Bauarbeiten ohne gerichtliche Erlaubnis: Das Flensburger Millionenspiel

Flensburg will eine Umgehungsstraße bauen und braucht dafür eine Weide von Bauer Ingo Knop. Die Gespräche sind gescheitert, aber trotzdem schickt die Stadt die Bagger.

Elf Leute stehen nebeneinander auf einem Feld

Bürgerinitiative gegen den Straßenbau: Bauer Ingo Knop ist der Vierte von links Foto: Marcus Dewanger

Bauer Ingo Knop läuft die Zeit davon. Denn während vor Gericht verhandelt wird, ob die Stadt Flensburg ihn enteignen darf, werden bereits Fakten geschaffen: Der Bau der Umgehungsstraße K8, für die die Stadt eine von Knops Koppeln braucht, hat schon begonnen. Die Straße wird direkt an der Terrasse des Hauses entlangführen, in dem Knops Mutter lebt. Sie kann jetzt schon dort sitzen und zuschauen, wie das Kiesbett für die Straße aufgeschüttet wird und die Bagger über die Wiese rollen, auf die der Milchviehhalter in den vergangenen Jahren seine Kühe getrieben hat.

Für Knop ist genau diese Weide besonders wichtig, weil sie so nah an Haus und Stall liegt, sagt er. Darum habe er sich in der Vergangenheit auch so schwer mit dem Verkauf getan. „Die Straße soll zur Entlastung dienen, aber ich soll für alle anderen die Last tragen“, beschwerte er sich am Freitag bei der Sitzung der Kammer für Baulandsachen am Landgericht in Kiel.

Obwohl es um eine Eilentscheidung ging, vertagte sich die Kammer am Ende. Vermutlich wird erst Anfang Juli bekannt gegeben, ob die Stadt Flensburg den Landwirt überhaupt vorläufig enteignen und auf seinem Land eine Straße bauen darf.

Seit zehn Jahren laufen die Planungen für die Straße, die im Flensburger Osten um das eingemeindete Dorf Tarup herumführen soll. Seit Jahren gibt es auch immer wieder Verhandlungen mit Bauer Knop. Aber seine Forderung seien am Ende „ein bisschen übertrieben“ gewesen, sagte eine der drei Richterinnen am Freitag. „Sie haben den Bogen überspannt.“

Drei Richterinnen aus verschiedenen Gerichten sind nötig, um die Spezial-Kammer (siehe Kasten) zu bilden, die in einem Fall wie dem von Bauer Knop nötig ist. „Wenn man mich hier weghaben will und meine Existenz gefährdet, muss ich in der Lage sein, woanders neu anfangen zu können“, sagte Knop. Er hatte zuletzt einen Betrag in Millionenhöhe für das Ackerland gefordert – zu viel für die verschuldete Stadt Flensburg.

Artikel 14 Grundgesetz befasst sich mit dem Eigentum und legt fest: Eigentum verpflichtet. Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig.

Ob eine Enteignung zulässig ist, und vor allem, wie hoch die Entschädigung ausfällt, ist Sache der sogenannten Obligatorischen Spezialkammer. Auch für weitere Themen werden Spezialkammern eingerichtet, etwa für Streitigkeiten um Bank- und Finanzgeschäfte, Versicherungsfragen oder Heilbehandlungen.

Die Kammern werden an Landgerichten eingerichtet. Sie sollen durch Spezialisierung für bessere Fachkenntnisse der RichterInnen und damit „höhere Rechtsqualität“ sorgen, so die Idee. Die Regelung für die Spezialkammern trat Anfang 2018 in Kraft.

Parallel zu den Gesprächen zwischen Knop und der Stadt wurde einfach schon mal mit den Bauarbeiten begonnen, denn die Stadt muss Zeitpläne einhalten: Bis Ende 2019 müssen alle vier Teilabschnitte der Straße fertig und abgerechnet sein. Denn für Arbeiten, die danach geleistet werden, erhält die Stadt keine Fördermittel des Landes Schleswig-Holstein mehr. Scheitert der Straßenbau, könnte das zuständige Wirtschaftsministerium sogar die bereits ausgezahlten Fördermittel zurückfordern. Es geht um sechs Millionen Euro.

Angesichts dieser Summen und der knappen Fristen steckt die Stadt in einer Zwickmühle. „Wenn wir nicht fertig bauen, müssten wir für die Gesamtmaßnahme zahlen“, sagt Stadtsprecher Clemens Teschendorf. „Das relativiert das Risiko einer möglichen gerichtlichen Niederlage deutlich.“ Heißt: Die Stadt hätte nichts davon zu gewinnen, wenn sie nicht bis Ende 2019 alle Rechnungen beim Land einreichen kann.

So geht die Verwaltung ein kalkuliertes Risiko ein, indem sie die Trasse auf Knops Koppel vorantreibt, obwohl der Rechtsstreit noch gar nicht entschieden ist. Teschendorf geht davon aus, am Ende die Erlaubnis des Gerichts für die vorläufige und später dann auch für die endgültige Enteignung zu erhalten, „weil wir überzeugt sind, dass wir rechtens handeln“. In vorherigen Verfahren hatte Knop bereits verloren.

Knops Anwält*innen versuchen es nun mit einem neuen Argument: Jahrelang sei bei Debatten im Stadtrat öffentlich die Rede davon gewesen, die K8 solle neue Baugebiete erschließen. Für eine Erschließungsstraße aber sei eine Enteignung nicht zulässig, so Knops Verteidigung. Zudem fördere das Land nur Straßen, die bereits bestehende Wohngebiete entlasten sollen. Daher habe es für ein Teilstück der K8 auch keinen Zuschuss gegeben.

Das Gericht will die eingerichteten Schriftsätze prüfen, sieht aber in der „Argumentation kurz vor Torschluss eigentlich nichts Neues“. Ob die Stadt Flensburg Baugebiete plane oder die Planung zurückstelle, sei ihre Sache. „Unsere Grundlage ist, ob das Land die Straße für förderfähig hält“, sagt eine der Richterinnen am Freitag. Ein Vertreter des Wirtschaftsministeriums nickte dazu. Im Juli soll dann endgültig entschieden werden.

Zu spät, sagt Stefan Hufe, Sprecher der Bürgerinitiative Tarup gegen die Enteignung: „Zum nächsten Termin muss eigentlich niemand mehr kommen. Dann ist die Straße fertig.“

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