Ausverkauf des Alpenraums: Alpines Disneyland
Hängebrücken, Aussichtsplattformen, Berg-Erlebnisparks: Die Alpen entwickeln sich zum Mekka für spaßorientierte Touristen. Gegen die Entwicklung regt sich Widerstand.
Eigentlich sind die teuren Multifunktionsjacken bekannter Outdoormarken ja für Profi-Alpinisten gedacht. Doch gerne stapft auch der Stadtmensch damit durch Großstadtstraßen – Latte Macchiato in der Hand und Smartphone am Ohr. Dass sich mit der Sehnsucht vieler Menschen nach Naturerlebnis und Abenteuer gut Kasse machen lässt, ist neben der Textilindustrie auch der Tourismusbranche nicht entgangen.
Nahezu perfekte Voraussetzungen für eine entsprechende Abenteuertouristik bietet der Alpenraum: hohe Berge, dichte Wälder, wilde Bäche. Außerdem sind die europäischen Alpen durch den Skizirkus in der Wintersaison hervorragend erschlossen.
Mit ein paar Wander- und Radwegen lassen sich die spaß- und konsumorientierten Massen aber nicht mehr in die Berge locken – davon sind zumindest viele Liftbetreiber und Tourismusmanager überzeugt. So ragt seit Juli 2010 eine X-förmige Aussichtsplattform oberhalb der Liftstation der Alpspitzbahn in die Tiefe der Bergwelt rund um die Zugspitze. Ein Gipfel-Erlebnisweg ergänzt das spektakuläre Bauwerk, genannt "AlpspiX". "Bequem mit der Alpspitzbahn zu erreichen, ist der kinderwagengerechte Wanderweg ein Erlebnis für die ganze Familie", verspricht die Betreibergesellschaft - auf über 2.000 Höhenmetern.
Ähnliche Aussichtsplattformen gibt es unter anderem im österreichischen Dachstein-Massiv oder am Grat des Großen-Isidor-Gipfels. Im Tiroler Rofangebirge hat man neben der Plattform gleich noch Seile für einen "Skyglider" gespannt, mit dem Touristen bei bis zu 85 km/h und 200 Metern Höhenunterschied in Richtung Talstation rasen können – Nervenkitzel garantiert.
Anderenorts werden ganze Funparks mit diversen Fahrgeschäften in die Gebirgslandschaft gebaut. Der Berg müsse besonders für Jugendliche wieder interessanter und spannender werden, vermarktet die Geschäftsführung der Rofanseilbahn ihr Angebot. Weit verbreitet sind auch Hängebrücken hoch über den Schluchten. Und Almhänge werden zunehmend von ganzjährig nutzbaren Rodelbahnen durchkreuzt. Schneller, höher, weiter – die Anlagen wirken nicht selten wie alpine Rummelplätze.
Kritiker dieser Entwicklung würden Installationen wie die "AlpspiX"-Plattform auf der Zugspitze am liebsten zurückbauen. "Es werden austauschbare, künstliche Welten erzeugt, die sich überall gleichen", sagt Gotlind Blechschmidt, Vorstandsmitglied bei Mountain Wilderness Deutschland, einer international tätigen Naturschutzorganisation. Doch hat es nicht auch Vorteile, den Alpenraum leicht zugänglich und erlebbar zu machen, um die Menschen für Natur und Umweltschutz zu sensibilisieren? Für Alpinistin Blechschmit kein Argument: "Auf solche erkaufte und installierte Weise kann niemand ein wirkliches Verständnis für Natur erhalten", sagt sie.
Auf den Berg laufen würden nur noch die wenigsten - die meisten Touristen zögen eine teuere Bahnkarte, die eine bequeme Fahrt ermöglicht, vor. "Dann wird ihm vorgegaukelt, er hätte auf so einer Plattform ein riesiges Naturerlebnis.", sagt Blechschmidt. Es gehe um die reine, harte Vermarktung der Bergwelt. Sie würde dadurch entehrt und ästhetisch allzu oft verschandelt, so Blechschmidt. Sie beurteilt entsprechende Installationen als reine Renditeobjekte.
Kritisch äußert sich auch Jörg Ruckriegel, Ressortleiter für Natur- und Umweltschutz beim Deutschen Alpenverein: "Die Bergwelt der Alpen darf nicht zur Kulisse degradiert werden." Projekte wie "AlpspiX" setzten einen Wettlauf um Touristen durch möglichst immer noch spektakulärere Bauten in Gang. Der DAV unterstützt vielmehr die Entwicklung nachhaltiger Tourismuskonzepte, die auf Naturnähe und Ursprünglichkeit setzen. Anlagen, die Fahrgeschäften auf Volksfesten ähneln, gehörten nicht dazu und hätten in der freien Natur nichts verloren, so Ruckriegel.
Die derzeitige Entwicklung schadet dem örtlichen Tourismus langfristig sogar, sagt Gotlind Blechschmidt: "Kaum ein Tourist wird wegen einer solchen Installation ein zweites Mal in das Gebiet kommen."
Mancherorts formiert sich der Protest gegen entsprechende Tourismusprojekte auch in Bürgerinitiativen. In der Ostallgäuer Gemeinde Halblech konnten die Gegner eines geplanten Berg-Erlebnisparks kürzlich einen Erfolg verbuchen: Das Vorhaben wurde per Bürgerentscheid mehrheitlich abgelehnt, am deutlichsten wurde gegen den "Alpine Coaster" votiert, eine Ganzjahresrodelbahn, die auf bis zu fünf Meter hohen Stelzen am dortigen Buchenberg errichtet werden sollte.
Ein Ende der Erschließungswelle ist laut Blechschmidt von Mountain Wilderness Deutschland vorerst jedenfalls nicht abzusehen. Gemeinsam mit der Organisation protestierte Profikletterer Stefan Glowacz an der "AlpspiX"-Plattform auf medienwirksame Weise gegen das, was Kritiker alpines Disneyland nennen: im Hängebiwak über dem Abgrund. Auf einem Plakat forderten er uns seine Mitstreiter eine "Bergwelt ohne Geschmacksverstärker".
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