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BSW im WahlkampfDie Klippen umschifft

Das Bündnis Sahra Wagenknecht schwächelt in den Umfragen, hinzu kommen interne Querelen. In Waren an der Müritz macht das nichts aus.

Ganz eng mit Wagenknecht: Christian Leye Foto: Stefan Boness

Waren an der Müritz taz | Christian Leye malt ein düsteres Bild. Deutschland sei das „Schlusslicht unter den Industrienationen“, sagt der Generalsekretär des Bündnisses Sahra Wagenknecht, die Zahl der Firmenpleiten sei so hoch wie seit der Finanzkrise 2009 nicht mehr, die soziale Ungleichheit wachse. Und was plakatiert der deutsche Wirtschaftsminister? „Mensch bleiben“, sagt Christian Leye, und fragt: „Ja was denn sonst? Ein Stuhl? Zwei Kisten Bier? Was für ein unpolitischer Gefühlszirkus.“

Leyes bodenständige Art und sein trockener Humor kommen hier gut an. Am Ende dankt ihm der Moderator für seine mitreißende Rede

Leye, der mit seiner Parteichefin vor einem Jahr aus der Linken austrat, gehört zum engsten Kreis um Wagenknecht. Der Bundestagsabgeordnete hat im vergangenen Jahr den Aufbau der Partei organisiert. Doch heute ist er gute 600 Kilometer aus dem Ruhrgebiet ins beschauliche Mecklenburg-Vorpommern gefahren – nach Waren, einem Kurort an der Müritz, dem größten Binnensee Deutschlands.

Er will hier im Wahlkampf Aufbruchsstimmung verbreiten und für Enthusiasmus sorgen. Keine einfache Aufgabe, denn das BSW schrammt in den Umfragen um die Fünfprozenthürde herum, und die Menschen an der Mecklenburgischen Seenplatte gelten auch nicht als besonders begeisterungsfähig. Aber Leyes bodenständige Art und sein trockener Humor kommen hier gut an. Am Ende dankt ihm der Moderator sogar für seine „mitreißende Rede“.

Knapp 90 Menschen sind in das Veranstaltungszentrum der Stadt gekommen. Die meisten sind Unterstützer oder sogar Mitglieder – einige tragen einen BSW-Button an der Jacke, einer ein BSW-Sweatshirt. Auch ein NDR-Kamerateam ist da. Auf der Bühne stehen drei große weiße Buchstaben: B, S und W, dahinter ein Tisch, um den sich Leye und die beiden Landesvorsitzenden in Mecklenburg-Vorpommern gruppieren, die Pastorin Melanie Dango und der ehemalige Linken-Politiker Friedrich Straetmanns, derzeit noch Staatssekretär im Schweriner Justizministerium.

Der Junge, der es zu etwas gebracht hat

Am Tresen gibt es Würstchen und Bier. Leye trägt einen blauen Dreireiher, Kurzhaarschnitt und getrimmten Bart: Er ist der Junge aus dem Pott, der es zu etwas gebracht hat. In Waren wird er wie ein Star begrüßt. Seine Rede dreht sich vor allem um Wirtschaft und soziale Ungleichheit. Oft fällt das Wort „Kapitalismus“.

Nach seiner Rede zielt die erste Frage aus dem Publikum auf die Umfragen: Warum fallen die so unterschiedlich aus? Leye antwortet, es gebe eine statistische Spannbreite, aber mit Umfragen werde auch Politik gemacht. „Ich sehe das sportlich“, und er sei sicher, dass das BSW in den Bundestag kommt. Ein anderer will wissen, warum das BSW in den Medien oft so schlecht wegkäme.

Auch da wiegelt Leye ab. Es gebe Journalisten, die fair berichteten. Andere würden immer wieder das Klischee von der „Kreml-Partei“ aufwärmen. Über die Berichterstattung zur Gründung eines Gegen-Landesverbands in Hamburg habe er sich sehr geärgert, gibt er zu: „Hätten die auch so viel Aufmerksamkeit bekommen, wenn die einen alternativen SPD-Kreisverband gegründet hätten?“, fragt er. „Ich glaube, kaum.“

Was er nicht erwähnt, sind die internen Querelen. Die Migrationsdebatte hat die junge Partei aufgewühlt. Sechs bayerische BSW-Mitglieder haben sie verlassen, weil sie im Bundestag mit der AfD gestimmt hat. Ihr Europaabgeordener Friedrich Pürner hat die Parteispitze scharf kritisiert, am Donnerstag tritt er aus. Doch Leye umschifft diese Klippen, und an der Müritz fragt am Mittwoch niemand danach.

Untersuchungsausschuss gefordert

Der Schuh drückt woanders. In Waren wurde jüngst eine marode Brücke gesprengt, die Bahnstrecke zwischen Rostock und Berlin ist gesperrt. Der Nachbarort ist seit einem Jahr nur per Schienenersatzverkehr zu erreichen. Mancherorts gilt es als Luxus, wenn hier öfter als zwei Mal am Tag ein Bus fährt.

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Ein „interessierter Bürger“ will außerdem wissen, wie das BSW die Coronapolitik aufarbeiten will. Leye gibt das Mikro an den Landesparteichef Sraetmanns weiter. Man fordere einen Untersuchungsausschuss, sagt der. Freiheits- und Bürgerrechte seien zu sehr eingeschränkt worden.

Das Thema treibt hier immer noch viele um. Für Co-Landeschefin Melanie Dango war es der Grund, in die Partei einzutreten. Sie gehörte zu den ersten Mitgliedern, die sie vor einem Jahr in Berlin gründeten. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich mal in die Politik gehe“, sagt sie. Aber die Coronazeit habe sie politisiert.

Sie selbst habe sich impfen lassen, betont sie. Aber die Spaltung zwischen Ungeimpften und Geimpften habe Spuren hinterlassen. Am Mittag war sie auf dem Markt in Waren. Jeden Tag gebe es zwei bis drei BSW-Stände im Land. In Mecklenburg liegt das BSW in Umfragen bei 11 Prozent, weniger als im Oktober. Dango ist trotzdem optimistisch: „Die Reaktionen sind fast nur positiv.“

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1 Kommentar

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  • Diese ätzende Verbreitung von Endzeitstimmung nervt mich total. Politisch verantwortungslos.