BND speichert ohne Rechtsgrundlage: Telefon-Daten illegal ausgewertet
Der Bundesnachrichtendienst muss Metadaten löschen. Das hat das Bundesverwaltungsgericht nach einer Klage von Reporter ohne Grenzen entschieden.
Konkret geht es um eine Datei namens VerAS (Verkehrsdatenanalysesystem). Sie wurde vom BND im Jahr 2002 eingerichtet und erfasst Abermillionen von Verbindungsdaten, die wohl 90 Tage lang gespeichert und ausgewertet werden. Die Daten stammen aus drei Quellen: aus der strategischen Überwachung des Telefonverkehrs zwischen Deutschland und dem Ausland, aus der Überwachung von Auslands-Auslands-Telefonverkehr sowie von anderen Geheimdiensten. In der Datei werden also auch Daten von Inländern erfasst.
Erfasst werden laut Bundesverwaltungsgericht in der Datei nur „Telefonie-Metadaten aus leitungsvermittelten Verkehren“. Das heißt IP-basierte Internet-Telefonie würde ebensowenig erfasst wie Emails und das Internet-Surfverhalten.
Soweit sich die Klage auch auf die Speicherung von Email- und Internet-Verkehren richtete, wurde sie als unzulässig abgewiesen. Möglicherweise werden solche Metadaten in anderen Dateien gespeichert. Nach Angaben von Zeit Online speichert der BND 220 Millionen Metadaten pro Tag, wobei pro Gespräch Dutzende Metadaten anfallen.
Analyse bis in die fünfte Ebene
Der BND wertete die Daten von Terrorverdächtigen in seiner Analysedatei bis in die fünfte Ebene aus, um „Netzwerke“ zu erkennen. „Das bedeutet, dass ein Journalist von dem Programm erfasst werden kann, der mit einer Quelle in Kontakt ist, die mit jemandem in Kontakt steht, der wiederum mit jemandem in Kontakt steht, der mit einer unter Terrorverdacht stehenden Person kommuniziert“, so Niko-Härting in der Klage.
Das Bundesverwaltungsgericht sah in der Speicherung und Auswertung solcher Daten einen Eingriff in das grundrechtlich geschützte Fernmeldegeheimnis.
Der BND hatte dies mit zwei Argumenten bestritten. Zum einen hieß es, Metadaten seien per se keine personenbezogenen Daten. Das hat das Bundesverfassungsgericht aber schon längst anders entschieden.
Zum anderen berief sich der BND darauf, die Telefonnummern würden vor der Speicherung anonymisiert, also ge-ixt. Allerdings kann der BND bei Bedarf wohl doch wieder auf die vollständige Telefonnummer und damit auch die Identität eines Gesprächsteilnehmers zugreifen. Jedenfalls sei auch die Speicherung von „anonymisierten“ Rufnummern ein Grundrechtseingriff, so die Richter.
Gesetzliche Grundlage fehlt
Im Rechtsstaat sind Grundrechtseingriffe aber nur zulässig, wenn es eine gesetzliche Grundlage gibt. Hieran fehlte es aber nach Ansicht des BVerwG. Die alte Befugnis für die strategische Überwachung des Fernmeldeverkehrs und die 2016 eingeführte neue Befugnis für die – schon vorher praktizierte – Überwachung des Auslands-Auslandsverkehrs genüge nicht.
Denn dort sei nur erlaubt, den Verkehr mit bestimmten Suchbegriffen (Rufnummern oder Sachbegriffen) abzugleichen. Was nicht ausgefiltert und näher betrachtet wird, müsste eigentlich sofort gelöscht werden. In der VerAS wird es aber noch längere Zeit gespeichert.
Die Richter billigten den Klägern nun einen „öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch“ zu. Der BND muss ihre Daten jetzt löschen. Dieses Urteil gilt zwar nur gegenüber diesen Klägern, würde aber wohl bei jedem anderen in Deutschland lebenden Kläger ähnlich ausfallen. Die schriftliche Begründung des Urteil liegt leider noch nicht vor. Mit ihr ist erst in zwei bis drei Monaten zu rechnen.
Da nur die fehlende gesetzliche Grundlage gerügt wurde und nicht die Unverhältnismäßigkeit der Speicherung und Auswertung an sich, könnte der Gesetzgeber den Mangel wohl beheben, indem er nun eine gesetzliche Regelung für die VerAS-Datei schafft.
Die große Koalition hat darin ja schon Erfahrung. Ende 2016 wurde für die Auslands-Auslands-Überwachung eine gesetzliche Regelung im BND-Gesetz geschaffen, nachdem sich diese Form der Ausspähung jahrzehntelang in einer rechtlichen Grauzone befand.
(Az.: 6 A 6.16)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken