Axel Milberg über sein Romandebüt: „Nicht nur ein Ort“
Der Schauspieler Axel Milberg hat einen Roman geschrieben. „Düsternbrook“ ist keine Autobiografie, handelt aber trotzdem von einem, der Axel Milberg heißt.
taz: Herr Milberg, für Ortsunkundige: Was ist eigentlich dieses Düsternbrook?
Axel Milberg: Am Westufer der Kieler Förde gibt es einen ansteigenden Hang, bewaldet. Das ist das Düsternbrooker Gehölz. Das ist im Norden begrenzt von einem Klinikgelände …
… einer Psychiatrie …
… und Tennisplatz im Süden. Im Westen Villen, alte, schlossähnliche Häuser, aber auch Mietshäuser. Kein Vorort, mittendrin. Fünf Minuten von meinem Elternhaus war ich am Wasser, der Ostsee, bei der Seebadeanstalt Bellevue, „Bellewüh“, wie der Kieler sagt, ist aber keine Hundeschule. Das also ist der Ort: idyllisch, eine begrenzte Welt, Frieden, Gärten, helle Straßen, Birkenalleen.
Und die Menschen?
Mittlerer Wohlstand … Angekommensein. Hier also erlebte ich eine behütete Kindheit. Aber wer so aufwächst und unruhig ist in sich, wer Fantasie hat, fragt sich früher oder später: Wovor soll ich eigentlich behütet werden? Warum behütet? Wo ist die Gefahr? Was ist da noch? Hinzu kommt: Wenn du dir die Menschen genauer anschaust – die Eltern, die Geschwister, Verwandtschaft, Nachbarn, Mitschüler, deren Eltern, den Unbekannten auf der Straße: Dann entdeckst du Spuren von Kampf und Behauptungen, aber ohne den Druck von Krieg und Flucht.
Die so weit noch nicht weg waren.
Gerade 20 Jahre her, Krieg und Flucht und Gefangenschaft; unendlich weit für uns Kinder entfernt – aber für die Erwachsenen noch ganz lebendig. Diese Menschen wollten eben Frieden und Ruhe und ein Idyll für ihre Kinder. Undankbar ist das Kind, was nun lauert nach der Gefahr – aber so ist es eben! Das Kind will den Widerspruch. Das Andere. Das also ist für mich Düsternbrook: Nicht nur ein geografischer Ort, auch ein magischer Bezirk. Mich hat diese Atmosphäre interessiert, scheinbarer Stillstand, schwer zu beschreiben. Mir fehlen selbst jetzt noch ein bisschen die Worte dafür: Was für ein Gefühl entsteht, wenn du durch hellgraue Buchenstämme schaust auf türkisfarbenes Wasser: nicht das Mittelmeer, die Ostsee in der Eckernförder Bucht bei Schwedeneck. Das wollte ich mich wiedergeben. Durch Sprache.
1956 in Kiel geboren. Besuchte von 1979 bis 1981 die Otto-Falckenberg-Schule für Schauspiel in München. Langes Engagement an den dortigen Kammerspielen. Gibt seit 2003 den Kieler „Tatort“-Kommissar Klaus Borowski. Verheiratet, lebt mit seiner Frau Judith und einem Sohn in München.
Schon das Wort bringt ja viel mit, „Düsternbrook“: Dunkles, Geheimnis, Märchenhaftes. Was wäre uns entgangen, was Ihnen vielleicht auch erspart geblieben, wären Sie in einem schnöden „Neustadt“ aufgewachsen?
Ich habe dem Verlag, ich glaube, 15 oder 20 Titelvorschläge geschickt. Und die haben einstimmig, das wurde immer wieder betont, alle, in allen Abteilungen gesagt: „Das Ding muss ‚Düsternbrook‘ heißen!“
Verraten Sie ein paar der anderen Vorschläge?
Ich habe gesagt: „Wie wäre es denn mit ‚Ausflüge in die nähere Umgebung‘? Ist doch auch schön.“ – „Auf gar keinen Fall! ‚Düsternbrook‘!“ – „Oder ‚Wer bringt mich nach draußen zu den anderen‘? Ist das nicht ein schöner Titel?“ – „Nein! ‚Düsternbrook‘!“ Das war ja auch einer meiner Vorschläge, das gebe ich zu, und dabei haben wir es dann gelassen. Düster, aber da ist auch etwas Helles: Es öffnet sich, finde ich, mit dem „-brook“.
