Autor über Depressionen: Wie Neptun um die Sonne
Benjamin Maack erzählt von Depressionen: „Wenn das noch geht, kann es nicht so schlimm sein“. Eine ganz persönliche Sicht.
Es ist äußerst schwer, über Depressionen zu schreiben. Wie das in Worte fassen, was entweder im Wortlosen verharren will oder zu einer Tirade werden kann, die sich über das eigene Symptomsein nicht bewusst ist? Oder die sich dessen sehr wohl bewusst ist und genau deswegen nicht zu Wort kommen kann?
Benjamin Maack, fast 42, Spiegel-Redakteur und ewiges Talent in Sachen Schriftstellerei, versucht es trotzdem. „Wenn das noch geht, kann es nicht so schlimm sein“ heißt das Buch, das jetzt in der Reihe Suhrkamp Nova erschienen ist.
Maack hat sich für einen quasichronologischen Zugang entschieden, der ein wenig – wie auch seine Schreibe, dazu vielleicht später – an Wolfgang Herrndorfs Umgang mit Krankheit und Wahn in dessen Blog/Tagebuch „Arbeit und Struktur“ erinnert. Kurze, mit ausbuchstabierten Zahlen versehene Kapitel, die jeweils Schlaglichter auf Situationen und Vorgeschichte werfen. So weit, so gut.
Maack schreibt also als Ich, und er schreibt über sein privates Leben, das von außen betrachtet das weiße, männliche, privilegierte Glück sein müsste: Anerkennung, beneidenswerter Job, Frau, Kinder, Freunde, alles da. Über Job und Anerkennung legen sich dann aber düstere Zweifel, die Beziehungen außerhalb der Kernfamilie brechen, nein, schmelzen irgendwie weg. Stattdessen seitenlang das Wort „Fuck“. Ein Memoir soll das sein, eine Autofiktion, ein „Biographical“.
Benjamin Maack: „Wenn das noch geht, kann es nicht so schlimm sein“, Suhrkamp Nova, Berlin 2020, 333 S., 18 Euro
Das liest sich, wie bereits angedeutet, eigentlich ganz gut. Maack hat eine flotte Schreibe, die hier und da auf flotte Effekte setzt, in dem sie zum Beispiel das Verb „rollkoffern“ erfindet. Popschreibe, hätte man früher gesagt und kann man heute noch sagen. Das Gute ist, dass sich durchaus ein Sog entwickelt, dafür sorgen auch schöne Einschübe wie der über den schlimmen Film „Ziemlich beste Freunde“ oder über Britney Spears.
Keine Selbstanalyse
Das Problem ist nur: Dahinter scheint nicht viel auf. Keine ausführliche Fallgeschichte, kein Versuch in Selbstanalyse wie bei Knausgård, keine Anklage an die Gesellschaft oder den Neoliberalismus oder den Katholizismus oder das Gesundheitssystem oder die deutsche Vergangenheit oder Gegenwart.
Keine Anklage an die Familie. Obwohl, genau da könnte doch das Problem liegen. Mit Ehefrau und Kind scheint irgendwas nicht so richtig zu stimmen. Oder ist es am Ende doch ein rein, äh, biochemisches Problem? Wer glaubt denn so was?
Es gibt Erzählungen über Depressionen, an die Maacks Buch bei weitem nicht heranreicht. David Foster Wallace hat in „Der Planet Trillaphon im Verhältnis zur Üblen Sache“ ein ganzes Universum des Horrors von innen beschrieben. Thomas Melle hat in „Die Welt im Rücken“ die Scham sprechen lassen, um sich vor der Welt und sich selbst für seine bipolare Störung zu entschuldigen. Und Sylvia Plath hat aus ihren Depressionen Weltliteratur erschaffen, ohne dass es um sekundäre Krankheitsgewinne oder Selbstausbeutung und Punkte auf dem Buchmarkt ging. Man lese nur „Die Glasglocke“.
Maacks Buch passt in einen Strom von Selbsterkennungsbücher, die nicht nur für den Autor hilfreich sind, sondern auch von innen erzählen können. Was dem Buch fehlt, ist aber eine Verbindung in ein Außen: eine nachvollziehbare Forschung nach Ursachen, eine Verankerung im Gesellschaftlichen. Das alles will Maack, das wird im Buch explizit betont, ja gar nicht.
Aber so bleibt als Fazit: Ja, Depressionen haben die ungute Eigenschaft, in unendlicher Langsamkeit wie Neptun um die Sonne und um sich selbst zu kreisen. In Buchform sollten sie aber über sich hinaus gehen.
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