BaWüs Innenminister Reinhold Gall: "Der Dialog steht an erster Stelle"
Baden-Württembergs neuer Innenminister will in seinem Ministerium aufräumen. Der "schwarze Donnerstag" müsse aufgeklärt werden - und womöglich Konsequenzen haben, sagt er.
taz: Herr Gall, Sie sind jetzt seit zwei Wochen Innenminister von Baden-Württemberg und haben in Stuttgart eine ziemlich aufmüpfige Stadtgesellschaft zu beruhigen. Haben Sie schon Angst vor Ihren Bürgern?
Reinhold Gall: Erstens sind die Stuttgarter Bürger nicht "meine" Bürger. Zweitens würde ich auch nicht von "Aufmüpfigen" reden. Hier geht es um die Auseinandersetzung um ein umstrittenes Bauprojekt und um Positionen, die schwer zu vereinbaren sind.
Sie haben ein schwieriges Amt geerbt. Ihr CDU-Vorgänger Heribert Rech war wegen der Polizeigewalt im Stuttgarter Schlossgarten bei vielen Bürgern verhasst. Haben Sie schon Inventur im Ministerium gemacht?
Die Eskalation im Stuttgarter Schlossgarten war eine Sondersituation. Wir werden jetzt zügig in einem Bericht aufarbeiten, was da passiert ist, damit wir den Landtag noch vor der Sommerpause informieren können. Dann sehen wir, ob es Verfehlungen gab, danach wird diskutiert. Und dann werden wir, falls nötig, Konsequenzen ziehen.
Es könnte also Abteilungsleiter in Ihrer Behörde geben, die jetzt zittern?
Das glaube ich nicht, weil nach meinem Erkenntnisstand Abteilungsleiter in die Vorkommnisse im Stuttgarter Schlossgarten nicht eingebunden waren.
REINHOLD GALL, 54, ist Mitglied der SPD und seit dem 12. Mai neuer Innenminister von Baden-Württemberg. Zuvor leitete er als parlamentarischer Geschäftsführer die SPD-Landtagsfraktion in Baden-Württemberg.
Also ist eher die Polizei schuld?
Das sage ich ausdrücklich nicht. Wie warten jetzt den Bericht ab, dann sehen wir weiter.
Viele Menschen erwarten noch immer eine Entschuldigung für das, was am "schwarzen Donnerstag", am 30. September 2010, passiert ist. Kann eine Institution wie ein Innenministerium eigentlich Reue zeigen?
Wenn Fehler gemacht worden sind, ist es keine Schande, sie zuzugeben. Ganz im Gegenteil.
Wie halten Sie es denn mit dem Einsatz von Wasserwerfern?
Als Innenminister habe ich die feste Absicht, dass Wasserwerfer als äußerste Zwangsmittel grundsätzlich nicht angewandt werden sollen. Natürlich lässt sich nicht ausschließen, dass es Situationen gibt, in denen die Polizei auch zu äußersten Zwangsmitteln greifen muss. Aber wir sind auch vor dem "schwarzen Donnerstag" jahrzehntelang ohne Wasserwerfer ausgekommen. Ich will, dass die Polizei wieder eine Bürgerpolizei wird und der Dialog an erster Stelle steht. Aber es gibt auch eine Bringschuld der Demonstranten.
Was meinen Sie damit?
Es gibt eine kleine, überschaubare Anzahl Menschen, die sich außerhalb des Akzeptablen bewegen. Ich kann nicht akzeptieren, wenn man Politiker pauschal als Lügenpack beschimpft, Polizisten beleidigt und bespuckt. Wenn die Dialogmechanismen versagen, dann können und müssen wir handeln.
Herr Gall, Sie gelten als bürgernah und sind in der freiwilligen Feuerwehr aktiv. Haben Sie schon mal in einer Sitzblockade gehockt?
Nein, das nicht. Aber zu Zeiten des Nato-Doppelbeschlusses habe ich durchaus mitdemonstriert. Sitzblockaden sind ein Mittel des Protests. Und solange sie vorübergehend sind, nicht die öffentliche Ordnung bedrohen und nicht gegen geltendes Recht verstoßen, kann ich sie akzeptieren.
Bei der letzten Baustellenblockade Anfang der Woche haben Sie die Demonstranten einfach sitzen lassen. Ist das die beste Sicherheitsstrategie: einfach ignorieren?
Nein. Die Auseinandersetzungen in Stuttgart kann man nicht lösen, indem man sich mit gegenseitiger Ignoranz straft. Aber bei den letzten Baustellenblockaden hat es funktioniert, wie ich es mir vorstelle: dialogbereit und konsensorientiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin