Ausstellung von Vaginal Davis in Berlin: Schminke bringt Wahrheit hervor
Vaginal Davis ist eine Genre sprengenden Künstlerin und Universalgelehrte aus dem queeren Underground. Nun zeigt der Berliner Gropius Bau ihr Werk.
Diese Augen! Ein großes Paar von ihnen starrt dich an, oh Besucher_in. Nein, nicht die von Bette Davis, sondern die von Namensvetterin Vaginal. Und auch der 80er-Jahre-Bezug zielt bei Vaginal Davis nicht auf einen mäßigen Pop-Hit. Vaginal trat in ihrer großen L.A.-Zeit mal in einer Clubnacht auf, die „The Eyes of Laura Mars“ hieß – nach dem seinerzeit legendären Horrorfilm (Drehbuch: John Carpenter), bei dem Faye Dunaway eine Modefotografin spielt, die Morde voraussieht.
Vaginal Davis: „Fabelhaftes Produkt“. Gropius Bau Berlin, bis 21. September 2025. Katalog (Verlag der Buchhandlung Walther König, Englisch): 32 Euro
„Die Fotos, die sie in dem Film verwendeten, waren von Helmut Newton“, erzählt mir Vaginal, als ich sie beim Aufbau ihrer Ausstellung im Berliner Gropius Bau störe und aus ihr in weniger als einer Minute eine mittlere zweistellige Zahl von Geschichten und Subgeschichten hervorsprudeln: über die L.A.-Clubs der 80er und 90er, die semantischen Panoramen und Stadteile von L.A,. die die Begriffe „queer“ und „gay“ in jener Zeit durchliefen, und wann und wo sie mit grünen Achselhaar-Toupets aufgetreten ist.
Aber rechts und links des Haupteingangs zu ihrer großen Ausstellung prangen die beiden Augen, schwarz auf durchsichtig, und fixieren dich.
„My Pussy’s Still In Los Angeles.“
Die Karriere von Vaginal Davis beginnt in den 1980er Jahren in Los Angeles, seit über 20 Jahren lebt sie in Berlin (obwohl sie um 2012 einmal titelte: „My Pussy’s Still In Los Angeles. I Only Live In Berlin“). Die Ausstellung in dieser Stadt kann man aber nicht als Retrospektive bezeichnen, die die zwei Hälften verbindet: Solche Massen an performativen Arbeiten, wie sie Vaginal zwischen kleinen Clubbühnen, Cabarets, Konzertsituationen, Fanzine-Redaktionen, Recording-Studios und Bruce-LaBruce-Filmen geliefert hat, kann kein Rückblick einfangen oder rekonstruieren.
Hendrik Folkerts hat diese dennoch überquellende und sehr multimediale Show ursprünglich für das Moderna Museet in Stockholm kuratiert, nun reist sie über Berlin und irgendwann weiter nach New York.
Heimatstadt Los Angeles ziert sich noch, man erinnert sich dort vielleicht noch zu deutlich an die Erschütterungen, die die kontroversen und revolutionären Performances ihrer großen Tochter einst auslösten und dazu beitrugen, so etwas wie einen Queercore-Underground in der Zeit aufzubauen, als sich die dortige Hardcore-Punk-Welt nach außen hin noch überwiegend als straight präsentierte (auch wenn schwule Männer wie der Screamers-Sänger Tomata du Plenty sie losgetreten hatten).
In den 1980er und 90ern war sie zwar Gründerin von einigen Bands, die im Hardcore-Kontinuum auftraten, den Afro-Sisters, Pedro, Muriel & Esther und dann in den frühen 90ern Black Fag – immer noch einer der besten Bandnamen aller Zeiten. Bei Black Fag war Bibbe Hansen, die Mutter von Beck, ihre Mitstreiterin, davor war es oft der große Glen Meadmore, bekannt für eine queere Country-Punk-Fusion mit zuweilen sehr komischen Kinderzimmerinstrumenten.
