Ausstellungstipp für Berlin: Grafische Frechheiten, eklige Keramik
Aline Bouvy nimmt in ihrer Kunst Spießermoral aufs Korn – derzeit zu sehen im Künstlerhaus Bethanien. Die taz sprach mit der Künstlerin.
![Aline Bouvys Keramikobjekt "The Narrator" in der Ausstellung Aline Bouvys Keramikobjekt "The Narrator" in der Ausstellung](https://taz.de/picture/3738176/14/Aline_Bouvy_Bethanien.jpeg)
Aline Bouvys Kunst lässt sich als lustvollen Angriff auf Spießermoral und herkömmliche Vorstellungen von Anstand verstehen. Für ihre Einzelausstellung im Künstlerhaus Bethanien hat sie die Zeitschrift Die Frechheit. Ein Magazin des Humors. Zugleich Programm des Kabaretts der Komiker, die von 1928 bis 1933 in Berlin erschien, als Vorbild für eine Reihe grafischer Werbeplakate genommen.
Die Künstlerin war fasziniert vom Witz des Magazins, seiner frivolen Leichtigkeit und Offenheit gegenüber Homosexualität wie weiblicher Selbstbestimmtheit.
Die Plakate hängen an den Wänden, bilden die Szenerie, in der Bouvys Objekte herumlümmeln. Darunter eine plastische Doppelgängerin der Künstlerin, die auf einer Parkbank sitzend mit halbvergammelten Pommes spielt, sowie zwei ihrer „Narrators“, kleine gefäßähnliche Wesen aus Keramik, die an wichtelgesichtige Duftlampen aus dem Kramladen erinnern würden, wären da nicht diese hoden- oder anusähnlichen Auswüchse, so herrlich-eklig, dass man kaum wegschauen kann.
Einblick 795: Aline Bouvy, Künstlerin
taz: Welche Ausstellung in Berlin hat dich zuletzt an- oder auch aufgeregt? Und warum?
Aline Bouvy: Die Ausstellung „Der Hausfreund – Eine Wiederentdeckung des exzentrischen Werks von Friedrich von Berzeviczy-Pallavicini (1909–1989)“ im österreichisches Kulturforum hat mir sehr gefallen. Die Werke des multidisziplinären Künstlers sind von einer wunderschönen Raffinesse.
Künstlerhaus Bethanien, Di.–So. 14–19 Uhr, bis 27. 10., Kottbusser Str. 10
In der Ausstellung stehen sie mit Arbeiten von zeitgenössischen Künstler*nnen im Dialog. Der Kurzfilm von Kamilla Bischof und Laura Welker hat mich durch seinem Erfindungsreichtum in jedem Detail besonders begeistert. Es ist auch eine gute Gelegenheit, das von Hans Hollein entworfene Gebäude zu besuchen.
Welches Konzert oder welchen Klub in Berlin kannst du empfehlen?
Aline Bouvy ist 1974 in Brüssel geboren. Nach ihrem Kunststudium an der École de Recherche Graphique in Brüssel und an der Jan van Eyck Academie in Maastricht, hat sie in mehreren kollaborativen Formationen mitgearbeitet. Seit 2014 ist sie als Solokünstlerin tätig. Bouvy ist im Moment und noch bis Ende Dezember Stipendiatin des Kulturministeriums des Großherzogtums Luxemburg im Künstlerhaus Bethanien. Ihre Arbeit wird von der Galerie Nosbaum & Reding in Luxembourg und Baronian-Xippas in Brüssel vertreten. 2018 hatte sie Einzelausstellungen in diesen Galerien sowie im Münchner Ausstellungsraum Loggia.
Vergangenen Monat war ich zum ersten Mal im Funkhaus Nalepastraße zum Konzert „Echo Collective plays 12 Conversations with Thilo Heinzmann by Johann Johannsson“. Die Architektur des Gebäudes, die Akustik des großen Aufnahmesaals und wie das Publikum direkt auf Bodentreppen rund um die Musiker sitzt, trugen zu einem exzeptionellen Moment bei.
Welche Zeitschrift/welches Magazin und welches Buch begleitet dich zurzeit durch den Alltag?
Online statt Print: Weil die Kulturbeilage taz plan in der gedruckten Ausgabe wegen des Corona-Shutdowns gerade pausiert, erscheint hier nun jeden Donnerstag ein Text vom „taz plan im exil“. Zuletzt: 2. 4. Stephanie Grimm/Musik: „Jeder Tag ist wie Sonntag“ & 9.4. Esther Slevogt/Theater: „Der Bildschirm als Bühne“
Ich genieße täglich den freien Onlinezugang vom Guardian. Eine prägende Lektüre für meine jüngsten Arbeiten ist Rémi Astrucs Buch „Le Renouveau du grotesque dans le roman du XXe siècle“: Es geht um das Groteske als Welt der Entfremdung, aber auch als anthropologisches Instrument, mit dem man Alterität und Wandel begreifen kann.
Was ist dein nächstes Projekt?
Ich würde gerne Bauchreden lernen und meine Puppen und Skulpturen zu einem Bühnenstück weiterentwickeln.
Welcher Gegenstand/welches Ereignis des Alltags macht dir am meisten Freude?
Ich liebe es, einfach in meiner Atelierwohnung in Berlin aufzuwachen und von meinem Bett aus die Bäume durchs Fenster zu sehen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Trump und die Ukraine
Europa hat die Ukraine verraten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
80 Jahre nach der Bombardierung
Neonazidemo läuft durch Dresden