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Autor Marius GoldhornEinschlafen als Protest

Mit „Park“ gab er sein Romandebüt. Ein Gespräch mit Marius Goldhorn über das Internet, politische Resignation und seine Hubert-Fichte-Psychose.

Marius Goldhorn mag rechte Winkel und Literatur Foto: Tanits Olbrich

Vergangenes Jahr hat Marius Goldhorn sein Debüt mit einem Roman gegeben, der ungewollt schon im Titel den neuen Corona-Alltag ankündigte: „Park“ erzählt vom lethargischen Arnold, der wenig tut, außer nachzudenken, im Internet abzuhängen und schließlich eine ehemalige Geliebte in Athen zu besuchen.

Nach dem Suhrkamp-Erfolg versucht sich Goldhorn mit Roman zwei nun in einer Mischung aus magical thinking und Selbsttransformation; sein Held wird zum Krieger und Goldhorn gleich mit, so hofft er. Wir treffen den Schriftsteller im Berliner Hansaviertel.

Hier wohnt Marius Goldhorn. „Ich mag die rechten ­Winkel überall“, sagt er lächelnd. In Kreuzberg habe er es irgendwann nicht mehr ausgehalten. „Hier kann ich richtig hermit-like wohnen.“

Der einsiedlergleiche Goldhorn ist noch nicht ganz dreißig, zurückhaltend, beim Sprechen schließt er manchmal die Augen, wobei die Lider flattern. Immer wieder lässt er englische Wörter ­einfließen. Genauso wie bei ­seinem Romanhelden Arnold ist das einfach Bestandteil seines Idiolekts, Resultat vieler im eben größtenteils englischsprachigen Internet verbrachter Stunden.

Die Bücher

2020 hat Marius Goldhorn bei Suhrkamp seinen Debütroman „Park“ vorgelegt. Im selben Jahr veröffentlichte er seinen Gedichtband „YIN“ im ­Korbinian Verlag.

Diese Sprache, das Zusammenleben von online und offline, wurde in den Kritiken zu „Park“ wohl am häufigsten thematisiert. Arnold „ist ein wahrer Smombie (eine Kontamination aus Smartphone und Zombie) und damit der Prototyp einer sich in digitaler Dekadenz wähnenden Gegenwartsgesellschaft“, befand etwa der Spiegel. Und klar, wenn es in „Park“ heißt: „Arnold blickte ungefähr eine Minute auf den Chat und wartete auf die Sprechblase mit den drei Punkten. Odile tippte nicht“, dann offenbart das die literarisch selten beschriebene Symbiose zwischen dem Menschen und seiner Sklavenmaschine.

Aber drückt sich darin wirklich eine andersartige Sehnsucht aus als etwa beim Warten auf die Postkutsche? Goldhorn hat sich über die Rezeption seines Romans gewundert. Die Geschichte sei die gleiche, ob mit oder ohne Internet, meint er. „Nur weil es neue mediale Räume gibt, fühlt man ja nicht anders.“

Dieses alte Antifa-Linkssein

Goldhorn denkt überhaupt sehr viel über Räume nach. „Ein Grundgedanke im Roman war, herauszufinden, inwiefern politischer Protest in diesen simulierten Räumen online überhaupt möglich ist“, sagt er. Dieses „alte Antifa-Linkssein“ passe da nicht so recht hinein. Indirekt drückt Goldhorn in „Park“ das ganze Dilemma seiner Generation aus, die sich oft schwertut, eine politische Heimat zu finden: zu alt für idealistische Fridays-for-Future-De­mons­tra­tionen und zu spät geboren für jedwedes Nachwirken des protestreichen 20. Jahrhunderts. Trotz aller Apathie ist „Park“ daher durchaus als politischer Roman zu verstehen. Auch der Titel deutet nicht nur auf phlegmatisches Sonnen hin, sondern spielt auf die Rolle an, die diese harmlosen Parks in Protesten einnehmen: der Gezipark etwa oder der Park in Athen, zu dem Arnold unterwegs ist, bevor er von den Straßenunruhen eingeholt wird.

Fast schon zwanghaft liest Arnold zudem vor dem Einschlafen Artikel über Kriege und Konflikte. Die Fokussierung aufs eigene Leben ist daher auch Ausdruck politischer Hilflosigkeit angesichts einer Immer-gleich-Welt. „Einschlafen als Protest finde ich eine sehr spannende Idee“, sagt Goldhorn.

