BER-Chef Lütke Daldrup geht (bald): Ein nachvollziehbarer Schritt
Corona hat die Flughafengesellschaft nach den Chaos-Jahren in eine schwere Schieflage gebracht. Der scheidende Chef hat die Häme dafür nicht verdient.
Als die taz Engelbert Lütke Daldrup vor einem guten halben Jahr zum Interview traf, sagte der Geschäftsführer der Flughafengesellschaft FBB auf die Frage, ob er sich nicht oft unfair behandelt fühle: „Das ist bei mir mit dem Gehalt abgegolten.“ Absolut nachvollziehbar bei rund 400.000 Euro Jahresgehalt plus Zulagen – und die Häme, mit der Lütke Daldrup anlässlich seines vorgezogenen Abschieds (s. Kasten) überzogen wird, sowie die zum Teil krassen Beschuldigungen, die FBB finanziell vor die Wand gefahren zu haben, dürften sich da auch noch einpreisen lassen.
Fair sind viele dieser Stimmen trotzdem nicht. Geschuldet sind sie unterschiedlichen Interessen. Im Abgeordnetenhaus etwa liefern der scheidende BER-Chef und die nicht zu beschönigende finanzielle Schieflage der FBB willkommene Wahlkampfmunition: „Den Steuerzahlern steht nach der BER-Eröffnung das Wasser bis zum Hals“, so der CDU-Abgeordnete Christian Gräff, „da macht sich Flughafenchef Lütke Daldrup vom Acker. Das ist Drücken vor Verantwortung. Oder: Nach mir die Sintflut.“
Richtig: Die FBB wird bei der Aufsichtsratssitzung am Freitag wohl offenlegen, dass das Geschäft nur durch eine massive Entschuldung sowie Zuschüsse seitens der Gesellschafter Berlin, Brandenburg und Bund aufrechterhalten werden kann: Von 1,6 oder 1,8 Milliarden Euro in den kommenden Jahren ist in Medienberichten die Rede. Die FBB wird das mit der Pandemie begründen, die den BER im Jahr seiner Dann-doch-noch-Inbetriebnahme erwischt hat.
Und ja: Dass durch Corona das Fluggeschäft vor einem Jahr schlichtweg zusammenbrach, weiß man dabei in der CDU genauso wie bei den Grünen, deren haushaltspolitischer Sprecher Daniel Wesener gerade dem Spiegel sagte: „Unser Vertrauen in die FBB-Geschäftsführung ist restlos aufgebraucht. Finanzbedarfe werden geleugnet, Fragen ausgesessen und Kritiker abgekanzelt, um dann den öffentlichen Eigentümern die Pistole auf die Brust zu setzen.“
Der Chef der Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg (FBB), Engelbert Lütke Daldrup, will im September abtreten. Er habe den Aufsichtsrat um die vorzeitige Auflösung seines Vertrags gebeten, teilte die FBB am Mittwoch mit. Seine Aufgaben seien mit der Inbetriebnahme des neuen Hauptstadtflughafens BER sowie der Schließung des Altflughafens Tegel im vergangenen Herbst erfüllt, schreibt der 64-Jährige in einem Brief an den Aufsichtsrat.
„Am Ende reiflicher Überlegung bin ich zu der Entscheidung gekommen, mich von der Geschäftsführung in absehbarer Zeit zurückzuziehen“, heißt es in dem Schreiben. „Auch wenn eine solche Trennung immer schwerfällt und die Wahl des richtigen Zeitpunktes nicht einfach ist, bitte ich Sie meinen Schritt zu akzeptieren.“
Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) hatte den gelernten Stadtplaner im März 2017 als Geschäftsführer der Flughafen-Gesellschaft durchgesetzt. Der BER hätte da schon seit sechs Jahren eröffnet sein sollen.
Der Bau war von Planungsfehlern, technischen Problemen und Baumängeln geprägt. Sechsmal wurde die Eröffnung verschoben. Viele rechneten 2017 längst nicht mehr mit der Fertigstellung. Nachdem Lütke Daldrup das Ruder übernommen hatte, brauchte es mehr als drei weitere Jahre, bis alle Mängel abgearbeitet waren und am 31. Oktober 2020 tatsächlich die ersten Passagiere am neuen Hauptterminal empfangen wurden. Rund eine Woche später hob der vorerst letzte Flieger in Tegel ab. (dpa)
Attraktives Narrativ vom Täuschen
Das Narrativ vom Leugnen und Täuschen wird dabei zwischen Politik und manchen Medien sehr effizient hin- und hergespielt, wobei unter anderem eine ziemlich unsaubere Expertise dreier älterer Wirtschaftsprüfer immer wieder aufgewärmt wird. Dass Lütke und sein Team am BER einen gordischen Knoten nicht zerschlagen, sondern aufgedröselt haben, gerät da schon kurz nach dessen Eröffnung fast in Vergessenheit.
Aber die Erzählung von der vermeintlichen Lichtgestalt, die in Wirklichkeit doch wieder nur Mist gebaut hat, ist eben immer wieder attraktiv. In Redaktionen und an den realen oder virtuellen Stammtischen des Landes.
Da arbeitet man dann auch mit unsauberen Mitteln wie ein Hamburger Nachrichtenmagazin: Das kolportiert in einem aktuellen Premiumtext, der BER könne mit seinem Umsatz ohne Pandemie lediglich den laufenden Betrieb gegenfinanzieren – und suggeriert, in diesem Szenario habe der Flughafen „15 bis 20 Millionen Passagiere pro Jahr“. Tatsächlich waren es vor Corona über 35 Millionen.
In jedem Fall war die Eröffnung des BER für Lütke ein Projekt, ein nunmehr abgeschlossenes. Die schwierige finanzielle Sanierung, die sich noch Jahre hinziehen wird, ist ein neues, das er mit bald 65 ohnehin nicht mehr beenden würde. Dass er da die Reißleine zieht, ist auch ohne die Häme mehr als nachvollziehbar.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja