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Ausweg aus Krise und BandengewaltHaiti bekommt eine Regierung

Haitis Akteure einigen sich auf die Bildung eines siebenköpfigen Präsidialrats, der das Land aus der Krise führen soll. Ob das gelingt, bleibt offen.

Straßenszene in Haitis Hauptstadt Port-au-Prince am 13. März Foto: Odelyn Joseph/ap

Frankfurt/Main taz | Seit in Haiti die staatliche Sicherheitsstruktur zusammengebrochen ist und der amtierende Ministerpräsident Ariel Henry vergangene Woche seinen Rücktritt angekündigt hat, suchen die karibischen Staaten, vereinigt in Caricom, die USA und die UNO nach einem Ausweg aus der Krise. In einer Ad-Hoc-Sitzung am Montag haben sie in Hochgeschwindigkeit versucht, einen Lösungsvorschlag zu finden, um das entstandene Machtvakuum in Haiti so schnell wie möglich zu füllen.

Offensichtlich mit haitianischen zivilgesellschaftlichen und politischen Akteuren in Zoom-Konferenzen vorher ausgehandelt, legten sie einen Plan zur Bildung eines präsidialen Übergangsrats aus sieben Vertretern der für wichtig befundenen haitianischen Gruppierungen vor. Dieser Rat soll dann eine neue Übergangsregierung aushandeln, die den Weg zu Wahlen freimacht.

In der am Dienstag veröffentlichten Erklärung von Caricom ist immer wieder von einer „haitianischen Lösung“ die Rede. Trotzdem werden zwei Bedingungen klar formuliert: Jeder Entsandte müsse der kenianischen Polizeimission zustimmen, die die Ganggewalt bekämpfen soll und für die US-Außenminister Blinken 200 Millionen Dollar als Finanzierung zusagte. Außerdem dürfe kein Vertreter in Bandenkriminalität und andere Verbrechen verwickelt sein.

Dem Übergangsrat soll die Partei der seit dem Erdbeben regierenden Präsidenten (Martelly, Moïse, Henry) PHTK genauso angehören wie das gegnerische Bündnis des Montana-Accord, das bislang eine Zusammenarbeit mit der Regierungspartei aufgrund der Korruption und der Verwicklung in Bandenkriminalität abgelehnt hat. Montana-Accord hatte bereits 2021 einen Gegenvorschlag zur Ernennung Henrys vorgelegt, der ein Übergangsmodell vorsah, wie es jetzt Caricom vorschlägt.

Forderung nach stärkerer Militärintervention

Außerdem mit von der Partie ist Fanmi Lavalas, die Partei des 2004 gestürzten Präsidenten Aristide. Die politischen Interventionen der US-Politik haben diese Partei seit 2010 mit allen Mitteln von der Regierungsmacht ferngehalten. Mit dabei soll auch die Partei von Jean-Charles Moïse sein, der sich bislang in einem lockeren Bündnis mit Guy Philipp befand, der wegen Drogen und Geldwäscherei sechs Jahre in den USA inhaftiert war und auch eine bewaffnete Gruppierung unterhält. Offenkundig soll er die Figur sein, die die Gangs einhegt.

Bis Redaktionsschluss waren sechs der geplanten sieben Vertreter im Rat benannt, die Namen sind bekannt. Die Caricom hatte den haitianischen Akteuren eine 24-Stunden-Frist zu Ernennung gestellt. Ob dieser Übergangsrat tatsächlich einen Weg aus der Krise finden kann, ist offen. ­Pierre Espérance, Direktor des haitianischen Menschenrechtsnetzwerks, begrüßte den Vorschlag als „ einen Schritt in die richtige Richtung“. Er betonte allerdings, dass an der Bedingung, kein Vertreter dürfe in kriminelle Machenschaften verwickelt sein, kategorisch festzuhalten sei.

Gangleader Jimmy Chérizier kommentierte hingegen, wenn die internationale Gemeinschaft diesen Weg fortsetze, traditionelle Politiker zu Verhandlungen über eine zukünftige Regierung in ein Hotel zu setzen, werde sie Haiti weiter ins Chaos treiben. Er kündigte an, weiter für die „Befreiung Haitis“ zu kämpfen. Dan Foote, ehemaliger Sonderbotschafter der USA für Haiti, kritisierte Caricom ebenfalls. Er forderte stattdessen einen „nationalen Dialog“.

Zeitgleich werden in den USA Stimmen lauter, die eine viel stärkere Militärintervention in Haiti fordern. Lee Hockstader, ein renommierter außenpolitischer Kolumnist der Washington Post, forderte ein internationales militärisches Eingreifen „mit Muskeln“, das weit über die schlecht ausgerüstete Kenia-Mission hinausgehen müsse. Der Präsidialrat sei eine nette Idee, rieche aber nach „Verzweiflung“. Niemand könne die Frage beantworten, wie ein solcher notdürftig zusammengeschusterter Rat die Autorität haben soll, 300 Gangs, die die Hauptstadt beherrschen, in den Griff zu bekommen.

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7 Kommentare

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  • "Jeder Entsandte müsse der kenianischen Polizeimission zustimmen..."

    Hat das Verfassungsgericht in Kenia die Mission nicht verboten? Oder bin ich da falsch informiert?

    Wenn ja, wäre alles auf Sand gebaut. Überhaupt ist fraglich, ob ein von außen diktierter Rat etwas erreichen kann.

  • Man kann der Kommission nur Glück wünschen, denn das werden sie brauchen.

    Wenn Chérizier schon ankündigt, dagegen einen "Freiheitskampf" zu führen, wird das mehr als schwierig, um nicht zu sagen aussichtslos.

    Im Spiegel ist derzeit ein Interview zu lesen, in welchem Katja Maurer angibt, ohne Sicherheit würde nichts gehen, und ein Krieg gegen die Banden Chériziers wäre nicht zu gewinnen.

    Es ginge also demnach nur mit einer Einbindung Chériziers, so viel Magenschmerzen das auch verursachen mag.

  • Klingt wie immer. Entweder richtig rein, oder richtig raushalten.

    • @vieldenker:

      Na ja, das Konsortium ist immerhin rein haitianisch, die kenianischen Polizeikräfte zur Unterstützung vorgesehen.

      Zweifel, ob sich diese gegen die Gangs Chériziers behaupten können, sind aber mehr als angebracht. Mit den 200 Mio der USA könnte man sicher mehr machen.

  • "Lee Hockstader, ein renommierter außenpolitischer Kolumnist der Washington Post, forderte ein internationales militärisches Eingreifen „mit Muskeln“"

    USA, Militär und "Muskeln" haben in der Vergangenheit bekanntlich auch immer gut funktioniert.

    • @Martin Weber:

      Nu. Kleine karibische Inseln erobern äh befreien hat eine gewisse Erfolgsquote, das klappt bestimmt mit 100mal größeren Bevölkerungen genau so gut.

    • @Martin Weber:

      Und das von der Washington Post! Lee Hockstader war bislang nicht bekannt als Befürworter von halsbrecherischen Interventionen, sitzt momentan in Paris. Ich kann mir das nur vor dem Hintergrund erklären, dass Haiti derzeit als unbeherrschbarer Moloch erscheint. Doch gerade von einem Auslandskorrespondenten hätte ich mehr erwartet.