Autos in den Innenstädten: Parkraum für Lieferdienste
Private Autos dürfen „für lau“ öffentlichen Raum zuparken. Höchste Zeit, dass die Autos von Vereinen und Gewerbetreibenden Vorrechte bekommen.
W er darf eigentlich wann, warum und wo im öffentlichen Raum parken? Eine Frage, die kaum gestellt wird, weil ja eigentlich alles klar scheint: natürlich die Anwohnenden! Doch der Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat erforschen lassen, wie oft Verkehrsmittel tatsächlich genutzt werden. Das private Auto der Anwohnenden ist beispielsweise im Kreuzberger Graefekiez nur noch an 8 Prozent der täglich zurückgelegten Wege beteiligt, Rad und Füße dominieren mit mehr als 80 Prozent. Das eigene Fahrzeug wird von sehr vielen mehr als eine Mobilitätsreserve betrachtet. Die gefahrenen Kilometer sinken, die Stehzeiten werden immer länger, und wenn gefahren wird, sitzen im Schnitt nur noch 1,1 Personen im Fahrzeug.
Der Bezirk beschloss daraufhin, Parkflächen umzuwidmen und mehr Lade- und Lieferzonen einzurichten. Sie sollten den Parkdruck für das liefernde Gewerbe mindern und für die wachsende Zahl der Kurier-, Eil- und Paketdienste Abstellflächen bereitstellen, damit diese nicht in der zweiten Reihe parken müssen. Doch diese werden wie überall gnadenlos zugeparkt – in der Regel von privaten Pkws. Es gibt nicht genug Parkplätze für alle, und das lässt neue Fragen entstehen: Warum sollte ein privates Auto mit exklusivem Zugang für eine Person mehr als 23 Stunden öffentlichen Raum blockieren, während die Lieferdienste und Gewerbetreibenden ein Viertel beliefern und versorgen und dazu Fahrspuren oder Ausfahrten blockieren müssen?
Seit dem Bremer „Laternenparker-Urteil“ des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 1966 ist höchstrichterlich klargestellt: Der öffentliche Raum darf für private Kfz als Abstellraum genutzt werden. Das Gericht stellte fest, dass es offenkundig der Wille des Staates ist, möglichst viele Autos auf der Straße zu haben – und die brauchen bekanntlich Platz. Die Kommunen können bei nachgewiesenem hohen Parkdruck Einschränkungen des Parkens anordnen und den Parkraum auch bepreisen – mittlerweile sogar bis zu einer Höhe der tatsächlich anfallenden Kosten, und das sind rund 3.500 Euro pro Jahr.
Davon sind Deutschlands Kommunen aber noch weit entfernt. Das Abstellen eines Fahrzeugs kostet pro Stunde in Frankfurt (Oder) oder Koblenz weniger als 1 Euro, in den teuersten Städten wie Düsseldorf oder Stuttgart immerhin schon 4,50 Euro. Besonders im Fokus der Kommunalpolitik bleiben die Anwohnenden. Hier sind die Kommunen großzügig. Um ein ganzes Jahr im eigenen Wohnquartier parken zu können, verlangt beispielsweise das Land Berlin gerade einmal 10,20 Euro, andere Städte allerdings schon 100 Euro.
Andreas Knie ist Leiter der Forschungsgruppe „Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung“ am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB).
Anke Borcherding ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Forschungsgruppe Digitale Mobilität des WZB.
Das Recht, die Gebühren festzusetzen und damit eine erhebliche Lenkungswirkung zu erreichen, steht allein – in Absprache mit den Ländern – den Kommunen zu. Bislang traut sich hier aber keine richtig heran, denn wer möchte gern Wahlen verlieren. Lieber verzichtet man auf eine Tempo-30-Zone oder einen Fahrradweg wie jüngst in Hannover. Dafür hätte man Stellflächen reduzieren müssen.
Aber langsam ändert sich etwas. Denn die Innenstädte veröden. Die Pandemie hat eine Tendenz beschleunigt, die bereits vorher existierte: Demografischer Wandel und Digitalisierung verstärken den Rückzug ins Private. Der öffentliche Raum verliert an Bedeutung, der Einzelhandel, aber auch die Gastronomie und Kultur leiden. Um Innenstadträume wieder zu revitalisieren, beginnt auch ein neues Denken über das Anwohnerparken. Denn alles, was gewerblich unterwegs ist, hat beim Parken auf öffentlichen Flächen keine wirkliche Chance: Nur das Be- und Entladen ist erlaubt, und das nur für 3 Minuten.
Flächen für Carsharing, immerhin
Zwar wird immer wieder das längere Verweilen geduldet, und es gibt auch den „Handwerkerausweis“, mit dem das längere Abstellen von Gewerbefahrzeugen geduldet wird. Und es ist gelungen, im Carsharing-Gesetz festzulegen, dass die Länder den Kommunen die Option gewähren können, Flächen für Carsharing im öffentlichen Raum einzurichten.
Was passiert mit Autos, die Vereine, gemeinnützige Initiativen, Wohlfahrtsverbände oder Gewerbetreibende im Viertel benötigen? Die für die Lebendigkeit der Stadt sorgen, die dazu beitragen, dass der Kiez lebenswert ist, dass Arbeitsplätze und Kulturangebote erhalten bleiben? Für diese gibt es, noch mal, keine legalen kostenlosen Möglichkeiten, auf öffentlichen Flächen Fahrzeuge abzustellen. Die Straßenverkehrsordnung kennt keine Privilegien innerhalb des motorisierten Verkehrs, außer natürlich für die Anwohnenden, die dürfen immer parken. Große Privilegien gibt es nur in Bezug auf die zu Fuß Gehenden und die Radfahrenden, die sich dem „fließenden Verkehr“ unterzuordnen haben.
Modell Quartiersparken
Während der Bezirk Friedrichhain-Kreuzberg mit zugeparkten Lade- und Lieferzonen kämpft, ist es das Verdienst Hamburgs, mit der Idee des „Quartiersparken“ einen neuen Denkansatz in die Debatte eingeführt zu haben. Die Idee dahinter ist, dass der öffentliche Raum für die Anlässe geöffnet wird, die für die Entwicklung eines Viertels notwendig und die bislang von privaten Fahrzeugen blockiert sind. In den geplanten Änderungen der Straßenverkehrsordnung war eine Experimentierklausel für solche Versuche noch formuliert worden.
Leider ist die bereits vom Bundestag verabschiedete Novelle im Bundesrat Ende November 2023 abgelehnt worden. Damit bleiben alle Veränderungen im öffentlichen Raum blockiert. Aber die Debatte wird sich nicht aufhalten lassen. Das Recht auf einen privaten Stellplatz im öffentlichen Raum ist schlicht aus der Zeit gefallen und nicht zukunftstauglich. Wenn kein Bäcker mehr da ist, es kein Theater, kein Kino, es kein gar nichts mehr gibt, nur überall Leerstände und dazu noch eine unerträgliche Hitze und mächtige Überschwemmungen kommen, aber das eigene Auto vor der Tür stehen darf: Sind das noch lebenswerte Städte?
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