „Erhebliche substanzbedrohende Mängel konnten nicht festgestellt werden.“ Schaddach sagt, dass die Substanz des massiven Hauses vielleicht nicht gefährdet sei, dennoch sei nichts für den Erhalt getan worden. Er sagt: „Eigentum verpflichtet ja auch.“
Ende Januar hat der SPD-Politiker deshalb an das Bezirksamt einen Antrag auf Enteignung nach Paragraf 17 des Berliner Denkmalschutzgesetzes gestellt. Schaddach geht davon aus, dass „mit dem jetzigen Eigentümer keine Aussicht auf die gebotene Revitalisierung und Restaurierung im Sinne des Denkmalschutzes“ besteht und dass der Untergang des Denkmals für diesen gar ein „wirtschaftlich willkommenes Ereignis“ darstellen könnte.
Enteignung nur unter bestimmten Bedingungen möglich
Der Weg bis zur Enteignung ist allerdings voraussetzungsvoll: Zunächst müsste die Denkmalschutzbehörde Anordnungen zur Wiederherstellung erlassen. Das ginge aber auch erst, wenn der Eigentümer zuvor angeordnete Sicherungsmaßnahmen nicht vornehme.
Würden diese missachtet, kann sie selbst tätig werden und die Maßnahmen dem Eigentümer in Rechnung stellen. Kommt er dafür nicht auf, wäre eine Enteignung gegen Entschädigung möglich. Bezirksbaustadtrat Rainer Hölmer (SPD) weist auf taz-Anfrage darauf hin, dass vor einer Enteignung „alle milderen Mittel inklusive freihändiger Kaufverhandlungen auszuschöpfen“ seien. Die Voraussetzungen dafür seien „nicht ansatzweise erfüllt“.
Was die Hamburger Eigentümer vorhaben, weiß Hölmer nicht: Es habe zwar in den vergangenen Wochen „mehrere Bauberatungsgespräche zu den planungs- und denkmalrechtlichen Anforderungen“ gegeben, aber ob damit eine „konkrete Realisierungsabsicht“ verbunden sei, könne das Amt „nicht prognostizieren“.
Ein Bauantrag wurde in den zwölf Jahren seit Erwerb nicht gestellt. 2017 äußerte der damalige EHP-Geschäftsführer gegenüber Radio Eins die Idee, das Objekt für „betreutes Wohnen“ herzurichten. Dies allerdings ist laut Bebauungsplan nicht zulässig. Auf eine Anfrage der taz, welche Pläne sie derzeit verfolgen, reagierte in Hamburg niemand.
Spekulationsfrist ist abgelaufen
Auch der Treptow-Köpenicker Bundestagsabgeordnete Gregor Gysi, der für die Aktivist*innen mit den Eigentümern ins Gespräch zu kommen versucht, hatte bislang keinen Erfolg: „Tatsächlich hatte ich mich an den Eigentümer gewandt, der aber erstaunlicherweise oder nicht erstaunlicherweise bisher nicht geantwortet hat. Das ist mir sonst noch nicht passiert“, sagte Gysi zur taz.
Ortsaktivist Schulze und SPD-Mann Schaddach berichten übereinstimmend von Kaufverhandlungen, die kürzlich ein lokaler Interessent in Hamburg führte. Dabei soll eine Forderung von 10 Millionen Euro im Raum gestanden haben, das 15-Fache des ursprünglichen Kaufpreises.
Für den Interessenten wie für die Aktivst*innen liegt dieser Betrag jenseits von Gut und Böse. Mehr als zehn Jahre nach dem Kauf ist auch die Spekulationsfrist abgelaufen, bei einem Verkauf müsste der Gewinn nicht mehr versteuert werden.
Schulze und Schaddach fühlen sich an die benachbarten Ausflugslokale „Riviera“ und „Gesellschaftshaus“ ganz in der Nähe erinnert, die ein Spekulant ebenfalls günstig kaufte, mehr als ein Jahrzehnt verfallen ließ, dann für 15 Millionen Euro verkaufte und die nun zu einer Luxus-Seniorenunterkunft werden.
Zwölf Jahre Stillstand
Die taz schrieb 2019 über den Fall als „ein Lehrstück darüber, wie Berlin Investoren einen roten Teppich ausrollt. Und wie ein Spekulant seinen Reibach macht, weil der Bezirk nicht ins Risiko gehen will, sondern den Weg des geringsten Widerstands geht“. Auch damals sei der „Denkmalschutz nicht durchgesetzt“ worden, sagt Schulze. Schaddach spricht von einer „schlecht aufgestellte Behörde“, die schlussendlich gar darauf verzichtete den vollständigen Erhalt der Denkmäler zu fordern.
Berlins oberster Denkmalschützer, Landeskonservator Christoph Rauhut, bezeichnet das Funkhaus gegenüber der taz als ein „herausragendes bauliches Zeugnis aus den 1920er Jahren“, dessen Zustand sich, etwa weil es nicht geheizt werde, „kontinuierlich verschlechtert“. Die untere Denkmalschutzbehörde und das Landesdenkmalamt würden das Gebäude aber mindestens einmal jährlich begehen.
Der Eigentümer sei bislang „allen Aufforderungen nach Sicherungsmaßnahmen nachgekommen“. Erst kürzlich seien die Fenster mit Holz abgedichtet worden. Solange dies der Fall ist, hätten die Behörden keine Möglichkeit, Anordnungen zu einer Wiederherstellung zu erlassen, sagt Rauhut. Dennoch wünsche er sich für das Objekt einen Eigentümer, der es „mit entsprechender Liebe behandelt“.
Im „Worst Case“ ist es laut Rauhut möglich, dass der Stillstand der vergangenen zwölf Jahre noch lange weitergeht. Doch die Aktivist*innen und ihre Unterstützer*innen werden ungeduldiger und wünschen sich einen energischer auftretenden Bezirk. Sie hoffen, dass ihr Druck womöglich doch noch ihre Utopie ermöglichen kann.
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