Schwarze Revolutionärinnen
Das Programm, das scheint schon in der Namensgebung auf, eine starke Identifikation mit Schwarzen Revolutionärinnen (Angela Davis) und mit weiblicher Körperlichkeit (Vagina), konnte problemlos die Schranke der Genres überwinden: Hardcore Punk und Hardcore Porn, aber dann wieder unschuldig-schuldige revolutionäre Verspieltheit wie bei „¡Cholita!“ – ihrer Version der weltberühmten puertoricanischen Kinder-Latin-Popband Menudo.
Eine der Brücken war Vaginals überschlagfertiger Humor. Das auch in der Museumsausstellung diesbezüglich entscheidende Wort ist das für sie lustigste Wort der deutschen Sprache: „Hofpfisterei“.
Filme wie „Can I Be Your Bratwurst, Please?“ oder „Teddy’s Beastiary“ (in dem sie Adorno und Adornos Tante spielt), aber vor allem auch einige sehr bekannte Klassiker wie „Hustler White“ von Bruce LaBruce bildeten so etwas wie ein neues Genre, in dem queerer Porn mit Undergroundkultur in einer Weise zusammenkam, die sich bald auch in Musik und Performance wiederfand. Vaginal war dabei in allen möglichen Funktionen entscheidend: als Darstellerin, Autorin, Regisseurin, Bühnenbildnerin.
Fern der etablierten Institutionen
Als Set-Designerin, Programmmacherin, Kuratorin, Zeichnerin und Gestalterin stand Vaginal der bildenden Kunst schon immer nah – und deren etablierten Institutionen ziemlich fern –, vor allem aber darf man nicht vergessen zu erwähnen, dass sie sehr früh und bis heute schreibt und gestaltet und publiziert. Als vor zwei Jahren in New York die Geschichte der Fanzines in einer Ausstellung aufgearbeitet wurde, gab es ein eigenes Kapitel, einen eigenen Raum für ihre Zines.
Darüber hinaus schrieb sie diverse Blogs und Netzpublikationen voll, mit den unterschiedlichsten Textsorten: Ausgehprotokolle, Autotheoretisches, Poesie und Journalismus, Interviews. Bei einer ihrer Ausstellungen legte sie im Stile von Félix González-Torres einen gelben Papierstapel aus, von dem sich die Besucher_innen eine oder ein paar Seiten mitnehmen durften. Statt aber identische Blätter auszulegen, handelte es sich um eine vierstellige Zahl von Seiten eines fortgesetzten, überaus spannenden Journals, das mal ein Blog war („Speaking From The Diaphragm“).
Als Besucher hab ich den Frühsommer 2003 erwischt. Der 19. Juni 2003 beginnt so: „Got invited to the Justin Timberlake show by Mr. Timber himself. Who would have ever believed that he was a fan of mine? That boy is fille with surprise and soooooo cute and put on an incredible show.“ Und endet mit der Klassikerleseempfehlungspaket, das sie für einen Freund zusammenstellte: „I took his copy of ‚Against The Grain (A Rebours)‘ by J. K. Huysmans. He is not ready for that yet.“
Der wundersame Geist von Vaginal Davis
Das ist die Vielfalt, die man erleben kann, wenn man sich dem wundersamen Geist von Frau Davis öffnet: ein Tag zwischen kalifornisch hellen Popsongs und tiefer synästhetischer französischer Dekadenz. Das legt Museumsausstellungen, die es in den letzten Jahren häufiger gab (auch schon mal in kleineren Rahmen bei Gropius, 2019), nahe: Nur sie können so weitreichende Materialvielfalt bändigen. Können sie es wirklich?
Wenn es ein Wort gibt, das Vaginal Davis beschreibt, wäre es Polymath oder Polyhistor. Die Frau weiß alles. In den Gebieten Geschichte politischer Radikalität, Hollywood und Los Angeles, over und underground, queere Zeitgeschichte, allgemeine Kulturgeschichte der Welt und überhaupt alles, nimmt sie es mühelos mit Steins Kulturfahrplan auf.
