Auswirkungen des Brexit auf die Fischerei: Kampf um den Kabeljau
Nach dem Brexit droht auf der Nordsee ein Konflikt um Fangrechte. Denn die europäische Fischereipolitik ist einer der heikelsten Punkte.
Es sind Szenen wie aus dem Kabeljaukrieg zwischen Großbritannien und Island Mitte der 1970er-Jahre. Nachdem Island einseitig eine Schutzzone von 200 Seemeilen um die Nordmeerinsel ausgerufen hatte, fuhren britische Fischer damals unter dem Schutz von Kriegsschiffen in dieses Gebiet. Es gab einen Toten, mehrere Kollisionen und absichtliche Rammungen von Schiffen. Erst nach langwierigen Vermittlungen durch die Vereinten Nationen wurde der Konflikt beigelegt, ohne dass die beiden Nato-Partner aufeinander geschossen hätten.
Ganz so schlimm wird es zwischen Frankreich und Großbritannien wohl nicht werden. Über den Winter haben sich die Gemüter wieder beruhigt. Aber der Konflikt war eine erste Kostprobe davon, wie es nach dem Brexit auf der Nordsee zugehen könnte: denn die europäische Fischereipolitik ist einer der heikelsten und noch völlig ungeklärten Punkte.
In Regierung und Parlament in London habe offenbar jeder eine eigene Idee, mutmaßt Peter Breckling, Generalsekretär des Deutschen Fischereiverbandes mit Sitz in Hamburg, der jüngst mit einer Delegation aus Politik und Wirtschaft in der britischen Hauptstadt Gespräche führte. „Die sind da ganz entspannt, aber dass sie einen Plan haben, bezweifle ich“, sagt Breckling. Bei all dem „Kasperletheater im Unterhaus“ sei es ihm noch nicht gelungen, „eine stringente Linie in der britischen Fischereipolitik zu entdecken“.
London will allein im eigenen Hoheitsgebiet fischen
Denn in den Brexit-Verhandlungen zwischen der EU und Großbritannien ist für die Fischerei noch keine Lösung gefunden worden. Ungeregelt ist vor allem der Zugang zu den fischreichen britischen Gewässern. Bislang war das innerhalb der EU kein Problem, solange die vereinbarten Fangquoten eingehalten wurden. Nun aber wird es eines.
Die EU hätte die geltende Regelung am liebsten beibehalten, London aber besteht auf dem Prinzip der „zonalen Zuordnung“, also dem alleinigen Fischfang im eigenen Hoheitsgebiet. Allerdings brauchen die britischen Fischer den europäischen Markt und sind darauf angewiesen, dass sie ohne komplizierte Zollverfahren mit der EU handeln können: Voriges Jahr hat Großbritannien 460.000 Tonnen Fisch exportiert, vor allem Hering, Makrele und Lachs. Die drei wichtigsten Empfängerländer waren Frankreich, die Niederlande und Spanien. Mithin: Am liebsten würden die Briten den Europäern den Fisch verkaufen, den selbst zu fangen sie ihnen künftig verwehren wollen.
Auf eine Lösung drängte der Deutsche Fischereiverband bereits auf dem Fischereitag 2018 in Lübeck. „Derzeit stammen nahezu 100 Prozent unserer Nordseeheringsfänge aus britischen Gewässern“, sagte damals der Vorsitzende des Deutschen Hochseefischerei-Verbandes, Uwe Richter. „Gemeinsam mit den anderen betroffenen EU-Staaten fordern wir von Brüssel, den Zugang Großbritanniens zum europäischen Markt an die Bedingung zu knüpfen, dass europäische Fischereifahrzeuge weiterhin in der britischen 200-Seemeilen-Zone fischen dürfen“, sagte er. Danach aber sieht es derzeit nicht aus.
Peter Breckling, Generalsekretär des Deutschen Fischereiverbands
Der Entwurf des Austrittsabkommens besagt lediglich, dass beide Seiten sich bis Juli 2020 in einem Freihandelsabkommen einigen sollen, das nach der Übergangsphase die Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien regeln soll. Sollte aber keine Einigung möglich sein, würde Großbritannien zum Teil eines gemeinsamen Zollgebiets mit der EU, das die Fischerei aber nicht berücksichtigt.
Von „deutlichen Auswirkungen auf die europäische Fischerei“ geht das Thünen-Institut für Seefischerei in Braunschweig, eine Forschungseinrichtung des Bundeslandwirtschaftsministeriums, aus. Das ist das Ergebnis der Studie „Auswirkungen des Brexit auf die deutsche Hochseefischerei“ für das EU-Parlament aus dem Vorjahr. Demnach erzielen die deutschen Schwarmfisch-Trawler bis zu 80 Prozent ihres Fangs und somit ihres Umsatzes in britischen Gewässern. Sollte ihnen nach dem Brexit der Zugang verwehrt werden, würde ein Großteil der Erlöse wegfallen.
Zudem würden die EU-Fangquoten obsolet – sie könnten in anderen Fanggebieten gar nicht ausgeschöpft werden. Dies habe, so heißt es in der Studie, „eine Analyse der Verbreitungsmuster der Fischbestände und der in der Vergangenheit erzielten Fänge gezeigt“.
Kabeljau, Makrele, Hering und Scholle dürften profitieren
Im Handel mit Fischwaren indes exportiert Großbritannien schon jetzt mehr in die EU als es von dort importiert. Somit hätte das Vereinigte Königreich beim Marktzugang für Fischerzeugnisse deutlich mehr zu verlieren als die EU.
Das Krisenszenario sieht also so aus: Deutsche, Dänen, Niederländer, Franzosen und Iren dürfen in britischen Gewässern nicht mehr fischen, weigern sich aus Rache aber, britischen Fisch zu importieren. Eine Folge: Die Bestände von Kabeljau, Makrele, Hering und Scholle gesunden zumindest oder steigen sogar kräftig an.
Die zweite Folge könnte sein, dass auf dem Kontinent die Verbraucherpreise explodieren, der Umsatz in der Fischindustrie wegbricht und massiv Arbeitsplätze entfallen. Peter Breckling vom Deutschen Fischereiverband sieht das mit Unbehagen: „Es kann gut sein, dass wir die Dummen sind.“
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