piwik no script img

Ausstellungen norwegischer FotografieKalter Wind, starke Bilder

Auf Föhr erzählen die Ausstellungen von Ingun Alette Mæhlum und Kåre Kivijärvi vom Wandel der norwegischen Fotografie.

Norwegische Abgeschiedenheit: Auf der Insel Tussøy leben nur noch sieben Menschen Foto: Ingun Alette Mæhlum, , 2014, Silbergelatine-Print auf Baryt, Courtesy of the Artist

HAMBURG taz | Ob man es aushalten würde? Ob man sich daran gewöhnen könnte? An die Dunkelheit und noch mehr an die Kälte, die schnell unerträglich sein dürfte, wenn der Wind vom Meer oder von den schneevereisten Bergen entlang der Küsten nicht nur weht, sondern braust. Oder muss man von dort kommen, aus dem nördlichsten Norden, es einfach gewohnt sein, dass das Klima so unwirtlich ist, wie es nun mal ist. Wie der Mann, der durch den Schneesturm geht, die Arme weit ausgebreitet, um das Gleichgewicht einigermaßen zu halten; in der Ferne die vagen Umrisse eines Hauses, das er hoffentlich heil erreichen wird, ein Bewohner der Insel Tussøy, weit oberhalb der Lofoten gelegen.

Die in Tromsö lebende Fotografin Ingun Alette Mæhlum wurde 2009 von der norwegischen Tageszeitung Norwegian Business Daily auf just diese Insel geschickt, um Bilder mitzubringen von einem Eiland, dass nur zehn Quadratkilometer groß ist und das von nur noch sieben Menschen bewohnt wird. Die wiederum auf drei Autos, sieben Traktoren und fünf Quads zurückgreifen können, dazu kommen jede Menge Schafe, die Haupteinnahmequelle der Insulaner ist die Schafzucht, gut bezahlt von der örtlichen Kommune. Sonst wäre wohl niemand mehr dort.

Tussøy hat Norwegens teuerste Fähranbindung an das Festland, der Staat schießt zu jedem Fährticket 2.000 norwegische Kronen dazu, das sind umgerechnet etwa 210 Euro. Und auch wenn Norwegen als Land viel Geld hat, so richtig satt Geld, wird auch im reichen Norwegen hin und wieder diskutiert, ob man sich diese und andere vergleichbare Fährverbindungen noch leisten will und wenn ja, dann möchten die Norweger und Norwegerinnen auch mal sehen, was dann da ist und wer da so lebt.

Nach Tussøy also fuhr Ingun Alette Mæhlum, nahm dazu die so teure und notwendige Fähre, sie fuhr wieder zurück. Und sie kam wieder: um noch einmal zu fotografieren, im Frühjahr, im Sommer, im Herbst und im Winter, nun mit mehr Zeit und Muße ausgestattet. Und sie machte Bilder, die auf ganz eigene Weise das Leben auf einem Flecken Erde dokumentieren, der im Grunde für die Anwesenheit von Menschen nicht gemacht zu sein scheint, dabei gilt es als belegt, dass schon zur Eisenzeit, also ab 750 vor Christus, hier Menschen lebten.

Die Ausstellungen

Beide Ausstellungen enden am 24. Juni, Museum Kunst der Westküste, Föhr, Hauptstraße 1

Zu sehen sind ihre Arbeiten unter dem schlichten Titel „Tussøy“ als Teil der Sonderausstellung „Norway Contemporary!“ nun im Museum Kunst der Westküste und damit mitten auf Föhr.

Es sind ganz wunderbare Schwarz-Weiß-Aufnahmen, in denen sie sich dem Alltag auf Tussøy nähert: Wir schauen den Bewohnern beim Grillen zu und beim Arbeiten, das nicht einfach von der Hand gehen dürfte; wir sehen, wie sie feiern, und wir blicken in ihre üppig dekorierten Wohnstuben, in denen sich keinesfalls die Schroffheit der sie umgebenden Landschaft wiederfindet.

Wir sind dabei, wie sie aus dem Fenster schauen in diese Welt, die im Sommer so entspannt wirken kann und im Winter so lebensfeindlich, die sieben Menschen, die übrigens Namen haben und also sind: Svein, Synnøve, Ragnvald, Olly, Håkon und dann noch Robert und Gunn-Heidi. Und es passt, dass Mæhlum ihre Fotoarbeiten lediglich durchnummeriert hat, auf illustrierende Titel verzichtet, die sind auch gar nicht nötig.

Ausflug in kalte Gefilde

Es gibt noch einen zweiten, gewichtigen Grund, in Dagebüll bei Niebüll die Fähre nach Föhr zu nehmen, um so zum Westküstenmuseum zu gelangen: Denn dort ist neben Mæhlums Ausflug nach Tussøy auch die Fotoausstellung „Northern Norway“ von Kåre Kivijärvi zu bestaunen.

Auch dies ist ein Ausflug in kalte Gefilde, in die Finnmark, an die Küsten der arktischen See und dann weiter raus aufs Wasser. Wobei sogleich auffällt, dass Kvijärvi nicht unbedingt ein typisch norwegischer Nachname sein dürfte, sondern weit eher finnisch klingt. Und damit ist man schon mitten drin in der Lebensgeschichte des Fotografens, dessen Werke hier auf Föhr das erste Mal in einem deutschen Kunstmuseum ausgestellt werden – wobei Kivijärvi das Wort Kunst mit Sicherheit gefallen hätte.

Er gehörte zur Volksgruppe der Kvenen, ursprünglich Fischer, die im 18. und 19. Jahrhundert von Finnland aus in den Norden Norwegens umsiedelten, dort eine Community bildeten. Bis heute sprechen die Kvenen eine eigene Sprache, dem Finnischen weit verwandter als dem Norwegischen. Lange wurden sie ähnlich misstrauisch beäugt bis handfest diskriminiert wie die Samen, und wie diese bekamen die Kvenen erst unendlich spät vom norwegischen Staat den Minderheitenstatus zugebilligt: 1998 nämlich. Kvenisch als eigene Sprache ist erst seit 2005 anerkannt.

Fischerdörfer in Nordnorwegen

In diesem Spannungsfeld wächst Kivijärvi, 1938 geboren, in Hammerfest auf. Er absolviert eine klassische Lehre als Zeitungsfotograf, ist später bei der norwegischen Luftwaffe für Luftaufnahmen zuständig. Kehrt zurück in die zivile Zeitungswelt, fotografiert und berichtet für die Wochenzeitung Viikkosanoma und die Tagszeitung Helsingin Sanomat und schreibt auch die Texte zu seinen Bildern.

Zwischendurch studiert er Fotografie in Deutschland. Zunächst 1958 an der Kunstschule für Gestaltung in Saarbrücken, dann an der Folkwangschule in Essen, was an Otto Steinert lag, der erst in Saarbrücken und dann in Essen unterrichtete und dessen Konzept der subjektiven Fotografie mit Rückgriff auf die Foto­tradition der experimentell gesinnten Bauhaus-Fotografen für Kåre Kivijärvi stilprägend und entscheidend wird.

So gerüstet kehrt er zurück und fotografiert und beschreibt in den 60ern und 70ern das unkomfortable, aber in sich ruhende Leben in den Fischerdörfern Nordnorwegens – drei Jahre fährt er immer wieder auf den Trawlern der Schleppnetzfischer mit, zeigt den Alltag an Bord, mit leichtem Hang zur Idealisierung harter, körperlicher Arbeit.

Lange Schaffenskrise

Dann aber lähmt ihn lange eine Schaffenskrise, die er ab Mitte der 1980er-Jahre auf eine eigenwillige, im Grunde aber konsequente Weise überwindet: Er geht mit seinen Negativen von einst in die Dunkelkammer. Und er tritt mit neuen Arbeiten zurück ins Helle.

Er verstärkt die Schwarz-Weiß-Kontraste, er nivelliert die Grautöne, bis seine Bilder fast an Holz- oder fast schon Scherenschnitte erinnern. Er zieht seine für Zeitungen und Magazine gedachten kleinformatigen Bilder großformatig auf, wandert so vom Dokumentarischen zum Abstrakten – ohne seine thematische Verortung zu verlieren. Dabei bleibt er sich gegenüber äußerst kritisch, nur rund 100 Bilder bleiben übrig, die Ernte seines Fotografenlebens, das 1991 endet.

Diese starken, auch schweren und zuweilen schwermütigen Arbeiten im Abgleich mit Mæh­lums manchmal fast leichtfüßigen und deutlich heiteren Fotos zu sehen, ist lohnend, unterhaltsam und nicht zuletzt macht es kundig.

Denn beide Ausstellungen erzählen gerade in ihrer thematischen Verwandtschaft wie Unterschiedlichkeit bei der Wahl der fotografischen Mittel auch vom Wandel der norwegischen Fotografie: Wo heute Ingun Allette Mæhlum ganz selbstverständlich als Dokumentarin und Künstlerin angesehen wird und entsprechend arbeiten kann, war Kåre Kivijärvi dieser Zustand lange verwehrt: Erst 1971 werden Fotoarbeiten von ihm bei der jährlichen, staatlichen Kunstausstellung in Oslo gezeigt, und er ist damit zugleich der erste norwegische Fotograf überhaupt, dem man zugesteht, in der Sphäre der Kunst aufzutauchen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!