Zu jedem Film und auch zu jedem unvollendeten Filmprojekt kennt sie alle Details samt der Gegengeschichte, dem Klatsch über die Gegengeschichte und den Gründen, warum das alles nie veröffentlicht wurde. Und wer etwas mit der Person hatte, die es nicht veröffentlicht hatte. Klartext, Kritik des Klartexts, Innuendo, Kritik des Innuendos, Meta-Innuendo. Kenneth Angers durchaus verdienstvolle Hollywood-Gegengeschichte „Hollywood Babylon“ verhält sich zum Wissen von Frau Davis wie ein Einkaufszettel zu „Zettel’s Traum“.
Sie bewahrt dieses Wissen aber nicht nur in ihrem Kopf auf, sondern auch in ihrer Wohnung. Weswegen sie zwar einerseits von sich sagt, dass sie das sei, was man auf Englisch hoarder nennt, auf Deutsch aber „Messie“, aber dennoch immer alles findet, was für eine Collage gebraucht wird.
Davis liebt „Wizard of Oz“
Nun ist sie aber seit einer Weile nicht mehr nur aus Versehen auch eine Installationskünstlerin, sie baut (nicht nur) für den Gropius Bau Kinos, luxuriös exotisch verträumte Abspielstätten, Kabinette und Schlafzimmer, sie malt auch. Während ich sie besuche, sind das Wandzeichnungen, frei nach Motiven aus einer als Kind geliebten Buchversion des „Wizard of Oz“ von L. Frank Baum.
Dem „Harry Potter meiner Kindheit“, wie sie, die in South Central Los Angeles aufgewachsen und als Stipendiatin eines Programms für hochbegabte Schülerinnen sich in die Welt der Oper stürzte, die Bedeutung der Oz-Mythologie einstuft. Mit einer riesigen Palette aus Eyelinern, Lippenstiften und anderen Make-up-Utensilien werden die schwarzweißen Wandzeichnungen farbig geschminkt.
Das ist die Medienspezifik von Vaginal D: Schminke bringt die Wahrheit hervor und ist überhaupt ihr bevorzugtes Material. Nur die bemalten Stellen sind sichtbar, der Rest ist Wand. Und da sie weiße Wände nicht mag, sind alle außer in dem ersten Raum einfallsreich, sagen wir: tingiert, der Fußboden stellenweise aus schwarzen Vinyl.
Mit Oz geht es weiter (ein wichtiges Londoner Underground-Magazin hieß so, das John Lennon und Yoko Ono, demnächst auch im G-Bau, einst als Electric Oz Band mit der Benefiz-Single „God Save Oz“ unterstützten). Aber auch eine Serie von anderen Objekten und Vitrineninstallationen tragen hier den Titel „Naked on my Ozgoad“.
Nackt auf dem Bock
Das bezieht sich auf die Skandalautobiografie, die die bubiköpfige, feministische 20er-Jahre-Lulu- und Neue-Sachlichkeit-Darstellerin Louise Brooks nach vielen Enttäuschungen mit dem Tonfilm und der maskulinistischen Bourgeoisie geschrieben (und dann vor der Veröffentlichung vernichtet) hat: „Naked on my Goat“. Der Titel stammt aus der englischen Version der Walpurgisnacht aus dem Faust zwei: „Drum sitz ich nackt auf meinem Bock / Und zeig ein derbes Leibchen.“
Vaginal Davis hat den Goat (Ziegenbock, Greatest of all Times) allerdings mit d geschrieben, „Naked on my Ozgoad“. Noch eine Nuance, von der es in dieser Ausstellung eine mittlere sechsstellige Zahl gibt. Etwa mit einer Sonderausstellung in der Ausstellung des Cheap-Kollektivs, mit der sie in Berlin gearbeitet hat.
Dann ist da die Geschichte der HAG-Galerie, die Davis 82 bis 89 zu Hause betrieben hat, verschiedene Installationen mit Sammlungen von Publikationen, Bibliotheken und ein brandneues Printobjekt, das sie gemeinsam mit einer litauischen Neodruckerei jetzt produziert hat. Dazu gemalte Hommages an eine dreistellige Zahl anderer wichtiger Frauen. Im Schnitt kennt man jede dritte, die anderen sollte man googeln. Hab ich gemacht. Lohnt sich.
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