Sie haben kürzlich gesagt, Sie verstünden eigentlich nicht, „wenn jemand nicht erzählen will“, „nicht Auskunft geben will“. Und haben selbst „40 Erwachsenenjahre in München“ – also auch noch 1.000 Kilometer Abstand – gebraucht bis zum Auskunftgeben.
Erzählt hab ich ja – aber nicht aufgeschrieben. Jetzt bei dem Buch spielt ja auch ein Lektor seine Rolle, der sagt: „Wir machen einen Vertrag“ und „dann und dann ist Abgabe“. Es hat also einen Zeitplan gegeben, der mir gerade recht war. Ich war ungeduldig und wollte loslegen. Und fing an mit dem Anfang, mit Erinnerungen, über die ich gestaunt habe. Mir war dabei immer klar: keine Autobiografie.
Warum eigentlich nicht?
Weil ich mich nicht selbst als das interessanteste Objekt der Welt sehe, über das ich schreiben möchte. Ich brauche einen Gegenstand. Wenn ich auf etwas schaue, schreibe ich indirekt ja doch über den, der da schaut, der betrachtet. So war die Grundierung eigentlich: 25, 30 kleine Erzählungen, die mir in sich gerundet erschienen. Und dann begann etwas loszumarschieren: „Es hätte doch auch anders weitergehen können. Mal sehen, was hätte passieren können?“ Und da begann der große Spaß des Schreibens. Des Erfindens. Des Umdeutens. Menschen kamen miteinander ins Gespräch, die sich in Wirklichkeit nie kennen gelernt haben. Mich hat das Abenteuer des Schreibens volle Breitseite erwischt. Ich habe schnell geschrieben, fiebrig, in jeder freien Sekunde.
Piper Verlag 2019, 288 S., 22 Euro; E-Book: 16,99 Euro.
Lesungen:
So 5. Mai 2019: St Pauli Theater, Hamburg
Mo 6. Mai 2019: Metro-Kino, Kiel
Mi 8. Mai 2019: Literaturhaus, Frankfurt/M
Do 9. Mai 2019: Kino International, Berlin
Wie leicht fiel das Loslassen?
Man musste mir das Manuskript am Ende entreißen, sozusagen, sonst hätte ich immer wieder umgeschrieben, verbessert; „verbessert“ in Anführungsstrichen, denn ich ahnte: Ich schreibe keine Verbesserung, sondern ich schreibe gegen mein eigenes Leseerlebnis mit meinem eigenen Material an: Ich will mich nicht langweilen, und was da steht, kenne ich schon, kann es aber auch nicht in Ruhe lassen. Ich muss es schütteln und ohrfeigen und küssen und damit tanzen. So viele Varianten sind denkbar. Da hab ich ein Kapitel und sage: „Zu kitschig. Das mach ich mal ganz trocken. Lasse jedes Attribut weg, jedes Gefühl. Schreib nur hin, was passiert ist.“ Ich traute mir aber nicht und las es meiner Frau vor.
Ein echtes Kapitel?
Das einzige, das sie nun kennt. Und sie entschied: Nein, das emotionale, nicht dieses ausgetrocknete. Obwohl das Buch ihr gewidmet ist, kannte sie vor der Veröffentlichung nichts.
Sie haben gesagt: Erinnerung, Wahrheit, Dichtung und Zuspitzung gingen darin „recht durcheinander“. Ist das je anders? Gibt es einen wirklichen Unterschied zwischen einer Erinnerung und einem Sich-etwas-Ausmalen? Psychoanalytisch gesehen, etwa, fällt da ja ziemlich viel in eins.
Absolut. Das ist meine Überzeugung, und das wissen wir ja auch längst, aus der Hirnforschung: Das Ich konstituiert sich aus einem angenommenen Kontinuum an Erfahrungen. Aber die sind viel singulärer. Den Zusammenhang stellen wir her. Insofern heißt sich erinnern: erfinden. Nehmen wir ein Foto aus dem Album, das schon ein paar Jahre alt ist: Sehen wir, was auf dem Bild ist? Oder nicht auch die Kommentare der Familie, die sich über das Foto beugt, jahre- und jahrzehntelang? Wir sehen also Dinge, die nicht da sind, wir erinnern uns und dabei erfinden wir – das war für mich das Tor, durch das ich hineinschlüpfte: „Mehr. Und noch mehr … No limits!“ Als Schauspieler hast du ja den Autor, den Regisseur an deiner Seite, arbeitest im Team, der Schnitt entscheidet, die Interpretation einer vorgegebenen Figur. Hier war ich zweieinhalb Jahre Herr über eine fremde und auch wiederentdeckte Welt.
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