Baseball-Gewerkschafter gestorben: Von Leibeigenen zu Millionarios
Baseball-Gewerkschafter Marvin Miller veränderte den US-Sport grundlegend. Jetzt ist er im Alter von 95 Jahren gestorben.
Über Tote nichts Schlechtes. Aber Marvin Miller hat eine Ausnahme verdient, denn als Chef der Gewerkschaft der Baseballprofis hat er zwar die amerikanische Sportwelt zum Besseren gewandelt, aber beliebt hat er sich währenddessen nicht überall gemacht. Unter der Ägide von Miller, der am Dienstag im Alter von 95 Jahren gestorben ist, wurden die Machtverhältnisse im Baseballgeschäft auf den Kopf gestellt: Aus rechtlosen, dürftig bezahlten Spielern wurden Millionäre, die den Kurs ihrer Sportart bestimmen.
Doch Millers Erfolge in den 60er und 70er Jahren veränderten nicht nur Baseball, sondern hatten Einfluss auf den Profisport weltweit. Miller ist mitverantwortlich dafür, dass Sportler sich nicht mehr dafür zu schämen brauchen, wenn sie ihre Leistung an den Meistbietenden verkaufen.
Der aus New York stammende Miller studierte Ökonomie und arbeitete für verschiedene Gewerkschaften, bevor er 1966 zum Geschäftsführer der Major League Baseball Players Association (MLBPA) gewählt wurde. Überaus eloquent und beängstigend intelligent, jederzeit beherrscht und in der Sache knallhart begann Miller Gesetzmäßigkeiten, die in anderen Wirtschaftszweigen vollkommen selbstverständlich sind, auf den Sport zu übertragen.
Mit Klagen, Streiks und Verhandlungen erreichte er Jahr für Jahr neue Verbesserungen für die Spieler. Mal rang er den Klubeigentümern eine Polsterung der Zäune am Spielfeldrand ab, um das Verletzungsrisiko zu verringern, mal schaffte er es, dass das zuvor zwei Jahrzehnte unverändert gebliebene Mindesteinkommen von 6.000 Dollar auf 10.000 erhöht wurde.
Leibeigenschaft für Profisportler
1972 initiierte er den ersten ernsthaften Streik in der Profisportgeschichte, aber sein größter Coup gelang ihm zwei Jahre später vor Gericht mit der Abschaffung der sogenannten Reserve Clause: Die Regel besagte, dass ein Verein auch nach dem Ablauf eines Vertrages die Rechte an einem Spieler behielt. Die Folge war eine Art von Leibeigenschaft: Profis konnten ohne ihre Zustimmung jederzeit verkauft werden und mussten die angebotenen Gehälter akzeptieren, weil sie sonst gar nicht mehr hätten spielen können.
Doch als Miller begann, gegen diese Zustände vorzugehen, konnte er sich noch nicht einmal der flächendeckenden Unterstützung seiner eigenen Gewerkschaft sicher sein: Nicht nur die amerikanische Öffentlichkeit, sondern auch viele MLBPA-Mitglieder befürchteten, die Auseinandersetzung könnte ihren Sport ruinieren. Aber Miller blieb hart und setzte sich durch: „Ich weiß nicht mehr“, erinnerte er sich später, „wie oft mir vorgeworfen wurde, ich würde Baseball ins Grab bringen.“
Mit dem Ende der Reserve Clause änderte sich alles: Die Spielergewerkschaft war nun gleichberechtigter Verhandlungspartner, Spieler wechselten alle paar Jahre die Trikotfarbe und verdienten plötzlich Millionen. Ein Wandel, der seinem Architekten viel Hass eintrug. Nicht nur von den Klubeignern, die um ihre Profite fürchteten, sondern auch von Medien und Fans, die den Einbruch des Kapitalismus in die heile Baseballwelt beklagten und den Spielern Gier vorwarfen – wie heute verwöhnten Fußball-Millionarios.
Als Miller 1982 in Rente ging, hinterließ er die mächtigste Sportlergewerkschaft der Welt. In seiner Amtszeit war das Durchschnittseinkommen eines Profis in den Major Leagues von 19.000 Dollar auf 326.000 gestiegen. Jetzt liegt es bei über 3 Millionen Dollar im Jahr. Doch trotz seines gewaltigen Einflusses auf den Sport wurde Miller nie in die Baseball Hall of Fame gewählt – die späte Rache des Baseball-Establishments an dem Mann, der ihnen die Gelddruckmaschinen entwendet und den Spielern in die Hände gelegt hatte.
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