Kommentar Sichere Herkunftsstaaten: Kaltherzig, dumm und populistisch
Menschen aus den Maghreb-Staaten schneller abzuschieben, ist falsch. Man muss den Grünen dankbar sein, dass sie dabei nicht mitmachen.

Die Koalition tut so, als ließen sich Straftaten Einzelner auf Staatsbürger ganzer Staaten übertragen Foto: reuters
Die Idee der Koalition, Marokko, Tunesien und Algerien für „sicher“ zu erklären, ist kaltherzig, dumm und populistisch. Menschen aus diesen Staaten schneller abzuschieben, ist falsch. Das Gesetz wirkte von Anfang an so, als hätten die Erfolge der Rechtspopulisten Union und SPD das Gehirn vernebelt. Wie schön, dass sich die Grünen dazu durchgerungen haben, diesen Unfug im Bundesrat zu stoppen. Man muss ihnen dankbar dafür sein.
Die Koalition unterfütterte ihr Gesetz vor allem mit einem bestimmten zynischen Argument: Aus diesen drei Staaten würden ja nur sehr wenige Menschen in Deutschland als Asylberechtigte anerkannt. Warum also nicht die Verfahren beschleunigen? In der Tat sind die Schutzquoten sehr niedrig. Viele Menschen kommen aus Nordafrika zu uns nach Deutschland, weil sie hier ein besseres Leben suchen.
Aber die Gegenfrage lässt die Koalition unbeantwortet: Ist es deshalb gerechtfertigt, die wenigen, die wirklich Schutz brauchen, schlechter zu behandeln? Das Konstrukt der „sicheren Herkunftsstaaten“ wertet Pragmatismus höher als menschenrechtliche Abwägungen.
Dabei wissen alle: Weder Marokko noch Tunesien oder Algerien sind sicher. In den drei Staaten herrschen Zustände, die Menschenrechtler entsetzen. Schwule und Lesben wandern in den Knast. Die Polizei foltert Gefangene. Kritische Journalisten oder Blogger werden angeklagt. Auf den Arabischen Frühling folgte ja leider keine plötzliche wunderbare Demokratisierung.
Man muss schon sehr naiv sein, um zu glauben, in solchen Staaten gebe es keine „unmenschliche Behandlung“ – was das Grundgesetz fordert. Oder einfach nur sehr abgebrüht. Union und SPD formulierten dieses peinliche Gesetz als Antwort auf die sexuellen Attacken in der Kölner Silvesternacht, weil manche Täter aus Nordafrika kamen. Sie tun also so, als ließen sich Straftaten Einzelner auf ganze Völker übertragen. Die AfD hätte billige Reflexe nicht schöner in Gesetzesform gießen können.
Traurig ist, dass der Koalition der Tod ihres Gesetzes nicht nennenswert schaden wird. Denn der Plan, Marokkaner, Tunesier und Algerier schneller abzuschieben, ist in der Bevölkerung ausgesprochen beliebt. Innenpolitiker der Union verschicken schon eifrig Pressemitteilungen, in denen sie die Grünen als weltfremde Blümchenpartei diffamieren.
Jenseits solch absehbarer Spielchen gilt aber Grundsätzliches: Unfug wird nicht richtiger, wenn ihn viele Menschen wollen. Intellektuell redliche Politik muss sich ab und zu verpflichtet fühlen, den Leuten die Wahrheit zu sagen.
Kommentar Sichere Herkunftsstaaten: Kaltherzig, dumm und populistisch
Menschen aus den Maghreb-Staaten schneller abzuschieben, ist falsch. Man muss den Grünen dankbar sein, dass sie dabei nicht mitmachen.
Die Koalition tut so, als ließen sich Straftaten Einzelner auf Staatsbürger ganzer Staaten übertragen Foto: reuters
Die Idee der Koalition, Marokko, Tunesien und Algerien für „sicher“ zu erklären, ist kaltherzig, dumm und populistisch. Menschen aus diesen Staaten schneller abzuschieben, ist falsch. Das Gesetz wirkte von Anfang an so, als hätten die Erfolge der Rechtspopulisten Union und SPD das Gehirn vernebelt. Wie schön, dass sich die Grünen dazu durchgerungen haben, diesen Unfug im Bundesrat zu stoppen. Man muss ihnen dankbar dafür sein.
Die Koalition unterfütterte ihr Gesetz vor allem mit einem bestimmten zynischen Argument: Aus diesen drei Staaten würden ja nur sehr wenige Menschen in Deutschland als Asylberechtigte anerkannt. Warum also nicht die Verfahren beschleunigen? In der Tat sind die Schutzquoten sehr niedrig. Viele Menschen kommen aus Nordafrika zu uns nach Deutschland, weil sie hier ein besseres Leben suchen.
Aber die Gegenfrage lässt die Koalition unbeantwortet: Ist es deshalb gerechtfertigt, die wenigen, die wirklich Schutz brauchen, schlechter zu behandeln? Das Konstrukt der „sicheren Herkunftsstaaten“ wertet Pragmatismus höher als menschenrechtliche Abwägungen.
Dabei wissen alle: Weder Marokko noch Tunesien oder Algerien sind sicher. In den drei Staaten herrschen Zustände, die Menschenrechtler entsetzen. Schwule und Lesben wandern in den Knast. Die Polizei foltert Gefangene. Kritische Journalisten oder Blogger werden angeklagt. Auf den Arabischen Frühling folgte ja leider keine plötzliche wunderbare Demokratisierung.
Man muss schon sehr naiv sein, um zu glauben, in solchen Staaten gebe es keine „unmenschliche Behandlung“ – was das Grundgesetz fordert. Oder einfach nur sehr abgebrüht. Union und SPD formulierten dieses peinliche Gesetz als Antwort auf die sexuellen Attacken in der Kölner Silvesternacht, weil manche Täter aus Nordafrika kamen. Sie tun also so, als ließen sich Straftaten Einzelner auf ganze Völker übertragen. Die AfD hätte billige Reflexe nicht schöner in Gesetzesform gießen können.
Traurig ist, dass der Koalition der Tod ihres Gesetzes nicht nennenswert schaden wird. Denn der Plan, Marokkaner, Tunesier und Algerier schneller abzuschieben, ist in der Bevölkerung ausgesprochen beliebt. Innenpolitiker der Union verschicken schon eifrig Pressemitteilungen, in denen sie die Grünen als weltfremde Blümchenpartei diffamieren.
Jenseits solch absehbarer Spielchen gilt aber Grundsätzliches: Unfug wird nicht richtiger, wenn ihn viele Menschen wollen. Intellektuell redliche Politik muss sich ab und zu verpflichtet fühlen, den Leuten die Wahrheit zu sagen.
Fehler auf taz.de entdeckt?
Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!
Inhaltliches Feedback?
Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.
Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.
Schwerpunkt Flucht
Kommentar von
Ulrich Schulte
Leiter Parlamentsbüro
Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.
Themen
Harald Welzer über Wirtschaft und Zukunft
It's the Economy, Ökos.
Wir müssen das Ökonomische ins Zentrum der Transformation stellen. Denn dort entscheidet sich Zukunft.
Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.