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Autorin über Fitnessstudio-Roman „Gym“„Schmerz spielt beim Training eine Rolle“

Verena Keßler hat ihren Roman „Gym“ in einem Fitnessstudio angesiedelt. Ihre Protagonistin durchlebt dort die Abgründe der Selbstoptimierung.

Wer hier der*­die Beste sein will, hat viel zu tun: Hanteln in einem Fitnessstudio Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Kira Hofmann

Interview von

Wilfried Hippen

taz: Frau Keßler, die Idee zu Ihrem Buch „Gym“ kam Ihnen im Fitnessstudio. Wie nah ist Ihnen dieses Milieu?

Verena Keßler: Ich trainiere ab und zu im Fitnessstudio, aber die Leute in meinem Roman sind nicht inspiriert von Menschen, die ich dort gesehen habe. Die habe ich erfunden.

taz: Geht es um Selbstoptimierung?

Keßler: Nicht unbedingt. Das Thema kommt vor, denn natürlich trainieren viele Menschen, um fitter und schöner zu werden. Aber meine Hauptfigur will sich nicht einfach nur optimieren, sondern sie hat den Wunsch sich von Anderen abzuheben. Sie taucht im Fitnessstudio zu einem Zeitpunkt auf, als sie gerade ihren Job verloren hat, und bewirbt sich dort als Tresenkraft. Nach und nach stellt sich heraus, dass sie ein Problem mit Ehrgeiz und dem Wunsch nach Anerkennung hat.

Bild: Jacintha Nolte
Im Interview: Verena Keßler

geb. 1988, Autorin und Werbetexterin. Nach „Die Gespenster von Demmin“ und „Eva“ ist „Gym“ ihr dritter Roman.

taz: Und wie zeigt sich das?

Keßler: Sie kommt aus einer ganz anderen Welt. Sie hatte einen Job, in dem sie sehr erfolgreich war, aber sie kann nicht mehr in ihre Branche zurückgehen. Ich wollte sie jetzt irgendwo anders auftauchen lassen, wo sie erst einmal denkt, dass sie dort ganz entspannt arbeiten kann, weil es keine Ansprüche an sie gibt. Aber weil sie nun mal ist, wie sie ist, versucht sie auch da wieder die Beste zu sein. Das könnt auch irgendwo anders spielen, aber im Fitnessstudio gibt es besonders gute Möglichkeiten das auszuleben.

taz: Warum liegen für Sie im Fitnessstudio Lifestyle und Bodyhorror so nah beieinander?

Keßler: Die meisten Leute trainieren da ja ganz gesund und normal. Und trotzdem spielt Schmerz beim Training eine Rolle. Und der Körper verändert sich. Das kann man dann ins Extreme drehen und das passt zu meiner Figur.

taz: Sie treffen mit Ihrem Buch ja den Zeitgeist. In den Filmen „The Substance“ und „Love Lies Bleeding“ werden zum Beispiel ähnliche Geschichten darüber erzählt, wie Frauen ihre Körper grotesk verwandeln.

Keßler: Ich habe diese beiden Filme in der Zeit gesehen, in der ich den Roman geschrieben habe und sie haben mich beeinflusst. Ich habe mir gedacht, dass das zu meiner Geschichte passt und dass es so etwas in der Literatur noch nicht so häufig gibt. Und dann hat es mir Spaß gemacht, das einfach mal auszuprobieren.

taz: Haben Sie da Ihre Fantasie ähnlich wild ins Kraut schießen lassen wie den Körper ihrer Protagonistin?

Keßler: Genau, da habe ich mir dann auch keine Grenze gesetzt, weil es bei dieser Figur alles bis ins Extremste eskalieren musste.

Die Lesungen

Verena Keßler und Kat Eryn Rubik stellen ihre Romane „Gym“ und „Furye“ vor, 7. 10., 19.30 Uhr im Literaturhaus Hamburg, Schwanenwik 38, Hamburg. Karten ab 12 Euro, Livestream 6 Euro;

Weitere Lesungen von „Gym“ in Bremen: 23.10. Albatros Buchhandlung und 9.11. Finndorfer Bücherfenster

taz: Dann haben Sie also mit dem Gestaltungsprinzip gearbeitet, dass man das Schlimmste erzählt, was einer Figur passieren kann?

Keßler: Ich habe mir noch viel mehr Szenen ausgedacht, in denen es noch gewalttätiger und ekliger zugeht. Doch die habe ich dann zusammen mit meiner Lektorin wieder aussortiert. Da hab ich dann die Dosis noch ein wenig angepasst, weil ich ja keinen Horrorroman schreiben wollte.

taz: Mögen Sie Ihre Protagonistin?

Keßler: Wenn ich schreibe, denke ich gar nicht in dieser Kategorie. Wichtig für mich ist, dass ich die Figur interessant finde und ihr Handeln nachvollziehen kann. Ich höre jetzt öfter, dass sie sehr unsympathisch ist. Aber das finde ich gar nicht schlimm, weil ich selber gerne Bücher mit unsympathischen Protagonistinnen lese. Auch weil sie meistens spannender sind.

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