BUNDESVERFASSUNGSGERICHT IST KEINE RECHTSBERATUNG DER REGIERUNG: Staat unterwandert Extremisten
Früher hatte man in Deutschland Angst, dass Extremisten den Staat unterwandern. Jetzt aber bangt die Politik, dass der Staat möglicherweise die Extremisten zu stark unterwandert hat. Schließlich könnte das Verbotsverfahren gegen die NPD, mit dem man innen-, aber vor allem auch außenpolitisch Punkte sammeln wollte, genau hieran scheitern. In einer gemeinsamen Stellungnahme an das Verfassungsgericht versuchen die drei Antragsteller Bundesregierung, Bundesrat und Bundestag heute zu retten, was noch zu retten ist.
Allerdings näherte sich die Debatte der vergangenen zwei Wochen dem eigentlichen Problem viel zu behutsam. Zuerst schaute man lediglich auf die vierzehn vom Bundesverfassungsgericht eingeladenen Auskunftspersonen aus der rechten Szene und freute sich, dass außer Wolfgang Frenz kein weiterer aktiver oder ehemaliger V-Mann dabei sein soll. Schon war die alte Selbstgerechtigkeit der Innenminister wieder da.
Erst nach einigen Tagen bemerkte man, dass es auch auf die in den Verbotsanträgen zitierten NPD-Kader ankommt. Hier gab die Bundesregierung zuerst die Existenz von drei aktiven oder ehemaligen V-Leuten zu (Frenz, Brandt, Holtmann), inzwischen wurden noch zwei weitere Namen (Meier und Layer) genannt. Zu Recht wurden die Innenminister langsam nervös.
Doch mit einem Ende der Enthüllungen ist nicht zu rechnen. Schließlich haben NPD-Kader, um sich selbst zu schützen, oft unter Pseudonym für die Parteizeitungen geschrieben, so auch die V-Leute in der NPD. Damit sind vermutlich weitere Namen in den Verbotsanträgen nicht mehr als belastbare Belege einzustufen. Auch weiß niemand, wie offizielle Parteibeschlüsse konkret zustande kamen. Sicher wird derzeit kein Innenminister darauf schwören, dass V-Leute nicht auch am NPD-Parteiprogramm mitgeschrieben haben.
Jetzt wollen die Antragsteller die Verantwortung abschieben und warten auf einen Wink aus Karlsruhe, ob neue Verbotsanträge vorgelegt werden müssen. Einen solchen Wink wird es aber nicht geben. Das Bundesverfassungsgericht ist nicht der Rechtsbeistand der Antragsteller, sondern ein unabhängiges Gericht. Es kann weder der Bundesregierung noch der NPD Tipps geben, wie sie sich in der jetzigen Situation am schlauesten verhalten sollen. Karlsruhe wird vielmehr prüfen, ob die (im letzten Oktober beschlossene) Eröffnung des Verfahrens noch gerechtfertigt ist. Und falls es den Eröffnungsbeschluss zurücknimmt, muss die Politik selbstständig entscheiden, ob sie neue Anträge stellt oder – was nahe läge – das Unternehmen „NPD-Verbot“ aufgibt.
Auch vor anderen „Angeboten“ dürfte und sollte Karlsruhe sich hüten. So wurde in Berlin häufig vorgeschlagen, das Verfassungsgericht „in camera“, also hinter verschlossenen Türen, über Identität und Arbeitsweise der möglicherweise rund 100 V-Leute in der NPD zu informieren. Gerade in einem Verfahren, das durch Geheimdienstverwicklungen belastet ist, würde es jedoch einen ganz schlechten Eindruck hinterlassen, wenn sich auch noch das Gericht auf verdeckte Informationen einließe. Schließlich hat nur die mutige Verschiebung der NPD-Verhandlung das Vertrauen in den Rechtsstaat gesichert.
Auch der jetzt beim Verfassungsgericht eingereichte Schriftsatz ist eine Zumutung. Argumentiert wird hier, die V-Leute hätten die NPD weder gesteuert noch als „agents provocateurs“ Straftaten in die NPD hineingetragen. Vielmehr handele es sich um überzeugte NPD-Aktivisten, die nebenbei vom Verfassungsschutz noch etwas Geld bekommen haben. Die Theorie der V-Leute-Führung ist damit sicher richtig beschrieben. Nur: In dieser Theorie hätte es eben auch keine V-Leute in NPD-Führungspositionen geben dürfen. Es wäre demnach unmöglich gewesen, dass in der nordrhein-westfälischen NPD zugleich der Vorsitzende (Holtmann) wie auch der stellvertretende Vorsitzende (Frenz) für unterschiedliche Verfassungsschutzämter spitzelten. Und der Fehler hatte System: Auch die V-Leute Brandt, Meier und Layer waren jeweils in führenden Positionen tätig.
Es steht daher zu befürchten, dass auch die jetzt eingereichte Beschwichtigungserklärung eher fromme Wünsche als handfeste Analysen enthält. Immer mehr wird deutlich, dass ein rechtsstaatlich ablaufendes Parteiverbot im Unterwanderungsstaat gar nicht möglich ist. CHRISTIAN RATH
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