Der Schriftsteller ist 1991 in Koblenz geboren. Über seine Jugend gebe es nicht so viel zu erzählen, meint er, „außer, dass es mich stark geprägt hat, von unserer Wohnung immer auf den Parkplatz mit den Reisebussen der Rheintouristen zu schauen“. Man könnte Goldhorn, wenn man wollte, als symptomatisch für seine Generation verbuchen: ein melancholischer Langzeitstudent, ein Digital Native. „Dabei ist das Internet nicht gut oder schlecht, aber es ist ein großer Teil des Problems“, meint er und bezieht sich dabei vor allem auf die Selbstdarstellung in sozialen Netzwerken. „Was ich mir wünsche, ist, von Leuten umgeben zu sein, die Gutes tun, ohne davon zu berichten.“

Goldhorn wie Arnold kann man sich online gut als Taucher vorstellen, der von einem Meer aus Texten, Bildern und Videos verschluckt wird und schließlich mit kruden Fundstücken zurück an die Oberfläche kommt. Dass diese Fundstücke sich anschließend im Kopf mit Eindrücken aus der Welt der Hochkultur vermischen, daraus könne Produktives entstehen, weiß Goldhorn. Auch Arnold denkt quasi gleichzeitig über Plastiksouvenirs und Fernando Pessoa nach, während er „Green“ von Hiroshi Yoshimura hört. ­Cultural overload.

„Ich arbeite beim Schreiben viel mit Fremdtext“, sagt Goldhorn. Auch im Gespräch existiert Literatur bei ihm selbstverständlich immer nebenher mit. Goldhorn begeistert sich für die radikal altruistische ­Simone Weil, zitiert Au­to­r:in­nen, als seien es Bekannte. „Und ich lese schon sehr, sehr gerne Theo­rie“, sagt Goldhorn, der letzthin in seinem Gedichtband „YIN“ die Überschneidungen zwischen Daoismus und Anarchismus verhandelt hat. Er habe lange eine Art Hubert-Fichte-Psychose gehabt, meint er. „Ich hatte den Eindruck, alle meine Gedanken hat Fichte auch schon gedacht. Die größte Aufgabe, die ich habe, ist, mit meinem Schreiben von Fichte loszukommen.“

Kontaktaufnahme mit sich selbst

„Park“ war eigentlich als Übung gedacht, meint Goldhorn, der zweite Roman würde dann vielleicht publiziert, so hatte er gehofft. Dass das Buch sich so gut verkaufe, dass er davon leben könne, liege zudem vor allem daran, „dass es als Taschenbuch herausgebracht wurde und man keine 22 Euro zahlen muss“, meint er. In „Park“ habe er ja letztlich nur sein Leben aufgezeichnet, das „eher langweilige Leben eines Autors“. „Ich habe aber auch gar kein Interesse daran, mir irgendeinen Plot auszudenken“, räumt er ein. „Mir Gedanken über die Beziehungen zwischen Menschen zu machen und das dann konzeptuell abzubilden, damit fühle ich mich extrem wohl.“

Es reicht nicht aus, nur Symptom oder Opfer seiner Epoche zu sein

Marius Goldhorn

Das Schreiben versteht er als Kontaktaufnahme mit sich selbst. „Leben und Schreiben verläuft sich ineinander“, erklärt er gestikulierend. „Wenn ich etwas erlebe, bricht sich das im Ich und im Schreiben, bricht sich das dann noch mal im Er.“

Ob das Konzept auch andersherum funktioniert, dass das Schreiben also auch ins Leben hineinsickern kann, das probiert Goldhorn gerade aus. „Ich glaube schon an magical ­thinking, und ich kann nicht immer traurig zu Hause sein“, sagt er. „Es reicht nicht aus, nur Symptom oder Opfer seiner Epoche zu sein.“

Sein nächster Arnold soll daher dessen Kontrapunkt sein, nicht mehr lethargisch, ein Krieger. Dazu müsse auch die dunkle Seite in ihm verarbeitet werden, jene Gedanken, die, auf Papier gebracht, immer gleich extrem aussehen, die aber trotzdem jeder in Momenten der Wut oder Trauer kenne, die so dramatisch dann gar nicht seien.

Trotz allem politischen Pessimismus glaubt Goldhorn nämlich irgendwie an die Menschen. „Es gibt Werte, die sind nicht ideologisch, nicht rechts oder links, sondern die sind einfach da“, sagt er. Ihn faszinieren Anar­chis­mus­theo­rien, da das inhärente Menschenbild immer auf eine Art Idealmensch basiere. „Man geht einfach davon aus, dass der Mensch – wenn der Druck, die Unterdrückung von außen, wegfällt – kooperationswillig ist. Und daran halte ich mich.“

Schriftsteller zu sein sei daher vielleicht gar nicht mal so unnütz: Literatur könne helfen, das Leben besser zu ertragen, Gleichgesinnte aus längst vergangenen Zeitaltern zu finden. „Literatur als Empathiebooster, so sehe ich das“, sagt Marius Goldhorn.

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