Autor über israelisches Zusammenleben: „Mehr über Grenzen hinweg denken“
Der Journalist Igal Avidan wirft einen differenzierten Blick auf das Alltagsleben in Israel – gerade auch das der arabischen Bewohner*innen.
taz: Igal Avidan, warum braucht es gerade jetzt Geschichten vom Zusammenleben jüdischer und arabischer Israelis?
Igal Avidan: Als ich 2022 durch Israel gereist bin und Gespräche für das Buch geführt habe, waren die gewaltsamen Ausschreitungen vom Mai 2021 in den Medien noch sehr präsent. Diese Gewaltwelle war beispiellos, Menschen gingen in zahlreichen Städten einfach aufeinander los. Wie soll man verhindern, dass Menschen das Auto ihres Nachbarn in Brand setzen, nur weil er Jude oder nur weil er Araber ist? Mir war klar, dass keine Mauer und kein Zaun so etwas verhindern kann, das wird nicht funktionieren.
Und heute?
Aktuell geht in Israel eine Mehrheit auf die Straße gegen die Zerstörung der Demokratie. Aber eine Demokratie muss sich daran messen lassen, wie in der Gesellschaft mit Minderheiten umgegangen wird. Ungefähr 20 Prozent der Israelis sind arabisch. Die meisten von ihnen gehen nicht zu den Demonstrationen. Sie fühlen sich und ihre Probleme nicht wahrgenommen.
Sie haben mit mehr als 50 Menschen in Israel gesprochen. Wie haben Sie Ihre Gesprächspartner*innen gefunden?
*1962, arbeitet von Berlin aus als Journalist für israelische und deutsche Medien.
Zuletzt erschienen: „… und es wurde Licht! – Jüdisch-arabisches Zusammenleben in Israel“, Berenberg, Berlin 2023, 256 S., 18 Euro, E-Book 13,99 Euro
Einige Menschen habe ich gezielt angefragt, aber die meisten Kontakte haben sich einfach so ergeben. Israelis sind sehr spontan. Sie neigen dazu, Telefonnummern von anderen einfach weiterzugeben mit dem Hinweis: „Das hast du aber nicht von mir!“ Das wäre in Deutschland wahrscheinlich undenkbar. Trotzdem ist es sehr wichtig, neuen Kontakten zu sagen, von wem du kommst. Das ist ein Türöffner, denn nur so kann Vertrauen hergestellt werden und man kommt ins Gespräch.
Haben Sie Antworten bekommen, die Sie überrascht haben?
Lassen Sie mich überlegen – oh, ja. Das Gespräch in Jerusalem mit Mahmoud, einem ehemaligen Mitglied einer Terrororganisation, der in einem israelischen Gefängnis gesessen hat, wo er gefoltert wurde. Ich habe ihn gefragt, was ein zukünftiger palästinensischer Staat von Israel lernen könnte. Er antwortete: die Demokratie. So viel Ehrlichkeit in diesem Konflikt, das hat mich umgehauen. Wir brauchen mehr Menschen, die einfach die Wahrheit sagen, die nicht nur sagen, was politisch oder taktisch klug ist, sondern sich trauen, über Grenzen hinweg zu denken.
Wollten Sie mit Ihrem Buch auch dem Diskurs in Deutschland über Israel und den Nahostkonflikt etwas hinzufügen?
Ja, durchaus. Ich stelle zum Beispiel immer wieder fest, dass Journalist*innen in Deutschland nicht einmal wissen, dass es arabische Israelis gibt. Sie sind fixiert auf den Konflikt im Westjordanland und dem Gazastreifen und haben keinen Blick für die Mehrschichtigkeit der Identitäten in Israel. Außerdem geben viele Medien, auch die israelischen, vor allem den Extremisten Platz.
Wer bleibt da auf der Strecke?
Die ganz normalen Menschen, jüdische und arabische Israelis, die im Alltag zusammenleben und viele gute Sachen zu erzählen haben, werden dagegen kaum gehört. Das wollte ich mit meinem Buch ändern. Geschichte über das Grauen und die Gewalt kennen die meisten schon. Zu meinen Lesungen kommen Menschen für den Hoffnungsschimmer.
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