BSW-Landeschef über Koalition mit SPD: „Herr Woidke wird im ersten Wahlgang genug Stimmen erhalten“
Die Koalition mit der SPD ist stabil, versichert Brandenburgs BSW-Chef Crumbach vor der Ministerpräsidentenwahl. AfD-Anträge will er nicht unterstützen.
taz: Herr Crumbach, Ihre Parteifreundin Sevim Dağdelen bezeichnet den Koalitionsvertrag Ihrer Partei mit der SPD in Brandenburg als „historisch“. Was ist daran historisch?
Robert Crumbach: Ich selbst würde nicht ganz so weit gehen. Aber es ist schon sehr bedeutsam, dass wir zum ersten Mal in den Koalitionsvertrag einer Landesregierung Positionen hineinverhandelt haben, die nicht nur landespolitisch relevant sind. Das hat schon eine besondere Bedeutung.
taz: Sie meinen die Präambel, in der Sie die Stationierung von US-Raketen in Deutschland und die Waffenlieferungen an die Ukraine in Zweifel ziehen. Ist das nicht nur Symbolik?
Crumbach: Nein, sondern es macht deutlich, dass die Bevölkerung in diesem Bundesland eine bestimmte Position hat, welcher die Mehrheit ihrer ins Parlament gewählten Vertreterinnen und Vertreter, also die Landesregierung, eine Stimme verleiht. Das ist mehr als Symbolik.
Der 62-jährige war als Arbeitsrichter zuletzt in Brandenburg an der Havel tätig. Er war über 40 Jahre Mitglied der SPD und trat 2024 zum „Bündnis Sahra Wagenknecht“ über. Im April 2024 wurde er zum Landesvorsitzenden des BSW in Brandenburg gewählt. Bei der Landtagswahl in Brandenburg im September erhielt das BSW mit 13,5 Prozent mehr Stimmen als die CDU und stellt nun 14 von 88 Abgeordneten im Potsdamer Landtag. Robert Crumbach soll Finanzminister werden.
taz: Sie wollen in Brandenburg alle Krankenhausstandorte erhalten, mehr Polizisten und Lehrer einstellen, die Kindergärten für Eltern beitragsfrei lassen und günstigen Nahverkehr ermöglichen. Wie wollen Sie das finanzieren? Sie werden ja jetzt Finanzminister.
Crumbach: Das Land Brandenburg verfügt immer noch über relativ große Einnahmen. Aber wir werden Prioritäten setzen müssen. Wir werden uns jede Ausgabe anschauen und fragen müssen: Ist es das, was wir wollen? Das wird natürlich harte Verhandlungen mit den einzelnen Ministerinnen und Ministern geben. Aber das ist, was Politik am Ende ausmacht. Das kennt jeder von zu Hause: Man muss mit dem Geld auskommen, das man hat. Aber eine Rotstift-Politik wird es mit uns nicht geben. Dafür sind die Steuereinnahmen des Landes zu gut.
taz: Wo sehen Sie Wachstumschancen in Brandenburg?
Crumbach: Wir stehen in Deutschland an einem Kipppunkt, was die wirtschaftliche Situation betrifft, und könnten in eine richtige Rezession reinrutschen. Einen Teil der Probleme haben wir im Koalitionsvertrag beschrieben. Wir müssen über die Energiepreise und die CO2-Preise nachdenken, und wir müssen unseren Unternehmen im Land gute Rahmenbedingungen bieten. Deshalb ist uns beispielsweise die Tariftreueregelung so wichtig. Sie verpflichtet Auftragnehmer eines öffentlichen Vergabeverfahrens dazu, ihren Arbeitnehmern Tariflöhne zu zahlen. Das bedeutet für viele Unternehmen mehr Sicherheit und erleichtert es ihnen, an der Vergabe teilzunehmen. Aber natürlich braucht es noch mehr Rahmenbedingungen. Einfach wird das nicht, das ist richtig.
taz: Wie stehen Sie zu der Tesla-Fabrik in Brandenburg? Die SPD sieht sie als Erfolg, weil dort 12 000 Arbeitsplätze geschaffen wurden, aber es gibt auch viel Kritik: am Ausbau und an der Arbeitssicherheit, am Wasser und am Abwasser.
Crumbach: Tesla zahlt relativ gute Löhne. Ich wünsche mir, dass auch dort irgendwann der Flächentarifvertrag gilt, aber das ist Sache der Gewerkschaft, das auszuhandeln. Was die Probleme mit dem Wasser und dem Abwasser angeht, hat sich der zuständige Wasserverband Strausberg-Erkner gerade auf einen neuen Vertragsentwurf für Tesla geeinigt. Ich hoffe, dass das dann auch zufriedenstellend gelöst wird. Wir werden aufpassen, dass nicht einfach nur die Interessen von Tesla bedient werden, sondern auch die der Menschen, die in der Umgebung des Werks wohnen.
taz: Sie haben einen Neuanfang für Brandenburg versprochen. Enthält Ihr Koalitionsvertrag nicht in Wirklichkeit ziemlich viel „weiter so“?
Crumbach: Der Koalitionsvertrag ist mit knapp 70 Seiten ein bisschen kürzer ausgefallen als andere Koalitionsverträge. Wir haben Probleme und Chancen benannt und konkrete Dinge miteinander vereinbart. Das macht mich zuversichtlich, und ich kann Ihnen auch versprechen: Unsere Minister werden nicht nur auf ihre Ressorts schauen, sondern wir werden uns gegenseitig in unsere Ressorts einmischen, und das erwarte ich auch von der SPD. Denn es ist unsere Aufgabe, das gemeinsam hinzukriegen, um das Land nach vorne zu bringen. Das ist kein Weiter so, das ist anders als bisher.
taz: Fürchten Sie nicht, dass manche Wähler enttäuscht sein können, weil sie mehr erwartet haben?
Crumbach: Ich weiß, dass viele Menschen auf uns vertrauen, und ich weiß, dass man Vertrauen auch enttäuschen kann, und das dürfen wir nicht. Aber Angst habe ich keine, und Lob oder Tadel spornen mich auch nicht an. Wer sich um Verantwortung bemüht, darf nicht davor zurückschrecken, wenn er sie tatsächlich tragen muss.
taz: Die Bundeswehr baut den Fliegerhorst Holzdorf an der Grenze von Brandenburg zu Sachsen-Anhalt zum größten Luftwaffenstützpunkt der Bundeswehr im Osten Deutschlands aus. Ihr Abgeordneter Sven Hornauf hatte gedroht, Ministerpräsident Dietmar Woidke seine Stimme zu verweigern, wenn dort das Raketenabwehrsystems Arrow 3 stationiert werden soll. Hat er recht?
Crumbach: Wir halten die Anschaffung von Arrow 3 nicht für besonders klug, wir lehnen sie ab. Das System ist viel zu teuer und untauglich, das sehen auch viele Militärexperten so. Nichtsdestotrotz hat die Bundesregierung dieses System angeschafft und stellt Mittel zur Stationierung zur Verfügung. Es fließt kein Geld aus unserem Landeshaushalt da rein.
taz: Zur Entwicklung der Infrastruktur in der Region sollen auch Landesmittel fließen.
Crumbach: Es werden viele Soldatinnen und Soldaten auf diesem Standort Dienst tun. In Holzdorf werden auch neue Transporthubschrauber stationiert. Die werden dann nicht mehr in Bayern, sondern in Brandenburg gewartet werden. Da entstehen Arbeitsplätze, und dafür braucht es Infrastruktur wie Schulen und Kindergärten. Ich halte es für richtig, dass dafür Mittel zur Verfügung gestellt werden. Der Bund stellt dafür Mittel aus dem Bundeshaushalt zur Verfügung. Warum sollten wir darauf verzichten?
taz: Wird Sven Hornauf in Ihrer Fraktion bleiben? Sie hatten ihm nahegelegt, sein Mandat zurückzugeben.
Crumbach: Wir hatten am Dienstag eine sehr offene, ehrliche Diskussion und sind uns in der Sache völlig einig. Ich weiß, dass Herr Hornauf gesagt hat, dass er nicht für Herrn Woidke stimmen will, aber bis Mittwoch hat er ja noch Zeit, sich das zu überlegen. Im Übrigen ist das eine geheime Wahl. Aber ich bin mir ganz sicher, dass Herr Woidke schon im ersten Wahlgang genügend Stimmen erhalten wird, um Ministerpräsident zu werden.
taz: Rechnen Sie mit Stimmen über Ihre Koalition hinaus?
Crumbach: Dietmar Woidke ist als Ministerpräsident sehr anerkannt. Er hat lange mit der Linken und später mit der CDU regiert, und möglicherweise wird er von dort Stimmen bekommen, die das honorieren und ihn stützen. Aber eins ist auch klar: Von uns kommen 13 Stimmen, und die 14. möglicherweise von Herrn Hornauf. Ich bin kein Hellseher, aber ich hoffe es sehr.
taz: Ein Ausschluss aus der BSW-Fraktion ist damit vom Tisch?
Crumbach: Wir haben am Dienstag miteinander gesprochen, so wie sich das für eine gute Familie und für eine gute Fraktion gehört. Und das, was zu bereden war, haben wir beredet.
taz: Wie werden Sie mit der AfD umgehen? Im Koalitionsvertrag haben Sie es ausgeschlossen, für Anträge der Opposition zu stimmen.
Crumbach: In einer Demokratie gibt es Spielregeln, und an die muss man sich halten, auch wenn wir gerne neue Spielregeln für das demokratische Miteinander aufstellen würden. Aber noch gibt es sie nicht.
taz: Sie haben einmal gesagt, Ihre Partei könnte Anträgen der AfD zustimmen, wenn diese sachgerecht und gut für Brandenburg sind.
Crumbach: Sie können sich ja mal anschauen, was die AfD so für Anträge ins Parlament einbringt. Sie selbst spricht davon, dass sie uns testen will. Aber da ist dann zum Beispiel von Nordostpreußen die Rede. Es fällt mir schwer anzunehmen, dass die keinen aktuellen Atlas zur Hand hatten. Solange die AfD nicht von ihrem rechtsextremen Weg abkommt, kann ich mir nicht vorstellen, einem ihrer Anträge zuzustimmen. Aber wenn sie davon ablässt und sich ändert, dann kann ich mir das vorstellen.
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