BVerfG zu Freihandelsabkommen Ceta: Blankoscheck für die Regierung?
Die Linksfraktion hat 2016 Verfassungsklage gegen die Zustimmung des Bundestags zu Ceta erhoben. Am Dienstag wird in Karlsruhe darüber verhandelt.

Durch das Ceta-Abkommen soll der Handel zwischen der EU und Kanada intensiviert werden. Über 99 Prozent der Zölle werden beseitigt. EU-Firmen können in Kanada auch bei öffentlichen Ausschreibungen auf regionaler und kommunaler Ebene zum Zuge kommen.
Der EU-Ministerrat stimmte Ceta im Oktober 2016 zu. Das Bundesverfassungsgericht hatte der Bundesregierung die Zustimmung dort in einem Eilbeschluss unter Auflagen erlaubt. Der Großteil des Ceta-Vertrags wird seit 2017 aufgrund eines separaten Beschlusses bereits vorläufig angewandt.
Beim Bundesverfassungsgericht sind zwei Großverfahren zu Ceta anhängig. Die inhaltliche Bewertung, ob die EU beim Abschluss des Vertrags jenseits ihrer Kompetenzen („ultra vires“) agierte, wird voraussichtlich im nächsten Frühjahr verhandelt. Kläger ist hier ein Bündnis von „Mehr Demokratie“, foodwatch und campact, das von 125.000 Bürgern unterstützt wird. Auch die Linksfraktion im Bundestag ist mit einer separaten Klage dabei.
Eine Chance, Umweltschutzstandards zu untergraben?
An diesem Dienstag wird aber zunächst über die parlaments-rechtlichen Fragen diskutiert. Die Linksfraktion greift in ihrer Organklage die Stellungnahme des Bundestags zur vorläufigen Anwendung von Ceta an. Im September 2016 gab der Bundestag grünes Licht, unter der Voraussetzung, dass der Investitionsschutz und Themen mit nationaler Kompetenz ausgenommen werden.
Den Linken ging das alles nicht weit genug. Statt einer Stellungnahme mit beschränkter Verbindlichkeit hätte der Bundestag seine Position verbindlich per Gesetz festklopfen müssen, finden sie. Auch inhaltlich sei die Stellungnahme zu vage und stelle der Regierung quasi einen „Blankoscheck“ aus, heißt es in der Klage, die vom Berliner Rechtsprofessor Andreas Fischer-Lescano formuliert wurde. Der Bundestag benenne weder genau, welche Materien von der vorläufigen Anwendung ausgenommen werden sollten, noch stelle er sicher, dass die EU nicht jenseits ihrer Kompetenzen handelt.
Im Oktober 2015 demonstrierten in Berlin rund 250.000 Menschen gegen Ceta. Kritisiert wurde vor allem der Schutz von Investoren aus dem jeweils anderen Wirtschaftsraum. Investoren wird im Vertrag eine „gerechte und billige“ Behandlung zugesichert, außerdem werden sie gegen „indirekte Enteignungen“ geschützt.
Kritiker fürchten, dass Konzerne auf diesem Weg eine Verbesserung der Standards im Umwelt- und Verbraucherschutz sowie im Arbeitsrecht blockieren können. Aufgrund der Proteste wurde für den Investorenschutz in Ceta allerdings eine innovative Lösung vereinbart. Im Ceta-Gericht sollen 15 dauerhaft bestellte Richter sitzen, während Schiedsgerichte bisher aus fallweise bezahlten Anwälten und Professoren zusammengesetzt wurden.
Es droht eine Blamage für die Groko
Ursprünglich richtete sich der Protest gegen das geplante TTIP-Abkommen mit den USA, das aber nicht zustandekam, weil US-Präsident Donald Trump kein Interesse an Freihandelsabkommen zu haben scheint. Für die EU dient nun Ceta als beispielhaftes Abkommen, an dem sich weitere Freihandelsverträge, etwa mit China, orientieren sollen.
Und das Abkommen hat tatsächlich deutliche Konsequenzen: Im Jahr 2018 stieg der Warenausfuhr aus der EU nach Kanada um 15 Prozent gegenüber dem Schnitt der drei Vorjahre. Es wuchsen vor allem die Ausfuhren für Käse (plus 33 Prozent) und Pharmaprodukte (29 Prozent).
Die vorläufige Anwendung des Abkommens gilt indes nicht für die Regeln zum Investitionsschutz, bei denen noch die Ratifikation der nationalen Parlamente erforderlich ist. Bisher haben die Volksvertretungen von 14 EU-Staaten den Vertrag ratifiziert, es fehlen noch 13 EU-staaten, darunter Deutschland. Zuletzt hatte das zyprische Parlament gegen das Abkommen gestimmt. In der Bundesrepublik ist umstritten, ob neben dem Bundestag auch der Bundesrat zustimmen muss, wo die Grünen, die Ceta bislang kritisierten, ein Veto durchsetzen könnten. Die Bundespolitik wartet derzeit auf den Ausgang der Prozesse in Karlsruhe und will erst anschließend über eine Ceta-Ratifikation entscheiden.
Das Urteil zur aktuellen Klage der Linksfraktion wird erst in einigen Monaten verkündet. Ein Erfolg der Linken wäre eine Blamage für die Große Koalition und würde wohl Standards für die künftige EU-Verantwortung des Bundestags setzen. Da es um innerstaatliche Abläufe geht, hätte ein Erfolg der Verfassungsklage aber wohl keine Auswirkungen auf die vorläufige deutsche Bindung an Ceta.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links