Band zu Entschädigung von NS-Opfern: Gib endlich Ruhe!
Nina Schulz und Elisabeth Mena Urbitsch schildern den Kampf von NS-Verfolgten um Anerkennung und Entschädigung.
Die Bundesrepublik Deutschland – Rechtsnachfolgerin des nationalsozialistischen Deutschen Reiches – spielt sich in Europa, zumal gegenüber dem Süden, gerne als Wahrerin finanzpolitischer Solidarität auf und erntet damit viel Unmut. Freilich führt sich dieser Staat – was seine eigenen Verbindlichkeiten angeht – mehr als schäbig auf. Das liegt daran, dass jene, denen er Geld schuldet, eben keine Staaten, sondern alte Menschen sind, die vom Nationalsozialismus verfolgt, eingesperrt und gefoltert wurden, zudem noch für das Naziregime arbeiten mussten und dafür nach wie vor keine oder nur skandalös geringe Entschädigungen erhalten.
Das dokumentiert der von Nina Schulz und Elisabeth Mena Urbitsch – sie Fotografin, Nina Schulz Autorin – verfasste Band „Spiel auf Zeit. NS –Verfolgte und ihre Kämpfe um Anerkennung und Entschädigung“, der in dreizehn biographisch wie systematisch gehaltenen Kapiteln die eben nicht „nur“ moralischen, sondern echten Schulden Deutschlands darstellt, erklärt und in Lebens- und Bildgeschichten sorgfältig dokumentiert.
So hat Deutschland bisher keine Entschädigung für verschleppte und zur Zwangsarbeit gepresste Slowenen bezahlt, ebenso wenig wie für polnische Opfer deutscher Vergeltungsaktionen, so wird jenen Frauen, die kriminalisiert und im Konzentrationslager Ravensbrück inhaftiert waren, bis heute in vielen Fällen Anerkennung und Entschädigung vorenthalten, so müssen NS Verfolgte aus Israel, Tschechien und auch aus Deutschland bis heute darum kämpfen, dass die erzwungene Arbeit, die sie in den Ghettos der Nationalsozialisten verrichten mussten, ihnen als rentenfähig bestätigt werden.
Ähnliches gilt auch für sog. „Randgruppen“: für Sinti und Roma, für Zwangssterilisierte und überlebende „Euthanasie“geschädigte, für verfolgte Homosexuelle und Zeugen Jehovas sowie für damals aus ihren Heimatländern entführte und zwangsgermanisierte Kinder. Nicht anders verhält sich der deutsche Staat gegenüber rumänischen Opfern, ehemaligen sowjetischen sowie zur Zwangsarbeit gepressten italienischen Kriegsgefangenen. Bei alledem soll sich von selbst verstehen, dass hierbei angeblich keine Willkür herrscht, sondern streng nach Recht und Gesetz vorgegangen wird.
Nina Schulz und Elisabeth Mena Urbitsch, „Spiel auf Zeit. NS-Verfolgte und ihre Kämpfe um Anerkennung und Entschädigung“, Hamburg, Berlin: Assoziation A 2016, 365 Seiten, € 24,00
Tatsächlich enthält der Band in seinen persönlichen Biographien und Photographien noch lebender Opfer einen Epilog, in dem penibel und genau die Rechtsgeschichte der „(Nicht)Entschädigung“ dargelegt wird.
Ein besonders krasser Fall, der freilich nicht nur die Bürokratie des deutschen Staates belegt, ist die Geschichte der Nichtentschädigung der Jüdischen Gemeinde von Thessaloniki. Sie zahlte im Oktober 1942 nach Verhandlungen mit dem deutschen Kriegsverwaltungsrat Dr. Max Merten ein Lösegeld von 1,9 Milliarden Drachmen (damals etwa 38 Millionen Reichsmark) dafür, dass 9.000 inhaftierte jüdische Männer zwischen 18 und 45 Jahren nicht deportiert wurden.
Marmor auf dem Ahnenfriedhof herausgerissen
Als sich zeigte, dass die Jüdische Gemeinde den vollen Preis nicht entrichten konnte, bot Mertens der Gemeinde die Möglichkeit einer Sachleistung an: den Ahnenfriedhof der Gemeinde. Die Gemeinde willigte ein und bald wurde der Marmor von einer halben Million jüdischer Gräber herausgerissen. Eine Rettung fand entgegen den Versprechungen Mertens dennoch nicht statt: im Frühling und Sommer 1943 wurden etwa 50.000 Jüdinnen und Juden aus Thessaloniki nach Auschwitz deportiert, um in den meisten Fällen sofort nach ihrer Ankunft durch Gas ermordet zu werden.
Telis Nahmias, ein Überlebender reichte daher 1997 in Saloniki Klage wegen des erpressten Lösegelds gegen Deutschland ein – das griechische Gericht wies die Klage zunächst wegen Unzuständigkeit, dann wegen nicht genau bezifferter Arbeitsstunden und Lohnsummen zurück. Nach einigem Hin und Her reichte die Jüdische Gemeinde dann im Februar 2014 beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Klage gegen Griechenland und Deutschland ein, um vom Gericht beschieden zu werden, dass der Antrag die Zulässigkeitskriterien nicht erfülle und daher abzuweisen sei.
Was in diesem besonders krassen Fall beinahe wie eine Karikatur moderner Bürokratie wirkt – die ein Franz Kafka nicht hätte besser erfinden können – gewinnt seine Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft durch die Verflechtung historischer Argumentation und lebensgeschichtlicher Verdichtung. In der juristischen Sache geht es dann um das „BEG“, das Bundesentschädigungsgesetz, um lückenhafte internationale Abkommen sowie – jedenfalls in Deutschland – um eine gewisse Bereitschaft, Härtefälle anzuerkennen.
Scheinheilige Begründungen
Allerdings ließ die Bundesregierung 1986 – noch war Helmut Kohl Kanzler – gegen Bestrebungen, mehr Härtefälle zu berücksichtigen, scheinheilig verlauten, dass bei einer Änderung des geltenden Rechts die Gefahr bestünde „ dass das gesamte System des Wiedergutmachungs- und Kriegsfolgenrechts beeinträchtigt und damit zwangsläufig Ungerechtigkeiten geschaffen würden.“ Dass sich das aus der Perspektive jener, die als „Härtefall“ gelten, anders ausnimmt, versteht sich von selbst.
Einfühlsam erzählt Nina Schulz die Leben jener Männer und Frauen, die, inzwischen hochbetagt, um ihre Würde kämpfen, eine Würde, die sich in den anrührenden schwarz-weißen Photographien von Elisabeth Mena Urbitsch in einer Drastik ausdrückt, denen Worte kaum genügen können.
Es ist Winijuscz Natoniewski aus Polen, der als Kind bei einem Kriegsverbrechen von Wehrmachtssoldaten beinahe verbrannt wäre, keine Rente vom Staat erhält und noch immer entstellt ist, der dem, worum es geht, mit seinen Worten prägnanten Ausdruck verleiht: „Kein Kriegsverbrechen verjährt. Das Leben der Menschen verjährt. Oft fühlt es sich an wie eine Aufforderung „Mensch stirb einfach und gib Ruhe..“
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