BGH zu Afghanistan-Papieren: Kein „Zensurheberrecht“
Die Bundesregierung wollte Afghanistan-Berichte zurückhalten. Auf das Urheberrecht kann sie sich aber nicht stützen, so der Bundesgerichtshof.
Konkret ging es dabei um die sogenannten Afghanistan-Papiere. Die Funke-Mediengruppe hatte durch eine undichte Stelle die vertraulichen Afghanistan-Berichte der Bundesregierung für die Jahre 2005 bis 2012 erhalten und veröffentlichte sie alsbald auf ihrem Webangebot www.derwesten.de. Hiergegen klagte die Bundesregierung in zwei Instanzen erfolgreich auf Unterlassung und berief sich dabei auf das Urheberrecht ihrer Mitarbeiter an den Berichten.
Auf Vorlage des BGH beschäftigte sich Europäische Gerichtshof im Vorjahr mit dem Fall. Er bezweifelt, ob die Berichte überhaupt urheberrechtlich geschützt sind, denn bloße Sachinformationen seien eventuell kein schöpferisches Werk. Letztlich müssten die Grundrechte abgewogen werden, wobei Presse- und Meinungsfreiheit im Konfliktfall Vorrang vor dem Urheberrecht hätten, so der EuGH im Sommer 2019.
Auf dieser Basis entschied nun der Bundesgerichtshof. Dabei blieb die Grundsatzfrage weiter offen, ob die Regierungsberichte aus Afghanistan überhaupt urheberrechtlich geschützt sind. Der Vorsitzende BGH-Richter Thomas Koch nannte die entsprechende Behauptung der Regierung zwar „sehr zweifelhaft“. Doch um diese Frage zu klären, hätte der Prozess ans Oberlandesgericht Köln zurückverwiesen werden müssen und das wollte der BGH aus Effizienzgründen vermeiden.
„Das Urheberrecht schützt nicht die Sicherheit der Soldaten“
Der BGH lehnte die Klage der Bundesregierung nun aber dennoch ab, weil die Veröffentlichung der Afghanistan-Papiere jedenfalls urheberrechtlich gerechtfertigt war. Das Portal „derwesten.de“ konnte sich auf die Klausel zur „Berichterstattung über Tagesereignisse“ berufen (Paragraph 50 Urheberrechtsgesetz).
Es handele sich hier um „Berichterstattung“, so Richter Koch, weil die Papiere mit einer Einleitung, weiterführenden Links und einer Einladung zur gemeinsamen Auswertung versehen waren. Auch die „systematisierte“ Form der Präsentation spreche für „Berichterstattung“.
Die Veröffentlichung der Afghanistan-Papiere habe auch „Tagesereignisee“ betroffen. Der BGH sah darin einen Beitrag zur Diskussion, ob der Bundeswehreinsatz in Afghanistan eine „Friedensmission“ war oder doch als „Beteiligung an einem Krieg“ gewertet werden musste.
Die Regierungsbeamten hatten sich urheberrechtlich nicht auf ein Verwertungsinteresse berufen, sondern auf ihr Uhrheberpersönlichkeitsrecht. Dieses umfasse auch die Entscheidung, ein eigenes Papier nicht zu veröffentlichen.
Im konkreten Fall passe das Urheberpersönlichkeitsrecht aber nicht, so der BGH. Zwar könne der Autor eines Werks selbst entscheiden, wann er sich damit an die Öffentlichkeit wagt und der Kritik aussetzt. Es schütze aber nicht den Wunsch der Bundesregierung nach „Geheimhaltung von Umständen, deren Offenlegung Nachteile für die staatlichen Interessen“ bringen könnte. Richter Koch wurde hier ganz deutlich: „Das Urheberpersönlichkeitsrecht schützt nicht die Sicherheit der Soldaten in Afghanistan“.
Das BGH-Urteil hat grundsätzliche Bedeutung. Denn die Regierung geht immer wieder gegen Medien vor, indem sie sich auf das Urheberrecht an staatlichen Berichten beruft, etwa bei der Veröffentlichung von Gutachten über das Pestizid Glyphosat. Medienverbände sprachen bereits von einem „Zensurheberrecht“. Der Deutsche Journalistenverband (DJV) lobte gestern den BGH, Die Entscheidung sei ein „gutes Urteil für die Pressefreiheit.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil