Azubimangel im Bau: Knochenjobs zu vergeben
Überall im Norden fehlt dem Baugewerbe der Nachwuchs. Das liegt an den schlechten Arbeitsbedingungen, sagt die IG Bau.
Laut der Gewerkschaft IG Bau liegt das – trotz vergleichsweise guter Bezahlung – an den miesen Arbeitsbedingungen im Gewerbe. Das sieht der Arbeitgeberverband allerdings gänzlich anders und vermutet lediglich ein schlechtes Image als Ursache.
Nach Angaben der IG Bau waren 70 Prozent aller Hamburger Ausbildungsplätze auf dem Bau, die am 1. August starteten, zu diesem Stichtag noch unbesetzt gewesen. Das entspricht einem Anstieg von fast 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Zwar gibt es laut der IG Bau in städtischen Ballungsgebieten wegen der großen Anzahl an alternativen Ausbildungsplätzen immer einen etwas höheren Wert an freien Stellen.
Aber auch im ländlichen Bereich sieht es kaum besser aus. So waren etwa im Landkreis Göttingen noch 54 Prozent aller Ausbildungsplätze nicht vergeben, im Emsland 68 Prozent. Ähnliche Werte lassen sich in nahezu allen Regionen finden.
Gewerkschaft fordert Wegezeitentschädigung
„Zwar ist das Ausbildungsgehalt vergleichsweise gut, allerdings sind die Arbeitsbedingungen zu wenig attraktiv für junge Leute“, sagt Andre Grundmann, Regionalleiter der Gewerkschaft im Norden. Tatsächlich ist das Ausbildungsgehalt in dieser Branche überdurchschnittlich. Im ersten Lehrjahr verdienen Azubis 850 Euro und im vierten Lehrjahr sogar 1.580 Euro pro Monat.
Dass das Interesse dennoch sinkt, erklärt Grundmann einerseits damit, dass die branchentypisch harte und körperlich anstrengende Arbeit bei Wind und Wetter immer mehr junge Leute abschrecke. Besonders problematisch seien zudem die langen Fahrtwege zu den Baustellen, die von den Arbeitgebern nicht bezahlt werden.
„Wer einen festen Arbeitsplatz hat, kann sich die Entfernung des Wohnsitzes dorthin aussuchen – im Bau geht das nicht“, sagt Grundmann. Und so komme durch das tägliche Pendeln zur Baustelle eine enorme unbezahlte Stundenzahl zusammen. Laut IG Bau kommen auf jede*n Arbeiter*in für die Fahrtzeiten von und zur Baustelle im Schnitt etwa 400 unbezahlte Stunden pro Jahr zusammen. Das will die Gewerkschaft ändern. „Wegezeit ist Arbeitszeit“, sagt Grundmann.
Aufseiten der Arbeitgeber gibt es dafür kein Verständnis. „Die Bauwirtschaft ist ein attraktiver Arbeitgeber, auch wenn die IG Bau derzeit versucht, die Branche schlechtzureden“, sagt der Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe, Felix Pakleppa. Die Gewerkschaft versuche die Branche in ein schlechtes Licht zu rücken und dadurch junge Leute abzuschrecken.
Das sieht auch der norddeutsche Regionalverband so – er hält die Gewerkschaft für Nestbeschmutzer. „Die Gewerkschaft redet die Branche schlecht“, sagt deren Geschäftsführer Michael Seitz. Außerdem gebe es mit dem sogenannten Bauzuschlag schon eine unternehmerische Beteiligung für den ständigen Wechsel der Baustelle.
Grundmann kann die Wutder Arbeitgeberseite nicht nachvollziehen. Die Unternehmer müssten ja nicht unbedingt mehr zahlen, sagt er. Sie könnten stattdessen auch die Arbeitszeit auf dem Bau reduzieren. Man könnte auch darüber reden, nur den Teil der Fahrtzeit, der über eine durchschnittliche Anfahrtszeit in anderen Berufen hinausgeht, als Arbeitszeit gerechnet zu berechnen.
André Grundmann, Regionalleiter Nord der IG Bau
Unterdessen ist fraglich, ob wirklich nur das schlechte Image ursächlich für den Mangel an Azubis ist. Unter den aktuellen Auszubildenden spiegelt die hohen Abbrecherquote eine große Unzufriedenheit wider. Laut dem aktuellem Ausbildungs- und Fachkräftereport der Sozialkassen des Baugewerbes bringt jeder dritte Auszubildende im Baugewerbe seine Ausbildung nicht zu Ende.
Nun könnte ein Arbeitskampf zwischen der Gewerkschaft und dem Baugewerbe bevorstehen. Die laufenden Tarifverhandlungen im Bauhauptgewerbe, zu dem etwa der Rohbau, Hoch- und Tiefbau oder der Straßen- und Landschaftsbau gehören, hat die IG Bau abgebrochen. Der zentrale Streitpunkt ist auch hier die Wegezeitentschädigung
Am kommenden Freitag soll deshalb auf dem Hamburger Heiligengeistfeld eine Kundgebung stattfinden, auch in Bremen wollen Bauarbeiter*innen protestieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“