BaWü-Grüne und sichere Herkunftsländer: Ende der Symbolpolitik?
Ministerpräsident Kretschmann will das Konzept der „sicheren Herkunftsstaaten“ aufgeben – und den Grünen damit schwierige Entscheidungen ersparen.
Bisher wird die Liste der „sicheren Herkunftsstaaten“ per Gesetz festgelegt, dem der Bundesrat zustimmen muss. Die Folge dieser Einstufung ist eher symbolisch. Es wird vermutet, dass Antragssteller aus solchen Staaten nicht verfolgt werden. Sie können die Vermutung allerdings widerlegen. Das heißt, sie können – wie bisher – ihre Fluchtgründe und Beweise vorbringen und diese werden – wie bisher – individuell geprüft.
Mit dem Asylpaket II, das im März in Kraft trat, kamen für Asylsuchende aus „sicheren Herkunftsstaaten“ allerdings neue Verschlechterungen hinzu. Ihre Asylverfahren sollen nun in der Regel binnen sieben Tagen abgewickelt werden. Und sie müssen – wenn die Verfahren doch länger dauern – bis zum Abschluss in der Erstaufnahmeeinrichtung wohnen bleiben.
Kretschmann schlägt nun vor: „Grundsätzlich sollten wir die Anerkennungsquoten zum Maßstab nehmen und zu einem Automatismus übergehen: Fallen die Anerkennungsquoten für Asylanträge aus einem Staat unter eine bestimmte Schwelle, gelten für diese Staatsbürger generell verkürzte Asylverfahren“.
Das hätte auf der politischen Ebene vor allem zwei Folgen: Erstens wäre kein Gesetzgebungsverfahren mehr erforderlich. Die Koalition könnte also nicht mehr Pseudotatkraft demonstrieren, indem sie bestimmte Staaten als „sichere Herkunftsstaaten“ einstuft. Zweitens müsste der Bundesrat nicht mehr zustimmen. Die derzeit in der Länderkammer starken Grünen hätten also auch kein Vetorecht mehr. Sie müssten aber auch nicht mehr zermürbende Diskussionen führen, unter welchen Bedingungen sie der Koalition zu einer Mehrheit im Bundesrat verhelfen.
Irreführenden Begriff ganz aufgeben
Das grün-rot regierte Baden-Württemberg hatte bereits zweimal der Einstufung von Westbalkanländern als „sichere Herkunftsstaaten“ zugestimmt und dafür innerhalb der Grünen, aber auch aus Asylinitiativen viel Kritik erhalten.
Der Vorschlag Kretschmanns erinnert an einen Vorstoß des Kieler Umweltministers Robert Habeck, der im August 2015 einen ähnlichen Automatismus vorgeschlagen hat. Anders als Habeck ist Kretschmann aber konsequent und sucht nicht nur einen anderen Weg zur Einstufung als „sichere Herkunftsstaaten“, sondern will den irreführenden Begriff ganz aufgeben: „Dann können wir auf das Instrument der sogenannten sicheren Herkunftsstaaten verzichten“, sagte Kretschmann im Interview.
Bisher hat Kretschmann allerdings noch kein ausformuliertes Konzept vorgelegt. Wie die verkürzten Asylverfahren konkret aussehen sollen, ist ebenso noch offen wie die Schwelle, ab der geringe Anerkennungsquoten den Mechanismus auslösen sollen. Auch mit der inzwischen mitregierenden CDU ist der Vorstoß noch nicht abgestimmt, räumt man in Stuttgarter Regierungskreisen ein. Es geht offensichtlich erst einmal darum, die Akzeptanz der neuen Idee zu testen.
Noch allerdings steht die Frage im Raum, ob Algerien, Marokko und Tunesien zu „sicheren Herkunftsstaaten“ erklärt werden sollen. Der Bundestag hat dem Gesetz Mitte Mai gegen die Stimmen von Grünen und Linken zugestimmt. Am 17. Juni soll der Bundesrat über das Gesetz beraten. Wie Baden-Württemberg abstimmt, ist immer noch offen. Im grün-schwarzen Koalitionsvertrag heißt es, man werde das Gesetz „unterstützen, falls die entsprechenden hohen verfassungsrechtlichen Voraussetzungen vorliegen.“
Die Zustimmung von Baden-Württemberg allein genügt aber nicht. Die Große Koalition hat derzeit nur 20 Stimmen in der Länderkammer, bräuchte aber 35. Sie benötigt also die Stimmen von mindestens drei grün mitregierten Ländern. Gut möglich, dass die Einstufung der Maghrebstaaten am Ende scheitert. Die Union würde dann versuchen, die Grünen als unverantwortliche Blockierer hinzustellen. Kretschmann könnte dann mit seinem Gegenmodell kontern und darauf hinweisen, dass es der Union nur um martialische Symbolpolitik geht.
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